Adipositas und andere Sitzbeschwerden

Beschreibung zum Thema Psychologie

von  eiskimo

Was ist das für eine Krankheit?  Sie zeichnet sich durch zunehmende Trägheit und Bewegungsunlust aus, gepaart mit Gewichtszunahme und degenerativen Veränderungen im Herz-Kreislauf-System. Die Patienten klagen zudem über eine chronische Abneigung gegen den ÖPNV, und schon die Empfehlung für kürzere, den Halteapparat kräftigende Fußmärsche empfinden sie als Zumutung. Auch zum Gebrauch ihrer Fahrräder, von denen sie meist sehr hochwertige und alltagstaugliche Exemplare besitzen, können sie sich kaum mehr überwinden. Dann verweisen sie auf die erkältungsträchtige Luft, auf jene schlimmen, das Herz belastenden  Anstiege und vor allem die tiefsitzende Angst, dass sie von  rücksichtslos an ihnen vorbei bretternden Autofahrern erfasst werden.

Was diese sowohl physiologisch als auch psychisch zu diagnostizierende Barriere weiter festigt, das ist die soziale Komponente: Die Patienten bekommen in ihrem Umfeld für ihre  „chronic fatigue“ viel Akzeptanz. Mehr noch: Da die Bewegungsscheu durch einen vermehrten Gebrauch des Autos kompensiert wird, ernten sie sogar offene Bewunderung, was ihre Defizite noch einmal deutlich anwachsen lässt.  

Typisch für diese „chronic fatigue“ sind auch periodisch aufkommende Selbstvorwürfe wie  „Ich könnte ja kürzere Strecken durchaus ..“  oder „Eigentlich sollte man sich ja auch körperlich ..“  bzw. „Für die Umwelt ist das ja schon belastend..“ – diese Gewissensbisse bewirken aber nur ganz selten durable Verhaltensänderungen.

Was tun den Betroffenen nämlich? Sie kaufen sich ein noch größeres Auto, und wenn das in seiner Verdrängungswirkung verpufft, kommt oft noch ein Wohnmobil dazu –  voilà!

Diese Überreaktion, die gesellschaftlich erneut bewundernd honoriert wird, könnte man als eine  Art Oslo-Syndrom betrachten. Der Patient identifiziert sich ein Stück weit mit dem Verursacher seines Leids, was die Verunsicherung ptompt abklingen lässt.

Ist diese Krankheit ansteckend?  Ja. Die Patienten verbreiten sie geradezu missionarisch. Sie spielen zum Beispiel großzügig Taxi für ihre Kinder und gewöhnen ihnen so die Lust auf eigene muskuläre Aktivität frühzeitig ab. Die Zunahme adipöser Jugendlicher zeigt, wie erfolgreich sie da agieren.
Viele Städte fördern übrigens jenes Fehlverhalten, indem sie der jugendlichen Zielgruppe – die ja an sich durchaus bewegungsfähig wäre – flächendeckend E-Scooter anbietet, womit der Krankheit ein weiterer Schub verliehen wird. Auch hier wirkt die gesellschaftliche Akzeptanz beschleunigend mit.

Folge: Menschen, die sich zu Fuß oder per Fahrrad – allein durch ihre eigene Muskelkraft!  – vorwärts bewegen, werden inzwischen zur absoluten Minderheit, ja, werden  oft belächelt oder gar bemitleidet. Sie haben keine Lobby, weder in der autofixierten Wirtschaft noch bei den industriehörigen Politikern.

Was kann man gegen diese Krankheit noch Effektives tun?  Nicht viel. Man müsste – hätte man denn noch intakte Beine - eigentlich wegrennen.




Anmerkung von eiskimo:

Die Tatsache, dass die Industrie jetzt in großem Stil motorisierte Fahrräder anbietet - die nur ganz selten das Auto ersetzen - ändert nichts an der verfahrenen (!) Situation.

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (12.02.23, 12:48)
Stimme zu, der Text ist mit aber insgesamt zu oberlehrerhaft formuliert. Es fehlt  Selbstironie/Selbstkritik!

 eiskimo meinte dazu am 13.02.23 um 08:16:
Selbstironie/Selbstkritik?  Ich stehe nicht gern im Stau.  Da schnaufe ich lieber zu Fuß oder per Rad dran vorbei. Zugegeben: Ich verspüre dann auch eine klammheimliche Freude.

 AchterZwerg (12.02.23, 16:41)
Lieber Eiskimo,

ein Fahrrad kann halt nicht ständig mitgeführt werden - bei vielen ist einfach der Kofferraum zu klein!

Der8.Unterlehrer

 eiskimo antwortete darauf am 13.02.23 um 09:09:
Dafür sieht man jetzt vermehrt Mega-Wohnmobile, die auf einem Anhänger hinter sich das "Auto für die kleinen Spritztouren" mitführen.  Das nenne ich zukunftsweisend!
LG
Eiskimo

 AlmaMarieSchneider (12.02.23, 17:36)
Leider setzt die Lebensmittelindustrie überall massenhaft Zucker zu. Unsere bewegungsarme Gesellschaft baut diese Kalorienzufuhr kaum ab. Der Bewegungsdrang von Kindern wird in unseren Schulen von vorneherein erstickt. Wer zappelt ist krank!
Auf der anderen Seite verhungern immer noch Menschen.

 eiskimo schrieb daraufhin am 12.02.23 um 19:09:
Du legst den Finger in die Wunde!  Und die Schulen könnten, wenn sie die Ressourcen hätten, viel Positives bewirken. Und damit sie die kriegen, müsste man sich bewegen...
LG
Eiskimo

 Regina (12.02.23, 19:15)
Bewegungsmangel kann ein Faktor sein, aber auch die Qualität des Essens, hormonelle Störungen, psychische Probleme, psychosozialer Stress, sitzende Arbeit, Partnerprobleme, Stoffwechselstörungen mit anderer Ursache, Wassereinlagerungen usw. können zur Adipositas beitragen. Diätvorschläge und Nahrungsergänzungsmittel sowie Kurkliniken gibt es viele, aber auch den Jo-Jo-Effekt. Hämische Phrasen, wie z.B. "Ricarda Lang wie Breit" oder "grüne Tonne" haben dieser Politikerin noch keinen cm Umfang weniger eingebracht. Allein FdH und Sport helfen nicht immer. Ein guter, gründlicher Arzt muss ran.

 FrankReich äußerte darauf am 12.02.23 um 19:56:
Fahrradfahren ist kein Allheilmittel gegen Adipositas, ebensowenig wie alle anderen halbgaren Versuche, diese Krankheit in den Griff zu bekommen, hier hilft nur eine Aufklärungskampagne, bzw. dort, wo das Kind tief im Brunnen sitzt, eine langfristige Therapie, denn selbst eine Magenverkleinerung führt bei fehlender Einsicht, bzw. bei unverändertem Essverhalten auch nur wieder zu seiner Dehnung. 🤔

Ciao, Frank

 eiskimo ergänzte dazu am 12.02.23 um 22:40:
Ich gebe gerne zu, dass da noch ganz andere Faktoren zu beachten sind. 
Dafür hätte ausreichend Bewegung noch viele andere positive Effekte, die ich gar nicht angesprochen habe, z.B. seelische Ausgeglichenheit, Vorbeugung gegen Demenz usw.

 Verlo meinte dazu am 13.02.23 um 01:04:
Diese Effekte überwiegen vermutlich auch gegenüber dem Abspecken.

Laut Zwift habe ich bei einer Strecke von 15 km lediglich rund 150 kcal verbrannt (in rund einer Stunde, bin gemütlich gefahren).

Damit man einen Vergleich hat: Bananen haben 89 kcal pro 100 g.

Die Tafel Schokolade, die ich in der Woche esse, wiegt 100g und hat 643 kcal.

 Verlo (12.02.23, 22:51)
Ich bin 1,84 m groß und wiege 124 kg.

BMI: 36,6.

Idealgewicht: 68 bis 86 kg.

65 kg hab ich gewogen mit 16 Jahren, als Magenprobleme hatte und fast nichts gegessen habe.

85 kg hab ich mit 20 bei der Armee gewogen, als ich den ganzen Tag hin und her zu Fuß unterwegs war.

140 kg hab ich mit 50 als Busfahrer gewogen.

Ich hab ich Auto. Mein Fahrrad hat keinen Motor. Ich sitze nicht vorm TV und esse dabei Chips. 

Ich koche selbst. Ich backe Brot. Ich esse maximal eine Tafel Schokolade, 100 g, 70% Kakao, und eine Rolle Kekse, 200 g, pro Woche. Ich habe keinen Zucker im Haushalt (ich weiß gar nicht, wofür ich den bräuchte). 

Ich fahre fast jeden Tag auf einem Fahrradtrainer.

Wenn ich Lebensmittel einkaufe, muß ich danach 60 Höhenmeter bewältigen. Letztens hab ich mich gewogen: 13 kg mehr als nach der Morgentoilette. 

