Teil 29

Roman

von  AnastasiaCeléste

Er fuhr mit dem Fahrstuhl ein paar Stockwerke tiefer. Sein Ziel war Colbys Zimmer.
Vorsichtig klopfte er an, doch die Reaktion blieb aus.  Um diese Uhrzeit war die Wahrscheinlichkeit sie hier anzutreffen eigentlich sehr groß, sodass er erneut klopfte.
Dieses Mal war er etwas energischer. Er hörte ein gedämpftes „herein“, woraufhin er in ihr Zimmer schlüpfte.
Colby lag auf ihrem zerwühltem Bett, eingehüllt in einen Satin-Morgenmantel. Ihr dunkles Augen-Make-Up von letzter Nacht hatte sich bizarr unter ihren Augen verteilt.
Sie begrüßte ihn mit einem schwachen Lächeln und deutete ihm, neben sich Platz zu nehmen.
Ave sah es sofort. Ihr Blick war vernebelt, nicht ganz im Hier und Jetzt.
Außerdem wirkte sie unendlich Müde. „Hey Colby, sieh mich an.“ Er legte ihr eine Hand an die Wange und wartete darauf, dass sich ihre Blicke fanden. Sie schmiegte ihren Kopf in seine Hand und tat was er wollte. „Was hast du nur getan?“, flüsterte Ave und beugte sich zu ihr hinunter. „Tut mir leid. Ich brauchte das heute einfach“, begann sie zu erklären, bevor ihr die Tränen in die Augen stiegen. Ihr Anblick besorgte ihn. „Was ist passiert?“ fragte er einfühlsam, auch wenn er innerlich aufgeregt war.
Colby zögerte. Die Erinnerungen an die letzte Nacht waren zu schmerzvoll. Ave küsste ihre Stirn. „Bitte Kleine, erzähl es mir“, forderte Ave sie auf. Die junge Frau versuchte den Kloß in ihrem Hals zu lösen und begann zaghaft  zu sprechen: „Dieser Freier heute Nacht…Er hat mich ans Bett gefesselt. Ich, ich konnte nichts tun.“ Sie brach ab, als ihr die Tränen über die Wange liefen. Der Nebel, der sie einhüllte, machte es ihr schwer, klare Gedanken zu fassen. Ave hielt die Luft an. Er spürte diese kribbelnde Wut in seinem Magen aufsteigen. Colby schluchzte leise, während er ihr beruhigend über das Haar strich.
„Bevor ich jemanden rufen konnte, hatte er mir den Mund verbunden.“ Ihre Stimme war von Tränen erstickt. Ihre zarten Finger klammerten sich an ihn, als fürchtete sie, er würde sie direkt wieder verlassen. „Der Mistkerl hat mich über Stunden vergewaltigt. Ich sehe schrecklich aus“, klagte sie mit verzerrter Stimme.
Ave war in jeglicher Bewegung erstarrt. Er konnte nicht fassen, was sie ihm erzählt hat. Natürlich gingen diese Männer hier nicht zimperlich mit den Mädchen um. Die jungen Frauen mussten hier viel ertragen, aber das war etwas, das zu weit ging.
Langsam ließ er sie los und schob vorsichtig den Morgenmantel von ihrem Bein.
Ihr Oberschenkel bis hoch zu ihrer Hüfte war übersäht mit blauen Flecken. Erst jetzt bemerkte er auch die dunklen Abdrücke an ihren Handgelenken.  Sanft zog er den feinen Morgenmantel von ihrer Schulter und blickte auf ein grobes Muster von Flecken in zarten Gelb- und Lilatönen, verstreut über ihren Hals und ihrem Dekolleté.
Ave musste sich vor ihr zusammenreißen. Wenn dieser Kerl jetzt vor ihm gestanden hätte, er hätte ihn eiskalt erschossen. Ohne zu zögern. Aber stattdessen lief er irgendwo herum und ergötzte sich an seiner Tat.
Colby ließ sich zurück auf ihr Kissen sinken und sah ihn an. Sie war betäubt von dem Gift, das durch ihre Adern floss. Mit dem Handrücken wischte sie sich die Tränen weg und verwischte ihre Schminke dabei nur noch mehr.
„Wie geht es dir körperlich? Hast du Schmerzen?“, wollte Ave wissen.
Die junge Frau schüttelte schwach den Kopf. „Nein. Ok, eigentlich ja, aber…gerade merke ich davon nicht so viel“, sagte sie.
