Letzte Worte

Kurzprosa

von  Oreste

Seit Großpfennig seine Leidenschaft fürs Sammeln letzter Worte entdeckt hat, enden all seine Geschichten auf «tot». Doch sammelt er nicht etwa die letzten Worte berühmter Persönlichkeiten wie Goethe, Churchill oder Voltaire, nein nein, jene sind hinlänglich bekannt – Großpfennig sammelt die letzten Worte von Freunden, Bekannten und Mitgliedern seiner Familie. Mit deren letzten Worten im Ohr, beginnt er, Geschichten zu schreiben. Und das mit Erfolg. Das Feuilleton lobpreist ihn und zum ersten Mal während seines langjährigen Schaffens als Geschichtenschreiber, schreibt auch sein Konto schwarze Zahlen.
    Mit dieser neuen großen Leidenschaft, trat allerdings auch eine neue größte Furcht zutage. Großpfennig fürchtet, dass seine Inspirationsquelle eines Tages versiegt; die Menschen seines Umfeldes allesamt dahingeschieden sein werden respektive er selbst sie allesamt überlebt haben wird, und er sohin zurückkehren müsste in sein altes, erfolgloses, oder wie er selbst zu sagen pflegt: verabscheuungswürdiges Geschichtenschreiberleben. Da Großpfennig aber die Möglichkeit eines obligaten Freitodes – schon der Ironie wegen – ausschließt, ist er stets darum bemüht, neue Freunde zu gewinnen, Bekanntschaften zu knüpfen und Familien zu gründen, was ihm aufgrund seines Erfolgs und der damit einhergehenden Popularität freilich ein Leichtes ist.
    Großpfennigs letzte Geschichte trägt den Titel »Ein alter Freund« und handelt von einem ebensolchen, von einer, wie gesagt wird, Sandkastenfreundschaft, die bis zuletzt hielt. Auch sie erntete in überwältigendem Ausmaß positive Kritiken und war schließlich Anlass, ihn auf die Nominiertenliste des Büchnerpreises zu setzen. Großpfennig habe nicht bloß über Freundschaft geschrieben, so ein bekannter deutscher Literaturkritiker, er habe das Bild einer über Jahrzehnte andauernden Begegnung zweier verwandter Seelen gezeichnet. Die letzten Worte besagten Sandkastenfreundes hat Großpfennig noch ganz deutlich im Ohr. Sie lauten: »Waidmannsheil, mein Lieber!«


Anmerkung von Oreste:

2014

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Kommentare zu diesem Text


 loslosch (27.01.19)
die für mich berühmtesten letzten worte sprach jürgen möllemann: "Heute mache ich meinen Einzelstern."

 hier.

Kommentar geändert am 27.01.2019 um 10:16 Uhr

 Willibald meinte dazu am 27.01.19:
Das mit dem letzten Satz "Waidmannsheil" funzt gut.

greetse
ww

 Oreste antwortete darauf am 27.01.19:
Wanderer wollen ihn von Weitem für einen jungfräulichen Saurierhaufen gehalten haben.

Was werden deine letzten Worte sein, Lothar? Ich tippe auf: "Ärgerst du dich über mich?"

O.

 Oreste schrieb daraufhin am 27.01.19:
Vielen Dank, Willibald.

Es grüßt das
O.

 drmdswrt (27.01.19)
Fällt mir glatt ein, dass ich vor einer Ewigkeit – so um 2005 – mal einen Text über mein letztes Wort geschrieben habe. Ich weiß noch, worauf das hinauslief, aber das ist schon alles, was ich noch erinnere. Ich muss mich mal durch ein paar tausend Seiten Text wühlen. Irgendwo im Papierarchiv habe ich ihn bestimmt noch. Interessiert mich nämlich plötzlich, wie ich auf dieses letzte Wort kam. (Es war übrigens nicht »tot«.)

 Oreste äußerte darauf am 27.01.19:
Texte, die nicht auf »tot« enden, haben bei mir einen schweren Stand. Dennoch: Gib mir Bescheid, wenn du ihn gefunden hast, ja? (-;

O.

 Willibald (27.01.19)
florilegium letzter Wort:

Hallo.
JOHN UPDIKE

Es war alles sehr interessant.
FERDINAND (nach dem Attentat)

Lass es nicht so enden. Sag ihnen, dass ich etwas gesagt habe. Sterben? Ich würde sagen, nein, lieber Freund. Kein Barrymore würde zulassen, dass ihm so etwas Konventionelles passiert. JOHANNES BARRYMORE

 Barrymore

Nie hätte ich von Scotch zu Martinis wechseln dürfen. HUMPHREY BOGART

greetse
ww

Kommentar geändert am 27.01.2019 um 16:11 Uhr

 Oreste ergänzte dazu am 27.01.19:
John Updikes letztes Wort macht Lust auf mehr.

Danke!
O.
Fisch (55)
(27.01.19)
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 Oreste meinte dazu am 28.01.19:
Ein für einen Fisch ungewöhnlich verständlicher Kommentar - einer, über den ich mich - so oder so - sehr freue!

Petri Heil! (-;
O.

 Irma (27.01.19)
Grenouille mordet, um den perfekten Geruch, Großpfennig um das perfekte Abschiedswort einzufangen. ;) LG Irma

 Oreste meinte dazu am 28.01.19:
Einer meiner liebsten Filme, auch der Soundtrack ist großartig. Das Buch? Schande über mich - ich wollte es immer mal lesen.

Danke dir, Irma!
O.

Antwort geändert am 28.01.2019 um 21:00 Uhr

 Irma meinte dazu am 28.01.19:
Bei mir ist es umgekehrt, Buch steht im Regal, aber den Film will ich unbedingt mal ...

 Willibald (31.01.19)
Als der berühmte Dichter im Sterben lag, rief er wiederholt: "Ich will nicht sterben, ich will nicht sterben." Sein am Bett sitzender Verleger, ein rhetorisch begabter Feingeist, sprach zu ihm: "Deine Werke werden dich überdauern, sei getrost." Da rief der Dichter: "Könntest Du wenigstens jetzt einmal aufhören, geistreich zu sein?" Und verdrehte die Augen.

 Oreste meinte dazu am 01.02.19:
Nicht übel. Klärst du mich über den Kontext auf?

 Willibald meinte dazu am 01.02.19:
Eigentlich kein Kontext. Im Moment des realen Sterbens ist wenig Trost in dem "aere perennius", dem Weiterleben in den Werken.
Unser Dichter will solch Feinsinnigkeit aburteilend davon nichts hören.

greetse

ww

 Oreste meinte dazu am 01.02.19:
Danke.

Ich fühle mit dem Dichter, doch sympathisiere mit seinem Verleger.
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