Und die Zeit steht still

Geschichte zum Thema Abhängigkeit

von  Xenia

Dieser Text ist Teil der Serie  Dieses scheiß Leben (ist so schön)
"Scheiße. Gottverdammte Scheiße! - Steh auf, du Dreckskerl, du dämlicher Scheißjunkie... ICH BRAUCH DICH DOCH!", schreie ich ihn an. Tränen laufen über mein Gesicht. Ich wische sie ungeduldig mit meinen dreckigen Fingern weg. Mein Gesicht, eine Maske aus Tränen und Dreck." Fabi. Steh auf. Du kannst hier nicht bleiben. Es ist kalt. Ich kann dich nicht tragen. Du bist zu schwer. Bitte. Bitte steh auf. Bitte."  Meine Gedanken rasen. Ich hab Angst. Was für ein abgefuckter Scheißfilm. Ich kneife mich in der Hoffnung, aufzuwachen, aber das hier ist die Realität.

Es ist Januar. Er liegt vor der Haustür des Hauses, in dem seine Wohnung ist. Ich weiß nicht, wie er es in seinem Zustand hier her geschafft hat. Ich weiß nicht, wo er war und wer ihm das Zeug gegeben hat, das er offensichtlich intus hat. Ich weiß nicht mal genau, was er intus hat, tippe aber auf Heroin. Fabi ist ein Junkie, seit er mit 12 von zuhause abgehauen ist. Er erzählte mir mal, dass er nach einem Schuss die Wärme fühlt, die er als Kind nie bekommen hat. Ich fand das ziemlich abgedroschen und hab ihm das auch erzählt. Da wurde er seltsam ruhig und meinte :" Wenn ich das schon zuhause genommen hätte, wäre unser Keller ein warmer, schöner und heller Ort gewesen."

Er brabbelt nur irgendwas vor sich hin, das ich nicht verstehe. Ich verstehe gar nichts mehr. Er hat mir versprochen, den Dreck nicht mehr anzurühren. Was zählt schon das Versprechen eines Junkies? Alles hohles Gelaber. Mir ist schlecht. Ich muss kotzen. Er sieht nicht gut aus, ganz und gar nicht. Aus seinem rechten Mundwinkel läuft Sabber, der linke ist wie zu einem starren, unheimlichen Grinsen nach oben gezogen.

Ich schreie.
Ich weine.
Ich kotze noch mal.
Es hilft nichts .
Ich rufe den Krankenwagen, obwohl ich weiß, daß Fabi mich dafür hassen wird.
Es ist ein anstrengendes Gespräch. Sie glauben mir nicht. Es dauert alles viel zu lange. Ich hab solche Angst, dass er stirbt. Dann will ich auch nicht mehr leben. Wut, Trauer, Ekel. Aus seinem Mundwinkel kommt ein bißchen Kotze. Er zuckt komisch. Ich lege ihn auf die Seite, damit er nicht an seiner eigenen Kotze krepiert. Endlich nimmt mich einer ernst. Seinen Kopf bette ich auf meine Jacke, obwohl mir selbst schweinekalt ist. Sie sagen mir, dass in zehn Minuten ein Krankenwagen vor Ort sein wird und ich bei meinem Bekannten bleiben soll. Niemals würde ich ihn allein lassen. Fabi ist der einzige Freund auf der Welt, den ich habe.

Fabi öffnet ein Auge und fixiert mich damit. Er flüstert etwas, das ich nicht gleich verstehe. "Was?" Er flüstert wieder, diesmal verständlicher :" Hast du die Bullen gerufen?“
“ Ne. Den Krankenwagen. "
“ Du blöde Kuh ", wispert er, streichelt mir dabei aber zärtlich über den Arm. Liebe überfällt mich.
" Ey. Kleine. Prinzessin. Weißt du, was wirklich wichtig ist im Leben?“ Er braucht lange für diesen Satz. Immer wieder versagt ihm die Stimme, er muss würgen, seine Augen fallen zu. Ich haue ihm eine runter.
" Ey, wach bleiben. Was ist wichtig?“
" Jetzt. "
" Und was ist mit Hier?"
" Ist man im Jetzt, ist man auch im Hier. " Dann fallen ihm die Augen endgültig zu. Ich nicke und streichle über seinen Kopf. Geliebter Bastard. Dann, endlich... Die Sirenen. Es kommt mir vor wie eine Ewigkeit und doch haben sie nur ein paar Minuten gebraucht. Er wird eingepackt und an unzählige Geräte geschlossen. Ich verstehe gar nichts. Alles ist wie in Watte gepackt. Als ich versuche, einzusteigen, hält mich einer der Sanitäter zurück. Ich bin keine Angehörige.

Aber sie verraten mir, in welches Krankenhaus Fabi kommt.
Dann sind sie weg. Die Zeit steht nicht still, sie rast.

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (21.02.19)
"Zuhause" ist orthographisch etwas tückisch: Bei der substantivierten Form ("Das Zuhause") ist natürlich ein Majuskel zu verwenden, aber "zuhause", wie hier im Text zwei Mal verwendet, ist ein Adverb, also mit Minuskel zu schreiben. Alternativ ist auch "zu Hause" korrekt.

P.S.: halt -> hält

Ich wünsche einen schönen Frühlingstag.

 Xenia meinte dazu am 21.02.19:
Danke schön. Bist du verliebt?

 Dieter_Rotmund antwortete darauf am 21.02.19:
Nicht in eine Drogenabhängige.

 Xenia schrieb daraufhin am 21.02.19:
Ich habe mir schon Sorgen um dich gemacht, weil du so nett warst. Aber jetzt bin ich beruhigt, Dörte.

 Dieter_Rotmund äußerte darauf am 22.02.19:
Das ist schön.

 Teichhüpfer (16.03.19)
Genau das Gegenteil wollte ich sagen, Du bist nicht allein.

 Dieter Wal (16.03.19)
Schrecklich schöne Kurzgeschichte. Situationskomik darin wirkt nicht belustigend, sondern umso beklemmender.
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