Nacht mit Kafka

Kurzprosa

von  Oreste

Ein mit bloßem Auge kaum wahrnehmbarer Käfer rast mit einer Geschwindigkeit von zwei Zentimetern pro Sekunde über die Seite vierundzwanzig aus Kafkas Verwandlung. Das Tier jagt kreuz und quer entlang der Zeilen und zwischen ihnen hindurch. Nach etwa anderthalb Minuten wechselt es auf Seite fünfundzwanzig, um das gleiche Spiel von Neuem zu beginnen. Es scheint verzweifelt nach einem Ausgang aus dem Buch zu suchen. Unermüdlich verfolge ich sein Bestreben.

Irgendwann – nach einigem Hin und Her unterdes wieder auf der Vierundzwanzig umherirrend – kommt das winzige Geschöpf auf dem Wort Ohnmacht zum Stehen. Mir ist, als hörte ich ein leises Seufzen. Für einen Augenblick ziehe ich in Erwägung, das Buch aufgeklappt auf meinen Nachttisch zu legen und liegen zu lassen, doch entscheide mich – wohl einer plötzlichen Eingebung folgend – dafür, es zu schließen. In Erwartung ruhiger Träume knipse ich das Licht aus.


Anmerkung von Oreste:

2016

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter Wal (27.12.18)
Du Käfermatschbirne! War das eine sanktionswürdige Beleidigung? Lese derzeit: Das Schloss.

 Oreste meinte dazu am 28.12.18:
Bedaure, Dieter, aber du befindest dich nicht in der Position, mich beleidigen zu können.

Gruß!

 autoralexanderschwarz antwortete darauf am 09.01.19:
@Dieter Wal: Du meinst wohl "das Schloß".
@Oreste: Finde ich gelungen, wobei mich das Komma im letzten Satz stört.
Gruß
AlX
Introitus (37) schrieb daraufhin am 09.01.19:
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 autoralexanderschwarz äußerte darauf am 09.01.19:
Das ist wirklich interessant, wollte ich zunächst gar nicht glauben (und war mir sicher Kafkas "ß" vor dem geistigen Auge zu haben), aber du hast recht. Danke.
AlX

 autoralexanderschwarz ergänzte dazu am 09.01.19:
... wobei ich denke, dass "niemals" wahrscheinlich dann doch nicht zutrifft. Manche Begriffe (bspw. im Anschluss an lange Vokale) hat er bestimmt auch mit "ß" geschrieben (auch wenn ich leider keine Fassung der Handschrift vorliegen habe)
Gruß
AlX.
Introitus (37) meinte dazu am 09.01.19:
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 autoralexanderschwarz meinte dazu am 09.01.19:
Das macht schon alles Sinn (und obwohl ich hier die ganze Zeit Zwischenzeit gegenrecherchiert habe, finde ich bislang auch keinen Gegenbeweis). Ich mag das Wort "niemals" wohl einfach nicht.
Introitus (37) meinte dazu am 09.01.19:
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 autoralexanderschwarz meinte dazu am 09.01.19:
Hab tatsächlich ein Bild von Nietzsche (das buntere von den beiden Munch-Portraits), wenn auch (noch) keine Büste. Ansonsten hoffe ich das auch.

 Oreste meinte dazu am 12.01.19:
Störfaktor beseitigt. Danke dir!

Gruß
O.

 Isaban (27.12.18)
Kafkaesk!

Die Zeilenumbrüche sind m. M. n. so nicht notwendig, mich stören sie (insbesondere in einem Kurzprosatext) eher, als dass sie diesen stilistisch aufwerten - ich hätte einfach zwei sachlich wirkende Abschnitte gebaut und den Inhalt des Textes für sich sprechen lassen - aber das ist gewiss Geschmackssache.

Liebe Grüße, auch vom Geier, der sich mit Süskinds Taube angefreundet hat - wobei ersterer sich freuen würde, irgednwann mal ein Wörtchen mit dir zu reden und letztere gern mal einen kurzen Blick in dein Buch werfen würde, heute Mittag oder so...

Sabine

 Oreste meinte dazu am 28.12.18:
Nein, du hast recht - viel besser so!

Der zweite Teil deines Kommentars überfordert mich kolossal.

Liebe Grüße
O.
Sätzer (77)
(27.12.18)
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 Oreste meinte dazu am 28.12.18:
Gefällt dir nur die Idee oder auch die Ausarbeitung, Uwe?

Gruß.
Sätzer (77) meinte dazu am 29.12.18:
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 Oreste meinte dazu am 30.12.18:
Das klingt ein wenig despektierlich, Uwe. Ich denke, du machst dich über mich lustig.
Sätzer (77) meinte dazu am 31.12.18:
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 Oreste meinte dazu am 03.01.19:
Einverstanden.

 RainerMScholz (27.12.18)
Obwohl "die Mutter trotz des kühlen Wetters ein Fenster aufgerissen" hatte, jedenfalls nach der Fischer-Ausgabe von 1994?
Auch für hiesige Kritikaster empfehlenswert nach dem Nachwort von Nabokov, der schreibt, dass "wer in Kafkas 'Verwandlung' mehr sieht als eine insektenkundliche Phantasie, den heiße ich in den Reihen der guten, der wahren Leser willkommen."
Grüße,
R.

 Oreste meinte dazu am 28.12.18:
Nettes Nachwort.

Danke dir, Rainer!
O.
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