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Erzählung

von  minze

Wir haben es von den Kassiererinnen bei Kaufland. Es erstaunt mich bei jedem Einkauf dort, wie beruhigt und freundlich sie bleiben. Es gibt auch die, mit dem vielen Make-up und langen Fingernägeln, die in irgendeiner Blase sind und automatisch ihre Arbeit verrichten, ohne in einen direkten Kontakt zu mir zu treten. Aber wenn es mich etwas angeht, wenn wir dann miteinander agieren, dann weicht ihr fremder Blick auf, dann sehen sie mich an und mir scheint, als würde das Lächeln jetzt ehrlich sein, eine ganz warme Verbindung – jetzt, da sie mich fokussieren können, in diesem kurzen Moment, den wir gemeinsam begehen, wenn sie mir den Preis meines Einkaufs sagen. Und prüfend abwarten, wie ich zahlen werde. Und zufrieden sind mit der Wahl der EC Kartenzahlung. Carla macht einen osteuropäischen Akzent nach, als sie mir ihre letzte Begegnung nacherzählt – sie wollte einen TipToi-Stift für Jan kaufen, nach genervter Internetrecherche befand sie ihn für fast überall gleich teuer. Dann ging sie ins Kaufland, weil es dort alles gibt. Vor allem die Sushibar, man!. Und sie scheint zielstrebiger zu sein bei den überlangen Regalreihen von Tee, Müsli und so – ich denke, sie umgeht zumindest die perversen Frischetheken. Kommt relativ gut zur Kasse durch mit TipToi-Stift und Sushi, und die Kassiererin: Treuepunkte? Dann kostet es die Hälfte!, aber Carla hat keine, auch wenn sie oft zu Kaufland mit Sushibar geht und zuckt mit den Schultern. Und die Kassiererin rollt drei Runden Treuepunktekleber ab, schaut sich um, streckt sie ihr hin, sagt Ich wegschauen, du kleben!, etwas, was ich sehr ähnlich auch schon erlebt habe dort. Nicht, als ich im Begriff war, etwas ohne Treuepunkte zu erstehen, was mit günstiger ginge. Nur grundsätzlich haben sie diese Güte, diese Großzügigkeit mit den Punkten, zücken die Sparcodes unter der Kasse vor, wenn man einen Artikel hat, der damit bespart werden kann – und wie Carla fühlte ich mich in solchen Situationen wie eine stille Gewinnerin. Durch die Hilfe einer unscheinbaren, nicht auf eigenen Vorteil bedachten, guten Kassiererin.

Carla hat in der Kontakt- und Cafésperre Pläne mit ihrem Mann, er ist sowieso seit eineinhalb Jahren im Home-Office, aber jetzt ist ihr Bedürfnis, diese Zeit gemeinsam zu gestalten, gesteigert. Irgendwie ist ein höheres Bewusstsein da; Lust auf Dates. Aber Simon hält keine genauen Mittagspausen ein, er bleibt am Telefon. Er hat dabei oft die Hand an der Stirn oder tippt gegen den Schlafzimmerschrank. Seit seinem neuen Job hat er Zeit fürs spontane Klettern, die Halle ist in sieben Minuten mit dem Rad zu erreichen. Die Kalkkreide bleibt manchmal neben dem Bildschirm stehen. Er bekommt Jan auch gut unter, wenn er mal nicht in den Kindergarten kann. Sein Büro ist im Schlafzimmer. Klingt ein bisschen heiß. Sie macht auf der Terrasse Grimassen und winkt in die Tür hinein; vergebens, sie isst später alleine beide Sushi-Schalen. Zwei Tage später will er sie überraschen, als sie noch was machen muss in ihrem Büro. Sie sitzt konzentriert da, er traut sich nicht. Am Abend bringt sie Jan ins Bett, schläft dabei ein. Er will wieder, will sie ja schon die ganze Woche und kommt leise rein, streicht über ihre Wange, die liegt gut auf Hochbetthöhe und sie schreckt auf, ist verängstigt. Sie bekommt es gar nicht hin, wie er da noch vorsichtig mit den Wunschdessous wedelt. Zu wenig kitzelt sie es, aber doch so, dass sie es mit leichter Vorfreude verlegen wird: sie müssen es in der kommenden Woche machen. Erst was trinken, wenn Jan eher schlafen geht. Dann direkte Avancen anbringen.
Simon schläft meistens im Schlafzimmer, es nervte mich, als die anderen immer wieder scherzten beim Umzug in ihr Haus: Ach sooo, in Carlas Zimmer kommt das!. Carla sagt nun, dass sie ihr Zimmer kaum nutzt, es reiche ihr einfach als Option. Offene Schlafkonzepte bestehen in allen Familien, die ich kenne. Ich bin an Simons Stelle erleichtert.

