Harte Zeiten

Erzählung zum Thema Leben

von  Sekundärstille

„Harte Zeiten“
Jan Hemmerich

Der Mann bewegte sich sehr vorsichtig.
Langsam schob er seinen Einkaufswagen durch die schmalen Gänge vor sich her. Links und rechts von ihm standen, akribisch sortiert, Gläser mit Gurken, eingelegten Paprika und Erbsen. Soßenbeutel für Hühnerbrühe wie hausgemacht und Plastikpackungen mit Nudeln.
Er ging weiter durch den kleinen Supermarkt. Sein Blick schweifte über Ständer mit Schokoladenriegeln und Butterkeksen, neongrünen Plastikpackungen mit süßen Fruchtgummis und Tüten voller zuckrigen Bonbons.
Leise lief im Hintergrund irgendein lokaler Radiosender, indem sich der aufgeregte Moderator gerade fragte, wann denn endlich der Sommer kommt, schließlich sei schon ende Mai.
Da war auch das Rattern der alten Kühltruhen, aber der Mann hörte nicht darauf.
Er hielt seinen Wagen vor einem der Regale, in dem nebeneinander dicht an dicht Dosen standen. Da waren Ravioli, Erbsensuppe, Linseneintopf. Seine Hand zitterte, als er eine Dose Eintopf aus dem Regal nahm. Sie fühlte sich kalt und schwer an.
Vorsichtig blickte er sich um. Außer ihm war kein Kunde in dem kleinen Geschäft. Der Mann öffnete den Rucksack, der in seinem Wagen lag und ließ die Dose blitzschnell darin verschwinden.
Dann wischte er sich mit der Hand über die Stirn, auf der kalter Schweiß lag. „Was mache ich hier nur“ flüsterte er mit tonlos zittriger Stimme zu sich selbst.
Er schob den Wagen weiter, ein paar Gänge, dann stand er vor der Kühltruhe, mit ihren silbrigen Chromleisten und der diffusen Kälte, die sie ausstrahlte. Wieder glitt seine Hand hinein, griff nach einer Packung Butter. Auch die Butter lag später nicht im Wagen, sondern in dem Lederrucksack, der darin stand.
Die Frau an der Kasse, eine junge Schülerin aus dem Nachbardorf, sah von ihrer Zeitung auf, als er eine Flasche Wasser auf das Band stellte.
„Na, Herr Zimmermann, nur das Wasser?“ sagte sie freundlich und lächelte ihn an.
Er erschrak und musste den instinktiven Drang, sich den Schweiß von der Stirn zu wischen unterdrücken.
„Ja“ begann er stotternd, um Fassung bemühend, „in dem Rucksack sind nur Akten, von der Arbeit“ erklärte er. Aber das war dem Mädchen egal.
Sie tippte den Betrag der Wasserflasche in die polternde Registrierkasse und sprach irgendetwas von Pfand.
„Ja, ja“ sagte der Mann ungeduldig und holte aus seinem Portemonnaie ein paar Münzen. Sie gab ihm heraus. „Danke“ sagte er und schob seinen Wagen an der Kasse vorbei.
„Herr Zimmermann“ rief plötzlich eine dunkle Männerstimme. Paul, der Ladenbesitzer stand in der Türe seines Büros gegenüber der Kasse.
Er war klein und etwas korpulent, aber kräftig und trug eine weiße Schürze über seinem Arbeitsoverall.
Der Herzschlag des Mannes wurde schneller, raste sogar. „Ich muss weiter“ rief er zurück, aber die Worte brachen in Zittern ab.
„Kommen sie doch mal rein.“ Pauls Stimme klang bestimmt, aber auch überrascht, mit einem Anflug von Unsicherheit.
Der Mann ging langsam und vorsichtig, Schritt für Schritt auf die schmale Bürotüre zu.
„Kommen Sie nur mal kurz hier rein“ sagte Paul nun mit gedämpfter Stimme und fasste den Mann am Oberarm. Seine kräftige Hand konnte freundschaftlich wirken, aber auch an der Umkehr hindern.
Als der Mann in den kleinen Raum trat, schloss Paul die Türe.
Für einen kurzen Moment war nur das Ticken der alten Wanduhr und ein Surren, das die flackernde Leuchtstoffröhre an der Decke von sich gab zu hören.
„Wir kennen uns schon lange, Herr Zimmermann“ sagte Paul langsam.
„Ja“ antwortete der Mann kurz. Er stand da, in der einen Hand den ausgebeulten Rucksack, in der anderen das Mineralwasser. „Es tut mir wirklich leid, ich weiß gar nicht...“ begann Paul und fasste sich unsicher an seinen Kopf.
Der Blick des Mannes war auf die Türe hinter ihm gerichtet, wirkte leer.
„Öffnen Sie den Rucksack, bitte“ sagte Paul. Der Mann tat, als hätte er nichts gehört. Sein Blick galt nur der Türe. Schweiß rann in dicken Tropen über seine Stirn und ließ das Haar strähnig werden.
