Immer montags

Kurzprosa

von  Oreste

„Te voglio bene assaje
ma tanto tanto bene sai“


.............–Lucio Dalla



Sonntagvormittag. Ein isoliert aufgestellter Steinblock empfängt mich am Bahnsteig. Der Händedruck ist Pappmaché. Man spricht. Vereinzelt erblicke ich Mütter, die ihre Kinderwagen auf die Gleise schieben. Die Kleinen quietschen und ich bewege mich fort. Zwei schmale Schultern hängen sich an mich, kaum wahrnehmbar: deren ununterbrochenes Zucken. Achtung Zugdurchfahrt! Eine Krähe schreit in den Himmel. Der Vorplatz vibriert.
    In der Altstadt angekommen drückt mir ein fröhlicher Mensch einen Flyer in die Hand. Lächelnd suche ich nach dem nächsten Papierkorb. Es ist verkaufsoffen, mein Blick stur nach vorn gerichtet. Ich kenne sie alle … die großen Kaufhäuser, die kleinen Boutiquen. Große Plätze, kleine Gassen. Jede noch so kleine Regung. Die da oben und wir ganz unten. Wir? Fünfzig Cent für einen talentfreien Straßenmusiker. Ich beschließe, mir etwas Schönes zu kaufen – einen Eisbecher. Ein Eisbecher ist vergänglich. Im Vorbeigehen stelle ich ihn auf ein Geländer in den Schatten. Das bunte Fähnchen aber stecke ich ein. Dann schließe ich meine Augen und lasse mich ein Stückweit vom Gedränge tragen. Als ich wieder zu mir komme, finde ich mich vor einem Schild mit der Aufschrift Betreten der Baustelle verboten wieder.
    Am Nachmittag bei einem Espresso übers Leben sinnieren. Ein Leierkastenmann kurbelt Ich brauche keine Millionen. Der Lottoschein liegt ausgefüllt unter den Clubmasters. Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs und die Sieben. Was auch immer. Am Nebentisch sitzen Gunther von Hagens und Madame Tussaud. Schielen ständig herüber. Amüsieren sich. Aus Wut darüber erzähle ich einen Witz. Zähne reihen sich vor mir auf. Ein Geruch von Fäulnis und Vanille liegt in der Luft. Für gewöhnlich empfinde ich Mitleid mit Menschen, die nie gelernt haben, für sich selbst zu sorgen.
    Der Park ist spärlich besucht. Seine Grünflächen sind verwildert, seine Wege schmal und sie verlaufen scheinbar unwillkürlich. Ich schieße einige unbedeutende Photos. Einer von ihnen endet vor einem Holzsteg; dieser führt bis in die Mitte eines Teiches mit Schwan. Mich zieht es wie magisch dorthin. Doch so sehr ich mich auch bemühe, ich kann sie nicht erreichen. Trauerweiden versperren mir den Weg. Deren Geäst reicht bis auf die Bohlen, wo es einen dichten grünen Gitterzaun bildet. Zwar kann man hindurchsehen, die Bahnen des Schwans erahnen – ein Durchkommen gibt es nicht. Ich mache ein Paar Schritte zurück und lasse meinen Blick kreisen. Tatsächlich ist der ganze Teich umringt von diesem trauernden Gehölz. Irgendwann wende ich mich ab. Eine Falte ist hinzugekommen. Ich zähle sie jedes Mal durch. Dabei frage ich mich, ob auch Schwäne Falten haben.
    Ein Klackern verkündet den Laternenschein. Zwischen hell und dunkel und dunkel und hell liegen jeweils nur wenige Schritte. Ich hab jetzt 'nen Job, hörst du?Kinder? Nicht in diesem Leben, halte ich inne. Die Straße macht eine Biegung. Hinter einer hohen Hecke zwei Hunde, von denen der eine bellt. Plötzlich höre ich mich etwas sagen wie Versager und spekuliere auf Gegenwehr. Ein Schnaufen. Der Rest ist Schweigen.
    Ich umarme ein Stück morsches Holz, bekomme dafür einen zerknüllten Geldschein in die Hand gedrückt. Die Türen schließen selbsttätig. Eine Treppenstufe lädt zum Sitzen ein und wieder wurden keine Sehnsüchte ausgetauscht, keine Wege eingeschlagen, die zueinander führen, denke ich für mich; wir setzen immer schön einen Fuß vor den anderen und vertrauen doch blind darauf, vorwärts zu gelangen. Zuletzt winke ich – das bunte Fähnchen in der Hand. Zwei Augen gähnen. Ein Kopf nickt zurück.

Immer montags wünsche ich mir, er ließe sich einfach umkrempeln, so, wie man seine Hosentaschen umkrempelt, wenn man darin etwas Verlorengeglaubtes vermutet.


Anmerkung von Oreste:

2013

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text


 Dieter Wal (22.12.18)
Nett. Zuviel Ich. Ab 4. Absatz kann gekürzt werden. Manche surrealistische Elemente wirken auf mich gekonnt. Am besten gefällt: "Eine Treppenstufe lädt zum Sitzen ein und wieder wurden keine Sehnsüchte ausgetauscht, keine Wege eingeschlagen, die zueinander führen, denke ich für mich; wir setzen immer schön einen Fuß vor den anderen und vertrauen doch blind darauf, vorwärts zu gelangen."

 Oreste meinte dazu am 22.12.18:
Nett ist hart.

Was ist hier das Problem an recht viel Ich?

Es dankt
O.

 Dieter_Rotmund (22.12.18)
"Kinderwägen" - lustiger Plural, wie er in Südwestdeutschland gepflegt wird. Dazu gibt es eine Anekdote von mir auf der Weltausstellung in Hannover im Jahre 2000, die ich hier nicht erzählen mag.
Ansonsten sage ich wie Wal-Dieter: Dichter, Dichter!

 Oreste antwortete darauf am 22.12.18:
Geändert.

Gib dir 'nen Ruck, Dieter - ich würde die Anekdote gerne lesen!

Dank & Gruß
Oreste

 Isaban (22.12.18)
Skurril - aber so ist die Welt wohl, wenn plötzlich das Wichtigste fehlt, wenn etwas fehlt, das sich in allen Lebensbereichen auswirkt: Die Welt wird eigenwillig und bizzar.

Zwei Augen gähnen. Ein Kopf nickt zurück.

Immer montags wünsche ich mir, er ließe sich einfach umkrempeln, so, wie man seine Hosentaschen umkrempelt, wenn man darin etwas Verlorengeglaubtes vermutet.

Sehr spürbar, aber: nur montags?

Liebe Grüße aus dem Fränkischen, wo einem die Eingeborenen ständig und mit größtem Selbstverständnis Wägen, Hünd, der-wo, die-wo und jede Menge Einzigstes um die Ohren knallen

Sabine

 Oreste schrieb daraufhin am 22.12.18:
Vielen Dank, Sabine!

Immer montags, wenn die Eindrücke also noch ganz frisch sind.

Einzigster Gruß
O.
fdöobsah (54)
(22.12.18)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Oreste äußerte darauf am 22.12.18:
Das Forum bin in dem Fall ich und meinen Frieden sehe ich durch Kritik deinerseits nicht gefährdet.

Also? (;
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram