Donnerstags feiern wir. Morgen ist sie tot.

Text

von  ZornDerFinsternis

Es war Donnerstag. Abens. Vielleicht auch schon längst nach Mitternacht.
Wen kümemrte es? Es war sowieso seit langen Jahren alles egal.
Draußen, vor dem Club stank es nach Kotze. Verschüttetes Bier und Kippendunst
halfen ein wenig darüber hinweg, mich gleich in die nächste Ecke übergeben
zu müssen.
Hier war es irgendwie anders. So real. Drinnen, konnte man alles für ein paar
Stunden vergessen. Einfach trinken, bis nichts mehr ging. Von irgendeinem x-beliebigen Russen
für'n Fuffy ein paar bunte Glücklichmacher kaufen und das Leben ging auf, wie der goldene
Flammenball, den ihr auch gerne Sonne nennt.
Schnaps und Bier. Dröhnende Musik und lauter klapprige, mitleiderregende Gestalten um einen herum.
Das lässt einen irgendwie vergessen, wie beschissen man selber dran ist. Ist doch irgendwie immer so,
sobald es wem anders zum verrecken schlecht geht, freust du dir 'n Ast darüber, dass du nicht mit dem
Schädel so tief in der Scheisse hängst.
Naja, gibt immer Berg-und-Talfahrten im Leben. Mit sieben von der Mutter verprügelt, keine Freunde
in der Schule. Mit 9 mit der Alten in eine andere, fremde Stadt gezogen. Geschwister, Vater, Großeltern
und Hund zurücklassen. Keine Besuche. Nichtmal an Weihnachten. Tage und wochenlang nur geheult.
Kleines Mädchen mit knallroten Augen. Blaue Flecken haben den Sommer immer versaut.
Schwimmbäder hat man immer nur von außen gesehen. Kinder, die lachen. Familien, die Spaß haben. Das
Gelächter, das an meine tauben Ohren drang, hallt gerade neben dem Elketrobeat durch meinen Schädel.
Irgendwie streikt gerade alles. Ich klammer mich an das rostige, versiffte Treppengeländer. Die Stimmen
und das Gröhlen erreichen mich fast nicht mehr. Die Welt fängt an wieder glücklich zu werden. Mir geht's
beschissen. Aber ich weiß, dass die Gesundheit mir scheißegal ist, wenn ich wenigstens ein paar Stunden
diese geile Gefühl habe. Vielleicht überkommen mich ja dieses Mal diese abgefuckten Halos, die Paul neulich
erwähnte. Wen juckts? Ich habe eh nichts mehr zu verlieren. Außer der halben Schachtel Luckys und den 75 Cent
in meinem Portmonnaie.
Mein Magen krampft sich auf eine besonders fiese Art zusammen - Menstaurationsbeschwerden sind ein Scheiß
dagegen. Aber gut, leck' mich.
Die Gesichtszüge sind bestimmt mindestens so krass entglitten, wie bei diesen abartigen, pädophilen Zirkusclowns.
Würgend beuge ich mich vornüber. Schleierhaft umgibt mich schwarz und irgendwas zwischen grau und schimmligem
Joghurt.
Die scheiss Schmerzen fressen sich durch jede Faser. Aber draufgeschissen. Gleich kommen die bunten Wälder.
Die kreischendbunten Wälder, wo grüne Tiger wohnen und rosa Plüschhäschen Jagd auf Hyänen machen.
Wo weder Jahreszeiten noch Tag oder Nacht existieren. Da, wo es keine Schmerzen und keine Menschen gibt.
Dort, wo alles egal ist. So fernab von Realität, Tod und Sterben.
Ich liebe diese kaputte Welt. Mit schreienden Farben. Mit passierbaren Grenzen - ohne Existenzbarrieren.
Ohne all diese bekloppten Sorgen und Wünsche.
Es ist unglaublich, wie leicht und saftig die Farben schmecken. Besser, als jede Zigarette, die du je geraucht hast.
So schön der Tod auch in deiner Vorstellung sein mag, so nah und intensiv, wie jetzt, wird er nicht oft sein.
Es ist wundervoll, seine sanfte Stimme auf meinem Haar langkriechen zu sehen. Regenbogenfarben glänzen seine
Augen und singen ein zartes Schlaflied für die Sinne.
Katerreisen und Kiffertraumreisen sind schon was Wunderbares, aber es geht doch nichts über Speed und Heroin.

Es gab keine Bilder mehr. Der bunte Wald war verschwunden. Vielleicht genauso tot und ausgerottet, wie
die Regenwälder. Irgendwie kühl und einfach so real. Verschwommen. Verzerrt.

Ein Knäul Betrunkener stand vor der Discothek. Es war 02.30 am Donnerstag. Sirenen häulten auf. Stimmengewirr.
Jugendliche, die in die nächste Gasse kotzten. Blaues Neonlicht flackerte irgendwo, in unmittelbarer Nähe.
Ein Kreis Schaulustiger hatte sich gebildet. Eine Menschentraube, die auf einen leblosen Frauenkörper starrte.
"Mit der hätte ich wohl auch gerne noch...", lallte jemand.
"Es tut mir leid...". Mein Kopf war tierisch schwer und bestimmt kurz vorm Platzen. Ich traute mich nicht, den Blick
von ihrem verdreckten Körper zu richten. Ich spürte diese verdammte Kälte wiederkommen.
Sich langsam durch meinen Leib beißen. Meine Gedärme treten. Es half alles nichts. Es war vorbei.
Unsere letzte Party, bevor sie nach Berlin wollte. Es half nichts. Ich kämpfte gegen die Schreie in meiner
ausgetrockneten Kehle und den widerwertigen Brechreiz. Es half nichts mehr. Sie würde nicht mehr wiederkommen.
Sie trugen sie weg. Das Blaulicht flackerte dieses Mal nicht.
Ihr Lachen würde mich nie mehr auf meinem Weg "nach Hause" begleiten.

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Kommentare zu diesem Text

SigrunAl-Badri (50)
(04.07.10)
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 AZU20 meinte dazu am 05.07.10:
Ja, stimmt. LG

 ZornDerFinsternis antwortete darauf am 05.07.10:
Ich danke euch beiden vielmals für eure Zeilen und Anteilnahme an diesem Schicksal, das leider viele Menschen einholt und niederreißt. Liebe Grüße in eure Woche. Anni

 Dieter Wal (05.07.10)
Die Erählperspektive bereitet mir Schwierigkeiten. Wie kann ein Mensch, der gerade stirbt, schriftliche Aufzeichnungen über seine Drogenhallus hinterlassen? Die geschilderte Frau dürfte keine Notizen gemacht haben. Oder doch?

 ZornDerFinsternis schrieb daraufhin am 05.07.10:
Interessanter Gedanke, Dieter. Sicher magst du recht haben, aber ist doch mal was anderes. LG, Anni
Diro (50)
(17.07.10)
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