„Den Rucksack öffnen“ befahl Paul nun mit kräftiger Stimme.
Wie ein Ruck ging der Schreck durch den Mann, so stark, dass er beide Hände entspannte und der Lederrucksack scheppernd zu Boden sackte. Die Glasflasche zersprang und sprudelndes Wasser bildete eine Pfütze zwischen den Männern.
Paul wartete nicht auf eine Reaktion des Mannes, sondern bückte sich nach dem Rucksack und öffnete ihn.
So standen sie inmitten der Wasserpfütze, vor Ihnen die geöffneten Tasche, voll mit Produkten aus Pauls Laden. Es war still, bis auf  das Ticken und Summen und ein Bitzeln des Sprudelwassers auf dem Linoleum.
Der Mann sank zusammen und da war nur der Schreibtischstuhl aus Plastik, der ihn hielt.
Auf dem saß er nun, den Kopf in den Händen vergraben.
Paul hatte mit einem Satz wie „ich hätte es noch bezahlt“ gerechnet, aber diesen Satz hörte er nicht. „Warum haben Sie das nicht bezahlen wollen?“ fragte er den Mann leise, während er langsam Produkt für Produkt aus der Tasche zog und vor dem Mann auf den Schreibtisch stellte.
„Von was denn?“ die Stimme des Mannes war leise und zittrig. Man konnte deutlich hören, wie er versuchte, gegen ein Schluchzen anzukämpfen.
„Sie arbeiten doch drüben, in der Computerfirma als Schichtleiter?“ fragte Paul. Er hatte davon gehört, seine Frau arbeitete dort im Büro.
„Nein“ sagte der Mann und nun sah er zu Paul auf.
Herr Zimmermann kam Paul immer groß, stattlich, wohlhabend vor. Mit den Anzügen, dem Haus oben in der Neubausiedlung und einem neuen Auto. Aber jetzt wirkte er klein, verletzlich, so als sei jeder Widerstand gebrochen, dachte Paul.
„Sie haben mir schon vor einem halben Jahr gekündigt“ schluchzte der Mann. Er versuchte, die Tränen, gegen die er nun nicht mehr ankämpfen konnte, wegzuwischen, zu verbergen, aber es gelang nicht. „Einfach so, weil die Abteilung geschlossen wird.“
„Das wusste ich nicht“ sagte Paul und fuhr sich durch die Haare.
„Ich habe gleich danach angefangen, mich zu bewerben“ begann der Mann zu erzählen. „Aber ab Vierzig nehmen sie Dich nicht mehr. Emma konnte ich nichts erzählen.“ Nun weinte er wirklich. „Das ist ihre Frau, sie haben Ihrer Frau nichts davon erzählt?“ Paul hatte mit einem Mal Mitleid mit seinem Gegenüber.
„Nein, ich habe Ihr nichts erzählt. Wegen der Arbeit sind wir doch hierher gezogen. Das Haus ist noch lange nicht bezahlt, die Familie, alles hing an dem Gehalt von der Computerfirma“ er machte eine Pause und sah zu dem vergitterten Fenster hinaus auf die Hauptstraße.
„Ich habe dann angefangen, von der Ersparnissen zu nehmen. Um die Kreditraten weiter abzubezahlen, um einkaufen zu können. Natürlich musste ich weiter jeden Morgen aus dem Haus, sie und die Kinder wussten ja nichts davon. Ich bin ziellos mit dem Wagen durch die Stadt gefahren, habe überall nach Stellen gefragt. Aber alle sagen, es seien harte Zeiten, da können sie nicht einstellen.“
Paul wusste nicht, was er sagen sollte, ihm fehlten die Worte.
„Irgendwann, vor ein paar Tagen waren dann die Ersparnisse weg. All das Geld, mit dem wir in Urlaub wollten, oder das wir für die Kinder hatten“ der Mann schluchzte und fügte hinzu „Weg.“ „Dann ist das Konto ins Minus gegangen“ nun weinte er wieder, die Tränen bahnten sich ihren Weg über das rote Gesicht, den Hals, um dann hinter dem Hemdkragen zu verschwinden.
„Und dann haben sie geklaut?“ fragte Paul und schluckte.
„Es tut mir so leid“ flüsterte der Mann.
Er stand auf, schwankte erst etwas, dann fand er halt und ging auf die Türe zu. Paul wich zur Seite. Die Türe öffnete sich quietschend und schloss sich. Paul war allein, er betrachtete den abgegriffenen Rucksack auf dem Boden, die Lebensmittel auf seinem Schreibtisch. Normale Sachen, kein Luxus, Lebensmittel für den Alltag.
Sein Blick ging zum Fenster. Der Mann war gerade aus dem Geschäft gekommen und nun auf der Hauptstraße. Er lief gebückt und mit langsamen Schritten. Paul sah im nach, bis er hinter den Häusern, die die Hauptstraße umgaben verschwunden war. „Harte Zeiten“ murmelte er.


