2014. David Benatar: Better Never to Have Been

Rezension zum Thema Existenz

von  Terminator

Better Never to Have Been: The Harm of Coming Into Existence. Das ist das philosophische Werk des 21. Jahrhunderts, dessen große Erzählung die Übernutzung der Umwelt, der sogenannte Klimawandel (eine Untertreibung für die ökologische Katastrophe des Massenaussterbens von Arten, wie es das zuletzt vor 65 Millionen Jahren gab) und die Abschaffung des Menschen durch Technologie sein wird. 


Benatars Bibel des Antinatalismus ist das philosophische Buch zum Anthropozän, ein klares argumentatives Werk, das Ulrich Horstmanns fulminantes "Untier" dadurch in den Schatten stellt, dass es hier die Vernunft selbst ist, und nicht das (Mit-)Gefühl, die sich für das notwendige Ende der Menschheit ausspricht.


Der Verstand kommt zum Antinatalismus durch die folgene Asymmetrie: Das Vorhandensein von Glück ist gut, das Nichtvorhandensein von Leid ist ebenfalls gut (utilitaristisch gesehen). Die Existenz von Leid ist schlecht, die Nichtexistenz von Glück ist nicht schlecht, weil in diesem Fall derjenige, der ein mögliches glückliches Leben nicht lebt, nicht existiert. Wer existiert, erfährt Glück oder Leid, und Leid überwiegt. Wer nicht existiert, hat es gut, weil er nicht leidet, und ist indifferent gegenüber nicht erfahrenem Glück. Wer existiert, kommt bestenfalls auf die Schwarze Null; wer nicht existiert, ist hedonisch im Plus (er wird niemals leiden, was gut ist). Der hypothetische Imperativ des Verstandes lautet: Wer Glück vermehren und Leid vermindern will, darf keine Kinder in die Welt setzen.


Die Vernunft, die die Selbstzweckformel des kategorischen Imperativs gebietet, kann sich noch kürzer fassen: Kein Mensch kann um seiner selbst willen geboren werden, da er vorher nicht existiert hat. Kinderzeugung ist stets ein unmoralischer, egoistischer Akt, der gegen den KI verstößt.


Da Kant der hellste Kopf der Philosophiegeschichte ist, scheint es mir angebracht, Benatars Argumentation für den Antinatalismus an Kants Philosophie zu prüfen, und er besteht diese Prüfung. Ja, Kant spricht sich in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten gegen den Suizid aus, da der schon lebende Unglückliche nicht wollen kann, dass die Menschheit sich selbst vernichtet, nur weil einzelne Individuen in schweren Lebenslagen den Freitod wählen. Aber die Zeugung ist genauso unmöglich zu rechtfertigen: verstieß der Selbstmord gegen die Form des kategorischen Imperativs (die Maxime des Willens muss zugleich allgemeines Gesetz werden können), verstößt die Zeugung gegen den Inhalt des KI, die Selbstzweckformel.


Bei Kant müssen wir nicht stehen bleiben. Mit Schopenhauer ist festzustellen, dass der Intellekt, der mit logischer Notwendigkeit zum Antinatalismus kommt, lebensfeindlich ist. Rational ist, das Nichts zu wollen, nicht das Sein. Aber der Intellekt ist nur Erscheinung, und der Wille das Ding an sich. Der Wille ist nicht rational; der Wille zum Leben hält sich an kein Gesetz des Verstandes und keine Regel der Vernunft. Rational ist Benatars Argumentation einleuchtend, nur spitzfindige Sophisten würden gegen den zwingend geführten Beweis der Richtigkeit des Antinatalismus etwas einwenden. Aber wie können wir nicht leben wollen?


Der Wille ist nach Schopenhauer nicht individuiert: derselbe Wille fürchtet sich vor dem Tod und drängt zur Zeugung neuen Lebens. Doch damit sind wir als moralische Subjekte nicht entschuldigt. Wir können uns dem blinden Willen verweigern und auf Verstand und Vernunft hören. Und die sagen: Du hoffst vergeblich! Es ist angeboren, das Beste von der Zukunft zu erwarten, doch die Hoffnungen werden sich nicht erfüllen. Du überschätzt die tatsächliche Qualität deines Lebens! Du bist viel unglücklicher als du denkst; du fühlst dich glücklicher, als du tatsächlich bist, weil du in deinen gegenwärtigen Zustand das für die Zukunft erhoffte Glück schon mit einkalkulierst. Als die größte Lebenslüge erweist sich das Leben selbst. Bist du zu dumm, zu vernebelt durch Begierden, zu hoffnungstrunken, um deinem in Wirklichkeit hundsmiserablen Leben ein Ende zu setzen, so mute das Elend der Existenz wenigstens keinem weiteren Menschen zu!



Anmerkung von Terminator:

Buch des Jahres 2014

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Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (09.01.22, 10:54)
Was ist das Neue an Benatar? Was hebt sein Asymmetrie-Argument über den griechischen Pessimismus ("Das Beste ist, nicht geboren zu werden ...") hinaus. Daß Benatar es vernünftig begründet? Daß sein Motiv moralisch und nicht nur eigennützig ist?

 Terminator meinte dazu am 09.01.22 um 11:24:
Benatar argumentiert modern, angelsächsisch, analytisch. Seinen Antinatalismus kann man nicht als poetisch abtun. Er meint alles trockenernst und begründet logisch UND moralisch.

Dass Antinatalismus nicht neu ist, spricht nochmals für Benatar. Akermas Handbuch zeigt, wie ubiquitär antinatalistische Gedanken sind. Große Religionen starten als antinatalistische Bewegungen.

Für mich kam es nie in Frage, Kinder in die Welt zu setzen. Es ging nur darum, das eigene Geborenwerden zu bejahen oder zu verneinen. In diesem Sinne sehe ich die Lebensbejahung als sakrifiziell und die Lebensverneinung als viktim. Das eigene Leid anzunehmen, ist Größe. Vermeidbares Leid anderer zu verursachen, bleibt selbst bei lebensbejahender Einstellung problematisch.

 Graeculus antwortete darauf am 09.01.22 um 23:28:
Die Nichtexistenz von Glück mag nicht schlecht sein, wenn man nicht existiert; aber das gibt es ja auch wenn man existiert: Anhedonie als Unfähigkeit, Glück zu empfinden. David Foster Wallace beschreibt das in "Infinite Jest".
Ich weiß nicht, ob sich das auf Benatars Argumentation auswirkt.
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