Der Realität entkommt man nicht.

Text zum Thema Abschied

von  ZornDerFinsternis

Es war November, als sie aus der Klinik entlassen wurde.
Der Himmel wolkenverhangen und in dunkelstem Grau gezeichnet,
wie in jenen Tagen, als sie hier zum ersten Mal gewesen war.
Regen und winzige Schneeflocken wirbeln um ihren Kopf. Es ist kalt.
Den schwarzen, dünnen Mantel hält sie verbittert zu. Ihre Haut ist
aschfahl, bleicher, als Mondlicht in ihren Erinnerungen jemals gewesen ist.
Sie hat nichts bei sich. Keine Tasche. Keine Klamotten. Kein Handy.
Nichts. Sie geht so, wie sie gekommen ist. Mit nichts, außer den Kleidern am Leib
und den Schmerzen, die sich in ihre Seele eingenistet haben.
Langsam und unbeholfen tapst sie auf den Park zu. Das alte, restaurationsbedürftige Hospital
lässt sie hinter sich zurück. Kein Schulterblick. Innerlich zwingt sie sich, nicht zu weinen.
Keine Erinnerungen aufkeimen zu lassen. Nicht, dass dort nur Schlechtes mit ihr passiert wäre - nein.
Nur, immer dieses Schwelgen, in Dingen aus längst vergangenen Tagen, das hat sie früher schon umgebracht.
Heute steht diese Frau vor mir. Größer, als der Durchschnitt. Langes, strohblondes Haar. Und ein Paar
Augen. Mahagonifarbene Augen, die einstmals wunderschön gewesen sein mussten. Leere starrt einem entgegen.
So kalt, dass alle Schmerzen nahezu spürbar sind. So, als würden sie im nächsten Moment aus ihr heraus springen,
sich mit allen Mitteln aus ihr herausgraben, um direkt den nächsten Wirth zu befallen.
Ihre schmalen Lippen liegen fest übereinander. So fest zusammengepresst, das sie mit Sicherheit niemals
mehr einen Versuch wagen werden, Gefühle oder Ängste auszusprechen. Der Seidenschal weht mit jedem Schritt.
Die Parkbank unter der alten Eiche ist leer. Fast so, wie früher. Ein flüchtiges Lächeln eilt über ihr starres
Gesicht. Ihre Schritte werden langsamer. Die grüne Farbe auf der Bank, hat dem Wetter und dem Alltag kaum Stand gehalten. Keine Chance gehabt. Ebenso wenig, wie sie damals - früher. Sie senkt den Blick. Lässt ihre linke Hand sacht über das verrwitterte, splittrige Holz fahren. Die andere hält noch immer zitternd den Mantel zusammen.
Ein beklemmendes Gefühl. Hier. In diesem Park. An unserer Bank. Quasi eine Zeitreise, zurück, in unsere Jugend.
Eine Jugend, die nicht von langer Dauer war. Die viel von Leid, Hass, Schmerz, Gewalt und Ängsten geprägt war.
Wenige Tage, die es damals gab, an denen es sich so unbeschwert angefühlt hatte - das Leben.
So viele Tränen, die vergossen wurden. Aus Angst. Vor Schmerz. Aus Trauer. Die Sehnsucht, die mich damals übermannte, als ich an deinem Grab gestanden habe. Sie kommt leichten Schrittes zurück. Herangeilt.
Ich vermisse dich. Und auch in diesem halben Jahr, in diesem Haus, wo nur Kaputte abhängen, so wie ich, hat nichts auch nur im Entferntesten die Schmerzen gelindert. Kein Gedanke, der nicht irgendwie mit dir zusammen hing. So viele Orte habe ich schon gesehen. Nicht viele Länder, aber doch einige Städte und Dörfer. Habe versucht mich zu verlieren, um vielleicht irgendwo einen Teil von mir wiederzufinden. Du sagtest immer, man müsse sich erst verlieren, um sich zu finden. Man müsse alles verloren haben, um am Ende als Gewinner dastehen zu können. In die abgrundtiefsten Schluchten fallen, um irgendwann Mut und Kraft geschöpft zu haben, einen Hügel zu erklimmen. Wer das Schwarz des Tages in seinem Herzen spürt, der würde die blassen, anmutig klingenden Farben der Nacht lieben. Im tiefen Schneesturm, würde der Einsame Wärme empfinden und dem Leben nicht nachtrauern. In deinen Augen hat immer etwas so Besonderes gelegen. Immer hast du nach Wissen gestrebt und warst gerne bereit Lernender und Lehrender zu sein. Auf der Flucht vor meinem Ich, gelangte ich in die entlegensten Hinterhöfe meiner Seele. Dunkle Seelenkneipen mit Cocktails aus Gift und Alpträumen. Zigaretten und Alkohol sollten mir dabei helfen, dieses gewaltige Loch in meinem Herzen auszufüllen. Deinen Platz warm zu halten - nicht ersetzen - bloß freihalten. Bewachen. Jede Nacht, entzündete ich mit den Tränen meiner Seele, eine Kerze im dunklen Fenster. Damit du wieder zu mir finden könntest. Den langen Weg. Hierher zurück. In das Leben. Bin vor der Wahrheit geflohen. Mit schnellen Schritten. Mit Tabletten. Whisky. Zigaretten. Flasche um Flasche leerte ich. War, wie ein Fass ohne Boden. So leer und gleichzeitig von tausenden Schmerzen erfüllt. Von Schmerzen, für die es keine Heilung gibt. Unter meinen Füßen befand sich nichts. Kilometerweit, nur Wüste, Steppe - Einöde. Sterben und Leiden. Mehr hatte das Leben diesen Kinderaugen nie gezeigt. Ein tieftrauriges Kinderbuch, das mir das Schicksal vorgehalten hatte. Eine bittersüße Symphonie, deren Klänge am Schaffott zum Tanzen laden, und am Ende deinen Kopf erbitten. Manchmal, hatte ich keine Kraft. Mich aus dem Bett zu hiefen. Den Bademantel überzuwerfen, auf den Gang zu schleichen. Den Therapien beizuwohnen. Verbrachte Tage in meinem Zimmer. Wollte niemanden sehen. Nichts hören. Nichts sehen. Nichts essen. Nur da sein. Leiden. Einsamkeit fühlen. Es stimmt, der Schmerz hat mich zerbrochen. Aber über all die langen Jahre hinweg, in denen er bloß bei mir war. Sich niemand um mich scherte. In all der Zeit, sind wir so vertraut miteinander geworden...ich könnte ohne ihn genauso wenig sein, wie damals, ohne dich. Ich vermisse dich noch immer. Diese Tränen, an deinem Grab habe ich aus Verzweiflung geweint. Aus Angst. Hass. Aber, wenn ich heute auf dein Grab blicke, werde ich anders denken. Anders denken - aber die Gefühle, werden die gleichen sein. Es werden Tränen der Freude und der Erleichterung sein. Ich werde das Leben nicht mehr als Last mit mir durch den monotonen Alltag schleifen brauchen. Werde nicht mehr täglich in Alpträumen wandeln, aus denen keine Droge eine Ausflucht bieten kann. Werde wieder in deinen Armen schlafen können. Erfahren, was Geborgenheit war. Werde mir keine Schmerzen mehr zufügen müssen, um für einen winzigen Augenblick den schmerzlichen Verlust bei Seite drängen zu können. Nie mehr Alkohol und Schlaftabletten, um in traumlose Schlafuniversen zu entfliehen. Der Realität entkommt man nicht. Zumindest nicht lebendig... "Klick".

