angekettet

Alltagsgedicht zum Thema Angst

von  Erebus

.
.
.

Perfekt verborgen lauert sie, ein Tier,
als Parasit und nährt sich vom Verzagen.
Noch hält sie still als steifer Balg in mir,
ich spüre, sie erschauert vor Behagen.

Kein Atemzug entgeht der wachen Brut,
am Schlag des Herzens forscht sie nach den Zeichen,
trinkt, kostet von dem Salz in meinem Blut,
träumt mit den Wölfen, die mich stumm umschleichen.

Aus einer Stille flüstert sich der Ruf:
'canaille friss!'. Da stürzt sie vor, zu beißen.
Kein Wille hält die Bestie, die ich schuf,
es ist gewiss, dass ihre Ketten reißen.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text

Mitternachtslöwe (27)
(17.01.08)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.
Mitternachtslöwe (27) meinte dazu am 17.01.08:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Erebus antwortete darauf am 17.01.08:
Hallo Mitternachtslöwe,
Ich danke Dir sehr für Dein Lob an den Text und die Empfehlung.

Kann man sich flüstern? Die Frage habe ich mir noch nicht gestellt. Offengestanden will ich auch gar nicht darauf antworten, sonst entziehe ich dem Text noch Substanz. Eigentlich soll die Formulierung die Unbestimmtheit des Ursprunges andeuten, aus dem die Canaille hervorbricht.
Übrigens habe ich lange nach dem Wort gesucht, bis ich es hatte, neben dem Tier bedeutet es ja auch den aufgebrachten Pöbel, wenn ich das noch richtig im Sinn habe. Und es ist eines der wenigen Worte, das nicht all zu auffällig mit einem C beginnt.

LG
Ulrich
Mitternachtslöwe (27) schrieb daraufhin am 17.01.08:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Isaban (17.01.08)
Lieber Ulrich,

die Idee und die Nutzung des Kreuzreims, der wunderbar die Beziehung zwischen Wirt und Parasit andeutet, finde ich sehr gut. Auch formal habe ich nichts zu bemängeln. Inhaltlich hätte ich allerdings ein paar kleine Anmerkungen zu deinem Text.

Ein Balg ist eine abgezogene, also leere Tierhaut. Ein steifer Balg passt für mich nicht so 100%ig als Umschreibung für die personifizierte Angst, ganz besonders, wenn LI in der nächsten Zeile das Behagenserschauern spüren will, das ja nun gar nicht mit dem Bild des steifen, toten, felligen Hautstück übereinstimmt, ebensso wenig, wie die Brut, die ja ein Gelege voraussetzt und sich bestimmt auch in einem steifen, abgezogenen Fell nicht so gut machen würde.

Anstatt des harmlosen, eher niedlichen Verbes "träumt" würde ich hier eventuell ein etwas stärkeres, aktiveres, latent bedrohlicheres empfehlen, vielleicht: rufen, flüstern, raunen, heulen?


Aus einer Stille flüstert sich der Ruf:
Hm. Aus Stille - flüstert - Ruf... Entweder, oder, würde ich sagen.
Wie wäre es mit "Wie aus dem Nichts ertönt plötzlich der Ruf" oder zumindest "Aus einer Stille schrillt/schwillt plötzlich der Ruf" ?

Auch das 'canaille friss!' ist hier ein wenig gewöhnungsbedürftig.
Bei einem Tier hätte der Befehl eher "Fass!" geheißen. "Canaille" finde ich ganz witzig, weil es von Canis, also Hund abstammt und ursprünglich für den Mob, also das gewöhnliche, als suspekt zu betrachtende Pack benutzt wurde.

Liebe Grüße,
Sabine

 Erebus äußerte darauf am 18.01.08:
Liebe Sabine,

über Deine Zustimmung zur Form und zum inhaltlichen Zusammengehen der Darstellung von Wirt und Parasit freue ich mich sehr. Deine Einwände verunsichern mich ein wenig, ich werde versuchen, in Zukunft, wenn es mir richtig erscheint, noch näher an der Realität zu bleiben. Denn ich stimme Dir zu, die Darstellung ist etwas diffus, was diesen Parasiten betrifft, ein Gemenge aus Bildern, die für mich allerdings die gewünschte Schlüssigkeit ergaben.
Was ich aber sah: ohne die in diesem Forum übliche Kategorisierung der Thematik, und ohne die "Entdeckung" des Akrostichons ist eine konkrete Interpretation nicht grade einfach.
In diesem Falle stünde der Leser eben einer Mischung von Bildern gegenüber, die vielleicht einen Eindruck hinterlassen, die ihn, durch die Fehlerhaftigkeit der Andeutungen vielleicht aber auch verärgern.

Der Balg ist streng genommen natürlich nur ein Fell - wobei ich vor meinem inneren Auge einen ausgestopften Balg sehe. Das, so ist mir nun klar, muss beim Leser aber nicht der Fall sein. Dem schwebt möglicherweise ein schlaffes Fell vor, und damit wäre er schon auf dem falschen Weg.
Mein ausgestopfter Balg, das ist eine Art Wolpertinger, ein spitzzahniges, starr lauerndes Vieh, das haarig in dem LI steckt. Balg ist per Def. auch ein "(Wechsel)Balg" ein Untergeschobenes Kind, möglicherweise missgebildet, so jedenfalls früher im Sprachgebrauch. Das schien mir sehr tauglich, um die immer währende, immer wachsende Gefahr einer Angstattacke zu beschreiben.