Der Bruder eines Freundes: 1,65 m und 180 kg; Magen verkleinert.

Ein Freund: normalgewichtig, aber Raucher, Trinker, Drogenkonsument. Er ist nicht mal 50 geworden. (Seine Frau, mit der er zwei Kinder hat, ist, als sie einige Kilo abgespeckt hat, aufgefallen, daß sie ihren Mann nicht mehr mag, weil er das Leben zu leicht nimmt.)

Ein Schulfreund: normalgewichtig, zu viel Arbeit, zu viel Streß, ein Getriebener schon während der Schule, Klassenbester, Schulbester, hat sehr viel bewegt in der Gemeinde, in der Stadt. Zu seiner Beerdigung mit 53 war der Friedhof überfüllt mit Menschen, die Abschied genommen haben. 

Eine Schulfreundin: groß und schlank, wurde von ihrem Stiefvater vor Abschluß der Schule zur Prostituierten ausgebildet. 

Eine Freundin: groß und schlank, wurde von ihrem Vater und ihren Bruder ...

Mein Bruder: 1,82 m und fast 100 kg, wurde von seinem Vater ...

Keinem dieser lieben Menschen konnte ich Leid ersparen oder das Leben retten, nicht einmal Leid mindern. 

Dagegen sind meine paar Kilo Übergewicht keine Last.

 eiskimo meinte dazu am 13.02.23 um 08:03:
Ich wiewge 78 Kilo bei 1,84m. Das war schon immer so, plus-minus. Über Essen oder Abnehmen brauchte ich noch nie nachzudenken.
Meine Eltern hatten kein Auto. Wollten wir von A nach B, mussten wir den Ar.... bewegen. Ich bewege mich gerne, Bewegung gehört einfach immer dazu. Genauso wie Schokolade.....

 Verlo meinte dazu am 13.02.23 um 08:14:
eiskimo:

Über Essen oder Abnehmen brauchte ich noch nie nachzudenken. 

Da kennst du die Hauptursache von Übergewicht vermutlich gar nicht: die Sucht.

Oder hast die zumindest nie beim Essen und Trinken gehabt.

Antwort geändert am 13.02.2023 um 17:32 Uhr

 Regina meinte dazu am 13.02.23 um 22:53:
Die ehrlich vorgebrachte Geschichte von Verlo muss doch auch einem Nicht-Arzt deutlich machen, dass in diesem Fall mit dem Stoffwechsel etwas passiert ist, was mit Bewegung (beim Militär) und mäßigem Essen nicht kompensiert werden konnte. Die Vorgabe "Friss weniger und bewege dich mehr!" wäre deswegen sehr ungerecht und ineffizient. Patentrezepte gibt es nun mal nicht.

 Verlo meinte dazu am 13.02.23 um 23:11:
Wobei, Regina, sich meine 124 kg schlimmer anhören als sie aussehen.

eiskimo ist eher schmal, ich bin eher breit, rein vom Knochenbau.

Auf dem Avatar würde ich eiskimo nicht nur 1,84 m groß, sondern deutlich größer schätzen.

Früher habe ich eine Packung Spaghetti mit einem Stück Butter und einer Flasche Ketchup. 

Heute ohne Butter, ohne Ketchup, damit mit einer Tomate.

Und die gleiche Menge Spaghetti reicht für mehrere Tage. Früher hab ich in einer Mahlzeit gegessen.

Trotzdem wiege ich jetzt deutlich mehr.

Wobei ich im Grunde nur 20 Kilo Übergewicht habe. Denn ab 105 hab ich keinen Bauch mehr, sondern bin rundherum nur etwas mehr.

Mein Halbbruder hat die schmale Hüfte seines Vater: wiegt er 100 Kilo, sieht er fett aus, wie ich nicht mal mit 140.

Das ganze Thema ist vielfältig.

Interessant ist folgende Abbildung:


Die dick seyllerin auf einem Kupferstich von ca. 1612, ein frühes Beispiel für Fettleibigkeit. Aufschrift: „an gewicht 4 Centner und 89 pfundt“ (d. h. über 200 kg)
...wobei lebendig und gesund.

 https://de.wikipedia.org/wiki/Fettleibigkeit

 Regina meinte dazu am 14.02.23 um 03:47:
Dann gäbe es noch die Möglichkeit, Sänger zu werden. Leute wie Pavarotti oder Montserrat Caballé können immer sagen, dass sie diese Art von Körper als Resonanzräume brauchen. 
Klar, ein vielfältiges Thema.
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