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Kommentare zu diesem Text


 Kontrastspiegelung (24.05.10)
Ich frage mich, wie ich mit erst aufgewachten Augen deinen Abschied bis zum schluss lesen konnte ^^

Dein fast inneres Monolog finde ich voll gut geworden.
Die Erzählung über die Hauptperson ist ziemlich Tiefsinnig mit Natur beschrieben, was mir um so mehr gefällt auch, wenn der Abschied depri, traurig ist.

mlg Konti

 ZornDerFinsternis meinte dazu am 24.05.10:
wow... und meine müden Augen strahlen voller Freude über deine wunderbar-lieben Zeilen :) Woooow...das ist wirklich so arg lieb von dir, vielen, vielen Dank.
In tiefer Dankbarkeit verbeugend und liebe Grüße hinterlassend,
Anni

 AZU20 (25.05.10)
Da steckt sehr viel drin ...von Abschied und Traurigkeit. LG

 ZornDerFinsternis antwortete darauf am 28.05.10:
Dankeschön... :) Freut mich immer wieder sehr, wenn die Emotionen, die rüberkommen sollen, auch ankommen :D

LG, Anni
blaubeermund (26)
(28.05.10)
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 ZornDerFinsternis schrieb daraufhin am 28.05.10:
Das ist wohl wahr, meine liebe Jules-Maus. Das ist wahr... ich hänge sehr an diesen Worten, und hoffe, dass ich die Bedeutung auch irgendwann umsetzen werden kann. Dann nehm' ich dich mit. In eine sonnige, warme Welt dort draußen vor dem Fenster. Denke oft und viel an dich, Liebes. Sei auch du bitte liebevoll umarmt. Anni
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