Le Temps Perdu

Gedicht zum Thema Erschöpfung/ Müdigkeit

von  AchterZwerg


Einst war ihm das Leben passiert

dann kam er sich selber abhanden

und hatte sich kaum mehr vermisst


Nur manchmal wollte er schreien

mit seinem gebundenen Mund

und beidhändig Knoten entwirren

im Rachen verlorener Zeit


die wucherten weiter und weiter

das Hoffen erstarb ihm bevor sich


die Lippen verschlossen




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Kommentare zu diesem Text


 eiskimo (07.06.23, 21:17)
Schon die drei ersten Zeilen treffen einen viral, die Selbstzweifel sind quasi entknotet.
Sehr starker Tobak, Dein Text!
zeitvergessene Grüße
Eiskimo

 AchterZwerg meinte dazu am 08.06.23 um 07:44:
Danke schön, Eiskimo.
Das Gedicht soll zudem ein wenig an die tragische Gestalt des großen französischen Schriftstellers Marcel Proust erinnern ("Auf der Suche nach der verlorenen Zeit.")
Dir, als Quasi-Franzosen, sagt der bestimmt etwas. :)

 eiskimo antwortete darauf am 08.06.23 um 20:53:
Mir sagt der sehr viel, aber er brauchte dabei deutlich mehr Worte als Du. 
Nochmals: Ein starker Text!
Eiskimo

 AchterZwerg schrieb daraufhin am 09.06.23 um 06:32:
Das stimmt. Für seine Suche allein sieben Bände. ;)

 DanceWith1Life (08.06.23, 06:07)
Ich frag mich gerade, ob das dasselbe "abhanden" wie das in diesem wundertraurigen Lied von Hermann van Veen ist

 AchterZwerg äußerte darauf am 08.06.23 um 07:47:
Hallo Dancer,
habe mich leider noch nie näher mit dem beschäftigt.
Es scheint sich jedoch extrem zu lohnen!
Danke. <3

 TassoTuwas (08.06.23, 09:53)
Wie wahr mein Zwergi, denn

es kann nur "Ihn" betreffen und nie "Sie"
wie man weiß Frauenmünder ermüden nie
:D  :(  :ermm: !
Dank und Gruß
TT

 AchterZwerg ergänzte dazu am 09.06.23 um 06:35:
Da ist was dran, Tasso. :P 
Umso mehr sollte es dich freuen, dass ich mich grundsätzlich recht kurz fasse *hüstel).
Kann natürlich sein, dass dies mit meiner zwergischen Gestalt zu tun hat ...

 Saira (08.06.23, 10:06)
Liebe Heidrun,
 
in deinem Gedicht erinnerst du an den berühmten französischen Schriftsteller und Sozialkritiker Marcel Proust (1871-1922). Du hast mit wenigen Versen auf das Hauptwerk des Ich-Erzählers, den siebenbändigen Roman „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ (Le temps perdu) Bezug genommen.

Seine Biografie reflektiert ein Leben in der Zeit zwischen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts in Paris mit Blick auf die reiche Gesellschaft und politische Situation. Proust, der biosexuell veranlagt war, sein Studium abbrach und erst nachdem er sich für eine Zeitlang von dem gesellschaftlichen Leben zurückzog, sein Hauptwerk konzentriert und umfangreich bearbeitete, zu Berühmtheit gelangte. 
 
Dir ist ein respektables Gedicht gelungen!
 
Herzliche Grüße
Sigi

 AchterZwerg meinte dazu am 09.06.23 um 06:38:
Danke schön, liebe Sigi!
Ganz besonders für den kurzen Abriss seines exzentrischen Lebens. Ich glaube, Proust hat die meisten seiner Bücher im Bett geschrieben. :ermm:

Herzliche Grüße
Heidrun

 Quoth (08.06.23, 20:52)
Vielleicht kam er sich abhanden und machte sich deshalb auf die Suche nach der verlorenen Zeit - und das so gründlich, dass er uns Lesern erhaltener ist als viele, die sich nie abhanden kamen. Danke für die Erinnerung an ihn! Gruß Quoth

 AchterZwerg meinte dazu am 09.06.23 um 06:40:
Das stimmt, Quoth!
Noch dazu schrieb er in einer derartig eleganten, ausgefeilten Sprache, wie sie heute kaum noch zu entdecken ist.
Leider.
Agnete (66)
(11.06.23, 18:45)
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 AchterZwerg meinte dazu am 13.06.23 um 04:51:
Herzlichen Dank für deinen Kommentar, Agnete.

Vielleicht wäre (inhaltlich) eine weitere Verdichtung möglich.
Mir fehlte dann aber etwas im Gedicht, ein I-Tüpfelchen sozusagen.

Freundliche Grüße
der8.

 Oops (12.06.23, 12:32)
Liebe Achte,
dies besondere Gedicht von Dir erinnert mich an einen mir bekannten Long Covid Gepeinigten. Vom Geschacksverlust und nur noch bitter, sauer und faul wahrnehmbar,  bis zum Energieverlust von einer 50 Stunden körperliche Arbeit Woche auf nach max 200 m gehen erst einmal eine Pause machen sowie durch Depressionen die Kraft zum Aufstehen fehlt.

Ich hoffe Dir geht es gut:).

Liebe Grüsse Oops

 AchterZwerg meinte dazu am 13.06.23 um 05:02:
Hallo Oops,

natürlich lässt sich das Gedicht auf verschiedene Arten interpretieren und trifft in seiner Aussage auf das Leid vieler Menschen zu.
In diesem besonderen Fall habe ich jedoch eine Spur zu Proust gelegt (Titel). - Das ändert nichts daran, dass mir deine Lesart gut gefällt, die ich in sich als schlüssig empfinde.

Liebe Grüße
der8.

 FrankReich (13.06.23, 05:43)
Die verlorene Zeit
 

Vor dem Tor zur Fabrik
Hält der Arbeiter plötzlich an
Das schöne Wetter hat ihn am Rock gezupft
Und als er sich umwendet
Und die Sonne betrachtet
Die rot leuchtet und blendet
Lächelnd im bleigrauen Himmel
Zwinkert er ihr vertraulich zu
Sag Kamerad Sonne
Meinst nicht auch du
Man sollte sich verdammt bedenken
Einen solchen Tag
Dem Chef zu schenken?


Jacques Prévert, Übersetzung Kurt Kusenberg

Gutes Gedicht, der Titel allerdings führt mich eher zu Prévert als zu Proust, was jedoch gemäß dem Motto "Besser wäre es gewesen." auch nicht verkehrt sein dürfte. 👋😂

Ciao, Frank

 AchterZwerg meinte dazu am 13.06.23 um 06:10:
Ja, solch ein Chef kann einem schon den ganzen Tag verderben ... zuweilen lässt sich der hilfreich-berüchtigte gelbe Zettel allerdings schon online einfordern ...

 FrankReich meinte dazu am 03.07.23 um 05:44:
Schade, einige Texte werden einfach zu früh zum Tagespony gekürt, so wie dieser heute, dann scheint alles gesagt, gewürdigt, bzw. kritisiert zu sein, weil der Abstand fehlt, in solch einem Fall wäre es natürlich nicht verkehrt, ihn öfter als nur einmal zu striegeln. 👋😉

Ciao, Frank

 AchterZwerg meinte dazu am 03.07.23 um 06:41:
Lieber Frank,
das Tagespony ist mir leider komplett entgangen - habe mich allerdings etwas gewundert, dass Ekki das Gedicht plötzlich hervorgekramt hatte.

Galoppierende Grüße

 FrankReich meinte dazu am 03.07.23 um 10:15:
Eins fällt mir dazu dann aber doch noch ein:


Sachliche Romanze

Als sie einander acht Jahre kannten
(und man darf sagen: sie kannten sich gut),
kam ihre Liebe plötzlich abhanden.
Wie andern Leuten ein Stock oder Hut.
Sie waren traurig, betrugen sich heiter,
versuchten Küsse, als ob nichts sei,
und sahen sich an und wußten nicht weiter.
Da weinte sie schließlich. Und er stand dabei.
Vom Fenster aus konnte man Schiffen winken.
Er sagte, es wäre schon Viertel nach Vier
und Zeit, irgendwo Kaffee zu trinken.
Nebenan übte ein Mensch Klavier.
Sie gingen ins kleinste Cafe am Ort
und rührten in ihren Tassen.
Am Abend saßen sie immer noch dort.
Sie saßen allein, und sie sprachen kein Wort
und konnten es einfach nicht fassen.


Erich Kästner
👋😉

 AchterZwerg meinte dazu am 03.07.23 um 12:42:
Ralfi, mein Lieber,

ich zähle mich zu den treuen Kästnerfans. Insofern machst du mir mit der Erinnerung an dieses schöne Gedicht eine große Freude! <3

 EkkehartMittelberg (02.07.23, 11:13)
Hallo Piccola,
ein heroischer Kampf um die Erinnerung. Wie konnte ich dieses schöne Gedicht nur übersehen.

Herzliche Grüße
Ekki

 AchterZwerg meinte dazu am 03.07.23 um 06:43:
Lieber Ekki,
das wird wohl daran liegen, dass du dir zuweilen eine schöpferische Pause gönnst, was so verkehrt nicht sein kann ...  8-)
Ich vermisse dich aber jedes Mal!

Piccola

 Beislschmidt (03.07.23, 10:25)
Einst war ihm das Leben passiert
dann kam er sich selber abhanden
und hatte sich kaum mehr vermisst
Hey Achter  die tragischen Zeilen zeugen von Trauer und Einfühlungsvermögen. 

Beislgrüße

 AchterZwerg meinte dazu am 03.07.23 um 12:46:
Tja, Beisl,

mir ist im Laufe der Jahre aufgefallen, wie viele Menschen sich unterwegs abhanden kommen. Und damit meine ich nicht vordringlich die, welchen einen sozialen Abstieg hinlegen.
Natürlich macht jeder Mensch eine Entwicklung durch und bleibt nicht ewig der/die Ché Guevara der Vorstadt. Manche wenden sich aber vollständig ab ... das ist traurig mitanzusehen.
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