Die Verhandlungen mit den Banken fielen in die Zeit, in der sonst nicht viel los war, trotzdem verlangten sie eine nervende Ernsthaftigkeit und langen Atem. Sich auf lange Zeit für viel Geld anzustrengen. Sich das vorstellen. Simon rechnete alles genau in Exceltabellen, er kletterte weniger, band Carla ein. Wie er das machte, brachte es sie nicht zum kotzen, auch wenn ihr alles etwas Angst machte. Es war die Entscheidungsfindung, das Abwenden von der Bauplatzsuche. Jetzt steht fest, was ist, es passt, sie wählten die Fertiglösung. Bis auf die Küche, die während des ersten Lockdowns in heimlichen Treffen mit dem geschlossenen Studio geplant wurde. Voll ihr Ding, nachts um 21:00 Uhr. Da versprach Carla mir aufgeregt, nackt auf der zu teuren Arbeitsplatte mit Sushi zu liegen. Ich war gespannt.

Bei dem Umzug ist noch keine Küche da, der Raum ist allerdings in einem so dunklen blau gestrichen, dass ich es für anthrazit und Joschua für schwarz hält. Joschua ist der erste Mann seit Monaten, den ich treffe. Er ist junger Vater, vielleicht ein bisschen jünger als ich. Der Umzug ist das Event nach längerem Kontaktverzicht. Nur Carla war’s, die ich zum Bierwandern traf, manchmal mit Handylampe den Weinberg herunter oder im Vollmond durchs Feld. Beim Umzug sind wir sieben Menschen, mit denen man lachen und Biertrinken kann, ich bin aufgedreht wie auf einer ersten Party. Will unbedingt das Sofa tragen, no return. Eigentlich wünsche ich mir, mit Joschua das Hochbett von Jan aufzubauen, wir würden harmonieren. Aber der Partner von Carlas Kollegin mit rötlichen Locken übernimmt die Leitung. Er trägt so eine Multifunktionshose und ich sehe keinen Weg, mich sympathisch durchzusetzen. Ich suche den Kontakt mit Joschua bei den Cräckern, er lässt sich auf dem Sofa nieder. Es fehlt einfach der Moment, der mich drosseln könnte im Redeflow. Carla unterstützt so etwas auch. Wir haben uns als Saunafreundinnen vorgestellt und die Geschichte als Opener gewählt, in der ich ahnungslos in die Sauna ohne Bademantel und – schlappen kam und sie zu meiner Mentorin wurde. Joschua scheint ratlos, muss aber lachen. Er ist auch auf Entzug, wahrscheinlich. In seiner kleinen Familie ist hauptsächlich er für seine Tochter Claire zuständig, er hoppte zwei Mal kurz nach Hause, um Claire zu beruhigen, weil seine Freundin damit wenig betraut ist.

Ich habe erst später begriffen, dass wir einmal die gleiche Tagesmutter hatten. Bei dem dritten und letzten Partyevent des Jahres, der Einweihungsparty, fiel ich noch mehr aus mir heraus. Wir tranken seinen Spätburgunder aus der 1,5 Liter Flasche und suchten unter dem Tisch meinen Schlüssel. Ich habe ewig über die Bedeutung von süddeutschen Kartoffelsalat gelabert. Jetzt ist das Zeitfenster um, sich entspannt zu treffen. Ich versuchte es über Claire. Beim Umzug fand er mein Auto cool. Er fuhr für zwei Ladungen mit, es lagen viele CDs herum und eigentlich hat es sonst auch nichts Cooles – es ist rot, ein bisschen verdreckt und rund. Sympathisch, dass ihm so einfache Dinge ausreichen.

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (01.12.20)
Erinnert an den Judith-Hermann-Stil, gefällt mir sehr gut!
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