Anmerkung von Sekundärstille:

Nach Anregungen von Skala hier Version 2 des Textes

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Kommentare zu diesem Text


 Skala (22.06.14)
Hallo Sekundärstille,

Erst einmal herzlich Willkommen in der Anstalt und viel Spaß im Folgenden. :)

Dein Einstiegstext hier hat mir nicht schlecht gefallen, will heißen, er ist flüssig geschrieben und ich konnte ihn in einem durchlesen und vor allem zu Ende lesen. Nichtsdestotrotz hapert es für mich an einigen Stellen noch sehr, was die Sprache und die Rechtschreibung betrifft. Was Letztere angeht, da solltest du selbst noch einmal drüberschauen, da fehlen teilweise Buchstaben am Wortende, -e's und -n's, oder Personalpronomen (ihr, sie) sind großgeschrieben und persönliche Anreden (Ihr, Sie) kleingeschrieben, wo es andersherum sein sollte, alles so Sachen, die das Rechtschreibprogramm am PC nicht anmäkelt. Da bedarf es ganz klar noch einmal einer Korrektur von deiner Seite (die alle hier jetzt aufzulisten wäre ein bisschen zu viel Arbeit).

Bei den sprachlichen Problemen helfe ich dir mal ein bisschen auf die Sprünge:

Langsam schob er den leeren Einkaufswagen durch die schmalen Gänge vor sich her. Links und rechts von ihm standen akribisch sortiert Gläser mit Gurken, eingelegten Paprika und Erbsen. Kantige Soßenbeutel, die man nur zwei Minuten in Wasser aufkochen sollte, um eine Hühnerbrühe wie hausgemacht zu erhalten. Er ging weiter durch den kleinen Supermarkt, sein Blick schweifte über Ständer mit Schokoladenriegeln und Butterkeksen, neongrünen Plastikpackungen mit süßen Fruchtgummis, bunten Tüten voller zuckriger Bonbons.
Ich habe dir hier mal alle Adjektive markiert, die du in dem kurzen Abschnitt benutzt (mehr als zehn an der Zahl). Ich schätze, etwa die Hälfte davon ist überflüssig, besonders die in der letzten Hälfte. Bei Adjektiven würde ich mich immer fragen, ob sie notwendig sind, oder dem, hmm, ich sag mal sprachlichen Aufpushen dienen. Fruchtgummis sind meistens süß, wohingegen die Packungen ja schon mehr Farben aufweisen, als nur neongrün, und Bonbons sind meistens zuckrig. Inwieweit Soßenbeutel kantig sind, na, ich weiß nicht, der Vergleich passt nicht ganz für mich, und eigentlich kann jeder Leser mit solchen alltäglichen Produkten selbst etwas anfangen, ohne zu genaue Beschreibung (btw: Brühe aus Beuteln? Suppe könnte ich ja nachvollziehen, aber gibt es pure Brühe nicht eher als Würfel oder im Glas?). Also, an dieser Stelle (und auch auf den gesamten Text bezogen) würde ich drastisch kürzen was Adjektive und Füllwörter angeht.

Er hatte davon gehört, weil seine Frau dort im Büro war.
"War" würde ich hier durch "arbeitete" ersetzen.

Er war klein und etwas korpulent, trotzdem jedoch kräftig und trug eine weiße Schürze über seinem dunkelblauen Arbeitsoverall.
Die Kombination von trotzdem und jedoch finde ich nicht so gelungen. Ich würde eher "Er war klein und etwas korpulent aber dennoch kräftig..." schreiben.

„Nein“ sagte der Mann und nun sah er zu Paul auf. Er kam ihm immer groß, stattlich, wohlhabend vor, mit den Anzügen, dem Haus oben in der Neubausiedlung und dem Auto. Aber jetzt wirkte er klein, verletzlich, so als sei jeder Widerstand gebrochen, dachte Paul.
Hier gibt es ein Problem mit der Perspektive. Im ersten Satz ist der Mann das handelnde Subjekt, er schaut Paul an. Im zweiten Satz ist dann aber auf einmal der Mann derjenige, der angeschaut und begutachtet wird, was man aber durch "dachte Paul" erst im dritten Satz erfährt. So gesehen ergibt der ganze Absatz keinen Sinn. Ich würde es vielleicht so handhaben:
"Nein", sagte der Mann. Paul schaute auf ihn herab. Er kam ihm immer...
Und so weiter. Das "dachte Paul" würde sich dann erübrigen.

„Sie haben mich schon vor einem halben Jahr gekündigt“ schluchzte er.
Es müsste "mir gekündigt" heißen.

Die Glasflasche zersprang und sprudelndes Wasser bildete eine schäumende Pfütze zwischen den Männern.
Paul wartete nicht auf eine Reaktion des Mannes, sondern bückte sich nach dem Rucksack. Er öffnete den metallenen Griff. Dann ging er wieder hoch. So standen sie inmitten einer Wasserpfütze, vor Ihnen die geöffneten Tasche, die voll war von Produkten aus Pauls Laden. Es war still, bis auf das Ticken und summen und ein Bitzeln des Sprudelwassers auf dem alten Linoleum.
Hier frage ich mich, inwieweit man Mineralwasser auf dem Boden als "schäumend" bezeichnen kann... Das verbinde ich eher mit Mentos in Cola oder einer aus der Hand geflutschten Badeschaumflasche... und was ist ein "Bitzeln"?
Des Weiteren: "Dann ging er wieder hoch." Wohin ging er? Eigentlich richtet er sich wieder auf, oder? Allerdings würde ich diesen Satz ganz streichen, kein Mensch erwartet, dass Paul bis zum Ende der Story einen auf Quasimodo macht.
Und "Summen" bitte genau so wie "Ticken" groß.

Der Mann war gerade aus dem Geschäft gekommen und nun auf der Hauptstraße.
"Kommen" ist immer eine Bewegung auf etwas oder jemanden zu. In diesem Fall sieht Paul den Mann sich allerdings entfernen, also solltest du es besser etwa so beschreiben: "Der Mann hatte gerade das Geschäft verlassen..."

Das war's erst einmal mit meinen Anmerkungen. Ich hoffe, du kannst etwas damit anfangen. Wegen der Rechtschreibfehler solltest du selbst noch einmal über den Text schauen. Man merkt dem Text an, dass du gerne schreibst, aber ein bisschen mehr Sorgfalt wäre wohl vonnöten. :)

Liebe Grüße, ein schönes Wochenende und hoffentlich viel Spaß auf kein Verlag wünsche ich dir,
Skala.

PS: Bin noch gar nicht auf den Inhalt eingegangen. Ich finde, die soziale Kritik, die in dieser Geschichte steckt (Einsparung durch Kündigung, schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt für ältere Arbeitssuchende) versteckt sich sehr schön hinter dem persönlichen Schicksal. Das finde ich hier gar nicht schlecht gelöst. :)
Ach, und noch etwas: Ich würde ein paar Absätze setzen, gerade in den Passagen mit der wörtlichen Rede, das gehört sich nicht nur so, das würde auch das Lesen ungemein erleichtern. ;)
(Kommentar korrigiert am 22.06.2014)

 Sekundärstille meinte dazu am 22.06.14:
Hallo Skala!
Ich hatte diesen Text schon länger geschrieben und hatte ihn heute, ohne ihn nochmal groß durchzuarbeiten, hier hochgeladen.
Als ich Dein Kommentar gelesen habe, war ich erstaunt: Du hast einiges gefunden, das mir aber einleuchtet und das natürlich verbessert werden müsste! Ich danke Dir, dass Du Dir die Zeit genommen hast, für diese ausführliche Analyse.
Ich werde an dem Text arbeiten und dann "updaten"!
Viele Grüsse, Jan

 Lluviagata antwortete darauf am 28.06.14:
Gute Geschichte; grandioser Kommentar von Skala!

Liebe Grüße
Llu ♥

 Dieter_Rotmund schrieb daraufhin am 05.07.14:
Nun, erst einmal herzlich willkommen auf kV.

"....ohne ihn nochmal groß durchzuarbeiten, hier hochgeladen."
Das ist so eines der Grundprobleme hier; ich als Leser und Kommentator möchte anmerken, dass ich keine Lust habe, einen Text nochmals zu lesen, und sei er auch noch so intensiv überarbeitet. Da lese ich doch lieber einen Text, bei dem ich von Anfang an merke: Da hat jemand sehr sorgfältig geschrieben und uns den Text nicht einfach so unbesehen vor die Füße bzw. Augen geworfen.
Nichts für ungut, ist nur die harte Realität!

 Sekundärstille äußerte darauf am 11.07.14:
Hallo Dieter!
Ich danke Dir für Deine offenen Worte.
Es ist dein gutes Recht -schließlich zwingt Dich ja
niemand meinen Text zu lesen.
Viele Grüsse, Jan
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