Denn dies war eigentlich meine Absicht: die so genannte Panikstörung darzustellen. Bevor Missverständnisse auftauchen: der Autor berichtet von einem fremden Land, weiss aber sehr wohl, was eine solche Attacke bewirken kann: die völlige Aufhebung des Vertrautseins mit der Welt, ein Von-der-Kette-sein aller Ängste, die jeden Gedanken, jede Bewegung - und das ist durchaus als körperliche Reaktion zu verstehen - beherrschen.

Ähnlich wie der "Balg" in meiner verschrobenen Sichtweise, evoziert auch die "Brut" (bei mir) ein Gefühl der heranwachsenden Bedrohung aus sich selbst. Vielleicht ist es wirklich etwas viel verlangt, wenn LI an dieser Stelle dem Leser "mir nach" zuruft, prinzipiell halte ich diesen Weg aber für gehbar.

"Aus einer Stille flüstert sich der Ruf"
Wieder einmal legst Du Deinen Finger auf eine Wunde, die grade verheilen wollte! Was habe ich an diesen beiden Eingangsversen von Strophe drei herum geformt, bis sie endlich, endlich so war, wie sie ist. Denn das Heraus-flüstern gehörte unbedingt dazu, dieses kaum wahrnehmbare Signal auf das LI alle Sinne richtet, nach dem es pausenlos in der Wahrnehmung der eigenen Körperfunktionen forscht. Der Anlass, der die Ängste zügellos ausbrechen lässt.
Offen gestanden kam mir das "fass" gar nicht in den Sinn. Im Gegensatz zum "friss" ist es jedoch sehr spezifisch ausgerichtet, zielorientiert auf ein spezielles Objekt, und nicht so schön zerfleischend - finde ich.
Allerdings gebe ich Dir Recht, vor allem auch nach der Herleitung des Hundes, "fass" wäre dem Sprachgebrauch nach gewohnter. Aber es impliziert auch ein übergeordnetes "Herrchen" meine ich, jedenfalls in stärkerem Maße als das Friss, das könnte man eher Trieborientiert sehen.
Du siehst worauf ich hinaus will: das völlig indifferente Gefühl der Bedrohung, das aus dem LI selbst entsteht und dem eine uneingeschränkte Macht verliehen ist, sollten die letzten Ketten reißen. Also die letzten Reste der Selbstbeherrschung verloren gehen.

Aus diesen Gründen werde ich den Text unverändert lassen, es sei denn, ich gelange zu neuen Einsichten. Dir Danke ich aber sehr für Deine gründliche und konstruktive Auseinandersetzung damit. So gabst Du mir wieder einmal die Gelegenheit, daran meine Gedanke zu formulieren.

Lieber Gruß
Ulrich
scalidoro (58)
(17.01.08)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Erebus ergänzte dazu am 18.01.08:
Hallo scalidoro,

ich bedanke mich für die Zustimmung! "Wesenhaftigkeit" - ja, auch wenn es ein etwas steifes Wort ist, dass trifft's. In dieser Art animalisch, triebhafter Verkörperungen schreibe ich ganz gerne, wenn ich so zurückschaue...
LG Ulrich

 Traumreisende (18.01.08)
Hallo
da gibt es derlei viele, die da lauern könnten und dieses nichtnennen dessen was da lauert finde ich besonders spanndend. vielleicht magst du mich für verrückt halten, aber sogar die liebe als positiver zustand könnte so beschrieben sein, wenn man sie gerade mal aus der ecke der enttäuschten betrachtet. angst, trauer, hoffnungslosigkeit... irgendwie tragen sie alle dieses im nacken sitzen und zur lawine werden wenn sie spielraum bekommen.

ich schreibe metrik nur aus dem gefühl eraus, deshalb kann ich dir keine handwerkliche analyse geben, nur, es fließt (für meinen Bauch )

lg silvi

 Erebus meinte dazu am 21.01.08:
Hallo silvi

interessant, dass Du diesen Text so viel weiter zu finden vermagst, als von mir gedacht. Doch, ich glaube schon, dass es möglich ist, das angekettet-Sein an derartige Attacken auch in anderen Ursachen zu finden, als nur der Angst.
Die Metrik müsste eigentlich stimmen, wenn man von einem Gleichmass ausgeht. Schön zu lesen, das es sich flüssig liest.
Danke schön, auch für die Auswahl zu einem Lieblingstext
Lieber Gruß
Ulrich
muse (22)
(20.01.08)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Erebus meinte dazu am 21.01.08:
Hallo S.
ich bin Deinem Hinweis gefolgt, konnte allerdings keinen Text zum schwarzen Schmetterling finden, allerdings glaube ich, die beschriebene Intention der Band in dem Zyklus vom schwarzen Schmetterling, ja, das könnte hinkommen.
Danke für Kommentar und Empfehlung
Lieber Gruß
Ulrich

 Martina (21.01.08)
Gut rübergebracht...Ja, die Angst trägt viele Gesichter...
Lg Tina

 Erebus meinte dazu am 22.01.08:
Hallo Tina - Dankeschön für's Lob! Liebe Grüße Ulrich
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram