Papa

Text

von  ZornDerFinsternis

Papa…,
es ist dunkel hier und mir ist kalt. Zwei kleine Zimmer in einer Stadt, die ich nie sehen wollte. Still und kalt ist es hier. Du bist nicht da, und ich weiß nicht, mit wem ich reden könnte. Drei winzige Kerzenlichter flackern im kalten Schwarz, und ich vermisse dich. Der Aschenbecher ist brechend voll, obwohl ich ihn erst gestern Abend ausgeleert habe. Müll stapelt sich über die zerfetzten Überreste meiner Träume. Meine Tränen sind zu Eis erstarrt, und empfinden kann ich nichts mehr. Neben meinem Bett liegt ein Messer, das mir täglich aus dem Alltag hilft. Das mir die Angst und den Hass nimmt – vielleicht, bald auch mein Leben. Ich kann nicht mehr. Ertrage es nicht, aufstehen zu müssen. Im Spiegel mein wiederwertiges Ich anstarren zu müssen. Hasse es, atmen; leben zu müssen. Die Menschen, die mir immer am Wichtigsten waren, wurden mir alle genommen – sind weit weg von mir. Du bist der einzige, dieser Menschen, der mir noch bleibt. Und doch findet dein Lachen, nicht seinen Weg, in meine Stille; meine Einsamkeit hinein. Wollte für dich kämpfen. Dir zeigen, dass auch ich; dieses nichtsnutzige, abscheuliche Wesen, etwas erreichen; etwas gut machen kann. Scheinbar, habe ich dich, und vor allem, mich, mit diesem Gedanken, belogen – es tut mir leid. Immer hattest du nur Ärger und Probleme, wegen mir. Angst und Sorge – aber die, habe ich niemals verdient. Wenn ich heute in deine Augen sehe, sehe ich dich noch immer lachen. Doch tief hinter diesem Lachen, liegt ein Meer von Tränen, Enttäuschungen und Fragen, die ich nicht beantworten werden kann. Ich habe dir das Lachen genommen, als ich diese Welt zum ersten Mal betreten habe – es tut mir leid. Alles, was ich jemals wollte, war dich glücklich, wirklich glücklich, zu machen – ich habe versagt – es tut mir leid. Worte und Zahlen, mit beidem kann ich nicht umgehen – ebenso wenig mit Gefühlen und Emotionen. Wenn ich jetzt weinen könnte, bräuchte ich das Messer in meiner rechten Hand in diesem Moment wahrscheinlich nicht, um etwas zu fühlen; zu wissen, dass ich ein schlechter Mensch bin. Jetzt erträgst du mich schon seit 18 Jahren, und ich habe dir nie etwas geben können. Kein Lachen. Keinen Funken Stolz. Keine Freude. Es tut mir leid. Alles, was ich noch kann, ist hassen. Saufen. Rauchen. Fressen. Kotzen. Enttäuschungen erbringen – Menschen, die ich liebe, unglücklich machen. Warum…, sag mir, warum kannst du mich noch immer nicht hassen? Wo bleiben die Schläge, die ich doch verdient habe? Das Geschrei, und der Wunsch, dass es mich nie hätte geben sollen? Wo die Vorwürfe, dass ich Schuld an Opas Tod trage? Warum bist du so gerecht, wo doch alle anderen nie über ihr Urteil nachgedacht haben? Wie kannst du mich Tochter nennen, wenn ich keine Modelmaße, keine schönen Augen und kein bisschen liebenswert bin? Drei Monate noch, dann ist Dezember. Wieder ein Jahr vorbei. Wieder nur Enttäuschungen und Sorgen, die ich dir bereitet habe. Ich schäme mich, und ich glaube, du weißt es. Es tut mir leid, und ich weiß, dass du das, in meine Augen eingebrannt, lesen kannst. Und es plagt mich all diese Schuld, die auf meinen brechenden Schultern liegt. All dieser Schmerz und die Angst. Zu versagen. Zu verletzten. Verlassen zu werden. Du bist alles, was ich noch habe. Der einzige Mensch, der mich ertragen kann, und ich frage mich, wie das geht. Es kommt mir vor, als würde ich wieder in diesem finsteren Tunnel meiner Jugend stehen. Hinter mir, verschlossene Eisentüren. Vor mir, kein Ausgang. Innen, kein Licht. Über mir, kein Himmel – kein Mond. Keine Sonne. Kein Stern – kein Engel, der über mir wacht. Der einzige Ort, an dem ich mich nicht alleine fühle, ist dieser mickrige Friedhof, im Wald. Dort liegen alle Scherben meiner Kindheit. Mein Lachen. Sein Lachen. Ihr Lachen. Das, von Markus und Lars. Schuldgefühle, zwingen als einzige, mein Herz zum Schlagen. Rauchen und Saufen, mehr kann ich nicht mehr. Die Therapie – genauso ausweglos und wertlos, wie dieses Leben. Bedeutungslos und armselig, wie die Tätowierungen und Narben – genau, wie ich. Alle Türen sind verriegelt. Kein Schlüssel passt. Mein Lachen habe ich verloren, als Oma ging. Es gab Tage, da kam es ganz langsam hierher zurück. Es blieb nicht lange, aber das hat auch nichts gemacht. Es gab Momente, da habe ich etwas wie „Freude“ empfunden, dass ich hier sein darf – auf diesem gigantischen „Spielplatz“ Welt. Tränen und Lachen wechselten – himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt. Selbstmord und Lebensfreude lagen in der Waagschale – gleichgewichtet. Heute, nach 18 einhalb Jahren. Da ist alles ganz anders. Die Welt – schlechter, boshafter, als gedacht. Verlogenheit und Intoleranz – überall. Als ich 13 war, habe ich das erste Mal dieses Licht, am Ende des Tunnels, blass schimmern sehen. Nur kurz. Ich wusste, dass Zögern keine Option sein würde. Alle Tabletten, die ich finden konnte kippte ich mit einer Flasche Wodka runter. Der Stahl pflügte sich wieder durch fettes Fleisch. Und, ich konnte meinen Traum wieder vor mir sehen. Konnte, aus dem Inneren heraus, wieder lachen. Habe mich glücklich, frei und unbeschwert gefühlt. Habe auf den langen Schlaf gewartet, aus dem ich nie mehr habe aufwachen wollen. Er kam nicht. Magenkrämpfe und Kotzen – zwei Tage lang. Ein verächtliches Lachen aus den Wolken. Siehst du, ich bin zu dumm, dieses Leben zu leben. Zu erbärmlich und dumm, mein Leben wegzuschmeißen. Weinen, kann ich immer noch nicht. Gestorben bin ich, als ich mit S. zusammen war. Da war viel zu viel. Und doch, viel zu wenig, um mich daran zu erinnern. Zu wenig Gutes. Ich weiß nichts mehr. Nur diesen einen Satz. Empfinde nur noch Kälte, wenn mich Menschen umgeben. Habe Angst. Sehe beim Einschlafen nur noch, diese dunklen, großen Augen. Wenn der Wind durch die Straßen brüllt, packen mich wieder seine Hände. Gefriere. Zerbreche. Will nur noch sterben. Schlafen, und nicht mehr aufwachen müssen. Dann, wieder das Messer. Wieder Blut. Eine Zigarette, zwei… Ich kann nicht mehr. Ich habe Angst. Angst, dass du irgendwann erfahren könntest, was passiert ist. Angst, dich zu verlieren – will dich nicht auch noch, nach Walhalla ziehen lassen, müssen. Es ist kalt. Die Kerzen brennen schon seit Stunden. Ihr Licht wird kümmerlicher. Mein Weg, zunehmend schwerer. Scheiß auf Antidepressiva – ich will nicht mehr. Scheiß auf Korn, Wodka, Tabletten… - es wird nicht mehr „besser“ werden. Ich lache vor dir. Aus Scham, zugeben zu müssen, dass ich nicht „glücklich“ bin. Dass ich mich nicht mehr „am Leben“ fühle. Angst, sagen zu müssen, was vor Jahren und vor ein paar Wochen, passiert ist. Ja, ihr habt alle Recht gehabt – ich bin klein und schwach. Das weiß ich. Ich kann kein Leben leben, weil ich keines mehr habe. Weil ich keine Freunde mehr habe – zumindest, nicht hier. Hier unten. Im Dreck. Im Schrecken des Lebens. Bitte, komm nicht auf die Idee, „Fehler“ und etwas wie „Schuld“ bei dir zu suchen. Du würdest nie etwas finden. Nie. Der einzige Fehler, der bin ich. Den einzigen Menschen, den Schuld trifft, der bin ich. Vielleicht kommt die Unbeschwertheit und das Lachen wieder zurück zu dir. Ich würde mir wünschen, dass du ein schöneres, besseres, sorgenfreieres Leben hast – ohne mich. Ohne Angst. Bitte weine nicht, das habe ich nicht verdient. Geh‘ weiter geradeaus – den Kopf nach oben. Ein Lächeln auf den Lippen und Glück im Herzen. Ich habe lange gewartet, dass etwas derartiges wieder den Weg in mein Herz fände. Naiv, nicht? Mach es gut, ich warte auf dich. Irgendwo da oben. Am Himmel, den ich nie sehen konnte. In Träumen, die ich nie gelebt habe. Werde dich beschützen, was mir bisher nie gelang. Ich habe Schuld, am Tod von fünf geliebten Menschen. Ich weiß nicht, ob wir uns dort oben treffen werden. Walhalls Pforten, werden mir wohl verschlossen bleiben. Und, auch, wenn ich wieder einsam sein muss, es kann nicht so grausam sein, wie dieses Leben. Ohne sie. Ohne dich. Glaube mir: Ich liebe dich.
Danke.

Anni


Anmerkung von ZornDerFinsternis:

Ich wünschte, es könnte so sein, wie gestern...

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Kommentare zu diesem Text

yodafan (47)
(04.09.09)
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Asvika (23)
(04.09.09)
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