Nichts

Text

von  Mondscheinsonate

... nein, fast nichts ist wahr, von dem, was wir uns erinnern, das ist Fakt. Die Grunderinnerung vielleicht, aber das Drumherum ist erfunden. So wie manche von etwas Schwärmen, daran festhalten, obwohl Tod und Leid dahintersteckt. Natürlich sind die schönen, persönlichen Momente präsent. Der Rest wird ausgeblendet. 

Wenn ich schreibe, in dieser oder jener Situation hatte meine Mutter einen schwarzen Pullover an, dann stimmt das auch nur, weil der Kleiderschrank meiner Mutter zu 99% mit schwarzer Kleidung ausgestattet war, aber, ob sie in dieser Erinnerung schwarz trug, weiß ich nicht, glaube es aber fest, wegen des Kleiderschranks. Man vermischt Erinnerungen, fügt Details so zusammen, wie man es glaubt. 

Emotionale Extremsituationen sind fest gespeichert. Jedoch, hält jemand eine Waffe direkt vor das Gesicht, fixiert man sich auf die Waffe, kann man den Täter nicht beschreiben. 

Im Gerichtssaal behauptete einer steif und fest, er hätte den Täter erkannt, es war sein Nachbar. Es stellte sich heraus, der Täter war 150 Meter entfernt. Es war nicht der Nachbar.

So ist es doch traurig, dass eigentlich das halbe Leben, in Summe gesehen, Lug und Trug im Jetzt ist, keine Erinnerung ist zu 100% real. 


Aber, selbst, wenn man Details unbewusst hinzudichtet, so bleibt das Gefühl. Daran kann man festhalten, den Rest kann man sich aus dem Kopf schlagen, wahrlich traurige Erkenntnis. 

Grundsätzlich, das muss ich konstatieren, habe ich ein äußerst gutes Gedächtnis, was meine persönlichen Erlebnisse angeht, jedoch wie Fremde aussehen oder aussahen, darin bin ich schlecht. Personenbeschreibungen von Fremden sind schier unmöglich, aber sehe ich die Personen wieder, live vor mir, erkenne ich sie wieder, brauche aber länger, um sie in Situationen einordnen zu können. 

Manche Menschen dichten sich ihre Vergangenheit komplett neu, was zu beobachten ist, besonders, wenn man die Fakten kennt. Es ist aber interessant, wie diese Menschen die Fakten neu zusammendichten. Sozusagen, eine Märchenstunde der besonderen Art. Julia Shaw zeigte in ihren Versuchen, dass man 70 % der Probanden ein nicht stattgefundenes Erlebnis einpflanzen konnte. Man sagte: "Deine Mutter hat uns erzählt, du hast mit 14 eine Straftat begangen, erzähle uns davon." Zumeist kam: "Ich kann mich gar nicht mehr daran erinnern." Nach und nach, sie überlegten, kamen angebliche Details in die Erinnerung. Eine Woche später ganze "Erinnerungen". 

So funktioniert das auch mit angeblichen "schönen Erinnerungen", die niemals stattgefunden haben. 

Daher gibt es Menschen, die Greueltaten schön reden, denn sie verknüpfen schöne Erinnerungen, gepaart mit Gehirnwäsche von außen, daher ihr Fazit: "Alles war schön."

Das passiert bei vielen, das hat nichts mit dumm oder verblödet zu tun, so funktioniert schlichtweg unser Gehirn. 

Leider ist das, war dies über einen längeren Zeitraum, irreversibel. Sie glauben fest daran, dass alles so war, wie sie erlebt haben, derweil war es eine eingepflanzte Erinnerung. 


Manchmal jedoch, um nicht alles als Traum darzustellen, haben zwei Menschen dieselbe Erinnerung, bestätigen jeweils den anderen, die eigene Erinnerung. Bei Mehreren muss man vorsichtig sein, besonders, wenn sie im Kollektiv sprechen, hier ist jeder einzeln zu befragen. Man wird aber erstaunt über verschiedenartigste Details sein. Besonders, wenn zwei, beide, dieselbe oder besser ähnliche Emotion hatten, fokussiert aufeinander waren, können sie jedoch kein Detail rundherum beschreiben, außer einer von beiden oder beide waren oft, zB. im Raum. Das Gehirn merkt sich nur das Wesentliche, wir haben keine Schubladen, was fälschlicherweise immer bildlich formuliert wird, sondern ein Erleben geht durch das ganze Gehirn, danach wird es im Lernspeicher gespeichert, allerdings bei oftmaliger Wiederholung, ansonsten ist der Großteil, unwichtige Details, in 15 Minuten weg. 