Ave seufzte leise. Es gefiel ihm ganz und gar nicht, dass Colby von Corvins Goldstaub Gebrauch machte. Aber wenn es ihr für eine Weile die Schmerzen und Erinnerungen nahm, war das hier das Beste, das ihr in diesem Moment helfen konnte.
Ave verschränkten seine Finger mit ihren. „Es tut mir so leid Colby, dass ich dir nicht helfen kann“, gestand Ave mit einem schlechten Gewissen.
„Ich weiß, du würdest, wenn du könntest.“ Sie versuchte es mit einem schiefen Lächeln.
„Ich weiß nicht, wie ich heute Nacht arbeiten soll“, sagte sie leise.
„Das wirst du nicht“, antwortete Ave bestimmt. Als er den Einwand in ihrem Blick kommen sah, schüttelte er den Kopf. „Ich werde dafür sorgen, dass du die nächsten Tage deine Ruhe hast. Jemand hier schuldet mir noch etwas.“
Als er an diesen Kollegen dachte, dem er vor einiger Zeit aus einer unangenehmen Situation geholfen hatte, war er sich nicht sicher, ob er ihm wirklich trauen konnte. Aber das Risiko war es ihm in diesem Fall wert.
Ave vertröstete Colby für ein paar Minuten.
Er ging hinunter in den Club und suchte nach demjenigen, der für die Einnahmen der Mädchen zuständig war. Er hatte im Blick, wie oft jedes Mädchen mit einem Freier aufs Zimmer verschwand und somit was er letztlich einkassieren würde.
Es dauerte nicht lange, bis er ihn fand. In seinem kleinen Glasbüro am Hauptdurchgang zu den oberen Stockwerken, bereitete er alles für den nächsten Abend vor.
Ohne große Umschweife betrat er das kleine Büro und zückte ein Bündel Scheine. „Colby wird den Rest der Woche keine Freier empfangen. Du wirst dieses Geld hier schön unauffällig auf die einzelnen Tage für sie verteilen und stellst keine Fragen.“
Der Mann, der ihm gegenüber saß, war sichtlich überrumpelt. Er starrte abwechselnd das Bündel Scheine und Ave an.
„Warum? Was ist denn los mit ihr?“, wollte er wissen. „Du stellst ja doch Fragen“, warf Ave hörbar gereizt ein. „Das hat dich jetzt einfach mal nicht zu interessieren. Wenn du es so sehen willst, kaufe ich sie für ein paar Tage. Sie gehört also mir.“ Ave wartete ab, für den Fall, dass der Kerl ihn noch immer nicht verstanden hatte. „Und das bleibt unter uns, klar? Wenn jemand Fragen stellt, wo sie ist oder so, verweist du auf mich. Du schuldest mir noch was, wie du sicherlich nicht vergessen hast.“ Ave hatte sich bedrohlich über ihm aufgebaut und verlieh seinen Worten mit einem weniger freundlichen Blick die nötige Intensität.
Der Typ nickte eifrig und nahm das Geld. Ave hoffte inständig, dass der Kerl die Klappe halten würde. Er hatte mit Asher schon genug Aufmerksamkeit auf sich gezogen.
Ohne einen weiteren Blick rauschte Ave davon.
Als er wieder in Colbys Zimmer eintrat, war sie eingeschlafen.
Er setze sich vorsichtig neben sie und beobachtete eine Weile, wie sich Ihr Brustkorb sanft und regelmäßig hob und senkte.
Wenn er sie wirklich hätte freikaufen können, er hätte Corvin sofort alles Geld vor die Füße gekippt, das er jemals von ihm bekommen hatte. Aber es wäre zu einfach gewesen.
Ave entschied sich dafür, Colby nicht zu wecken. Der Schlaf würde ihr gut tun. Er suchte nach einem Stift und einem Zettel und erklärte ihr knapp, dass sie den Rest der Woche aus der Sache raus war. Er faltete den Zettel zu einem kleinen Viereck zusammen und legt ihr die Nachricht in die Handfläche, bevor er ging.

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Kommentare zu diesem Text


 TrekanBelluvitsh (05.09.15)
Hier findet Ave eine Lösung, die eigentlich keine ist, denn auch diese Woche geht vorbei. Eindringlich die Hoffnungslosigkeit geschildert.
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