Grüner Tod für Zehn.

Erzählung zum Thema Drogen/ Alkohol

von  SunnySchwanbeck

"Kannst du verdammt nochmal, endlich dein Maul halten?" Mit aller Kraft drücke ich meine Finger in meine eiskalten Ohren, und schließe meine Augen, ich will die Panik in ihren  nicht sehen. Meine Fingernägel krallen sich in ihre billige Leopardendecke, während mein Gehirn mit einer hauchdünnen Schicht Quecksilber überzogen wird und sich so anfühlt, als würde es von innen brennen. Sie hackt auf ihr Handy ein, jeder Tastendruck fühlt sich so an, als würde sie kleine, fette Maden zerquetschen. Ich fange an, meinen Körper säuberlich von meiner Haut zu trennen, sacke schließlich als zuckender Fleischklumpen in meiner Hülle zusammen, und sage mir immer wieder "Jeder Trip geht vorbei, jeder Trip geht vorbei, jeder Trip geht vorbei." Ich verharre lange, in einer Art ängstlicher Embryostellung, meine Gedanken fahren Achterbahn, ohne Anschnallgurte, und vollkommen betrunken. Mein Herz rast. Es hämmert gegen meine Rippen und randaliert in meinem Brustkorb, ich würde es ja gehen lassen, wenn du nicht wärst.

Ich habe Angst. Die Farben um mich herum verschwimmen wie Malfarbe in einem Wasserglas, alles ist unglaublich laut, bunt, grell und viel zu hektisch. Ich fange an mein Leben Revue passieren zu lassen.
Da war mal ein Polizist im Kindergarten, mit einer Fuchshandpuppe der gesungen hat und eine große Nase hatte. Mit fünf bin ich mal von einer Schaukel gefallen und hab mir den Arm verstaucht. Fahrrad fahren lernen im Park. Schulaufführungen und Sportfeste. Liebesbriefchen und Zahnlückenlächeln. Klassenfahrten. Verliebt in diesen einen mit dem roten Pulli, erster Herzschmerz. Tagelang durch Düsseldorf laufen. Leben in Bahnhaltestellen und Kaufhäusern. Das erste Bier. Tanzen mit roten Wangen und großen Augen auf der ersten Party. Regentage und eine warme Hand in meiner. Küsse. Hände unter meinem Shirt, dunkle Kinosäle. Der erste Wodka. Hohe Schuhe und zu viel Lidschatten, glitzernde Tops und Pushupbhs, fremde Lippen an meinen, Zigarettenrauch, dröhnende Bässe. Klarkommen in Zügen, grüner Tod für Zehn. Den Bahnsteig rauf und runter tanzen. Pall Mall. Zitternde Hände bei der Übergabe, alles dreht sich, Lachflash. Wodka reicht schon lange nicht mehr. Der zweite am Tag, starren auf Parkbänken, versinken im Sternenhimmel, verloren in Lethargie. Durchs Zimmer tigern, Ohropacks, zu viel Schlaf, kein Appetit. Vierter am Tag, Tod für Zwanzig. Nichts reicht mehr. Blackout.

"Ich hab ne scheiß Angst, man. Was ist los mit dir?" Ihre verzerrte Stimme reißt mich aus meinen Strudel aus Erinnerungen und ich habe das Gefühl zarte Risse schlagen sich durch mein Gehirn. Ich versuche ihr zu erklären dass meine Venen einfrieren und jemand Synapsen in meinem Hirn fällt wie morsche Bäume. Mehrmals stolpere ich beim erzählen über meine Lippen und wiege mich hin und her, die Welt dreht sich falsch rum und sie scheint es nicht zu merken.
"Scheiße, das war doch nicht mehr als sonst? Was ist denn los man. Beruhig dich, du musst dich beruhigen." Ihre Augen werden immer größer und größer, sie nehmen jetzt schon fast ihr ganzes, rundliches Gesicht ein und sehen aus wie zwei große, braune Käfer. Etwas tropft auf meine weißen Hände, ich weine. Ich hab vergessen wie sich die Geräusche dabei anhören, die Raufasertapete zeigt irre blickende Menschen. Sie drückt mich an sich, meine Beine zucken, wo fange ich an, und wo höre ich auf? Ist das mein Arm dort? Träume ich das? Wieso ist alles transparent?
Ich gebe mir Ohrfeigen, doch ich höre nur das Klatschen. Kein Schmerz, das kribbeln unter meiner Haut fühlt sich an wie tausend Ameisen, trockene Augen. Dann; Schwärze.

Das wars. Nach dem Tod gibt es keinen Himmel, man sieht niemanden wieder. Es bleibt nichts anderes übrig als dein fetter, zugedröhnter Körper der in irgendwelchen Milbenverseuchten Betten klebt. Das wars. Ich werde ihn nie wieder sehen. Niemanden. Nie wieder Himbeereis. Nie wieder Karussel fahren. Nie wieder Sand unter den Füßen. Nie wieder Wind im Haar. Das wars. Grüner Tod für 16 Jahre.

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