So gesehen ein Segen, überlegt man sich das durch. Was interessiert der Lampenschirm von Friedas Tante? Interessant ist allerdings der von Tante Frieda, sofort kommt das heimelige Gefühl von Kaffee und Kuchen auf. 

Zwei Menschen im Glück vereint, eng umschlungen, da interessiert das Drumherum nicht, wichtig die Emotion, die Situation bleibt im Gedächtnis, weil sie heftig war. 

Dass man sich danach umgedreht hat und ging, was weh tat, weiß man auch noch, bewertet es aber nicht mehr in der Erinnerung, wenn das emotional schöne Erlebnis davor imponierend war. 

So werden auch Gesamtsituationen verfälscht. 

Das Fazit macht sich der Leser selbst über sein eigenes Leben, die Fakten dazu sind eigentlich dramatisch, tatsächlich traurig, um den Titel des Versdramas "Das Leben ein Traum" von  Calderón de la Barca einfach zu stehlen.




Hinweis: Der Verfasser wünscht generell keine Kommentare von Verlo.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text


 franky (22.10.23, 08:55)
Hallo liebe Cori 

"Zwei Menschen im Glück vereint, eng umschlungen, da interessiert das Drumherum nicht, wichtig die Emotion, die Situation bleibt im Gedächtnis, weil sie heftig war." 
 
War gerne auf Deinen Spuren unterwegs:-)  
Grüße nach Wien von Franky 

 Mondscheinsonate meinte dazu am 22.10.23 um 11:36:
Jedoch sehr beklemmend das Ganze.

 FrankReich (22.10.23, 11:58)
Bzgl. des Schubladendenkens liegt hier entweder ein Missverständnis vor, oder Du beziehst Dich auf eine aktuelle Studie, die mir entgangen ist, denn lies z. B. das hier:

https://www.deutschlandfunk.de/wie-unser-gehirn-die-welt-sortiert-schubladen-fuer-das-100.html

🤔

Ciao, Frank

 Mondscheinsonate antwortete darauf am 22.10.23 um 12:01:
Ich kann dir nur das sagen, was die Rechtspsychologin Dr. Schmittat referiert hat.

 FrankReich schrieb daraufhin am 22.10.23 um 12:11:
Susanne Schmittat hat ja so einiges an Vorträgen zu bieten:

https://www.jku.at/institut-fuer-strafrechtswissenschaften/abteilungen/strafrecht-und-rechtspsychologie/team/susanne-schmittat/

Auf welchen beziehst Du Dich denn da?

 Mondscheinsonate äußerte darauf am 22.10.23 um 14:58:
Auf die aktuelle Lehrveranstaltung von letzter Woche. Ich denke, der ist nicht frei zugänglich, nur im Moodle. Schade. Das waren interessante fünf Stunden.

Antwort geändert am 22.10.2023 um 14:59 Uhr

 FrankReich ergänzte dazu am 23.10.23 um 09:49:
Das Gehirn merkt sich nur das Wesentliche, wir haben keine Schubladen, was fälschlicherweise immer bildlich formuliert wird, sondern ein Erleben geht durch das ganze Gehirn, danach wird es im Lernspeicher gespeichert, allerdings bei oftmaliger Wiederholung, ansonsten ist der Großteil, unwichtige Details, in 15 Minuten weg. 

Leider lässt sich für diese Behauptung im Netz keine Unterstützung finden, vll. handelt es sich dabei aber auch tatsächlich nur um ein Missverständnis, denn das menschliche Gehirn verfügt zwar über keine Schubladen, organisiert sich jedoch nach dieser Schablone. Ich habe das einfachste Beispiel, zudem das aktuellste, das ich finden konnte, für Dich kopiert,

https://www.ardmediathek.de/video/die-maus/schubladendenken/wdr/Y3JpZDovL3dkci5kZS9CZWl0cmFnLTkzYmI0NjNiLTU1MTktNGEzNi1hNTM3LWEzOWNiMTU0OGM3MA?isChildContent=

weil es besonders darauf hinweist, wie sich das Denken in Vorurteilen dennoch vermeiden lässt.

Ciao, Frank

 Mondscheinsonate meinte dazu am 23.10.23 um 12:52:
Ich höre es mir nochmals an, du bekommst Bescheid.

 FrankReich meinte dazu am 23.10.23 um 17:15:
Danke.
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram