Prolog: Ein Auftrag und ein Anfang

Roman zum Thema Fantasie(n)

von  kaltric

W
    „    as meinst du damit?“ wollte Brinroc, wie er sich selbst zu nennen pflegte,
in leicht entnervtem Tonfall wissen.
    „Ich meinte damit, dass...“, fing Rodym an, konnte aber dank einer
Unterbrechung von links her seinen Satz nicht vollenden.
    „Seid still, ihr...!“ zischte Ezanak ärgerlich in Haretien, der Sprache seiner
Heimat, und zwar verstanden die beiden nicht doch waren sie sofort still.
    „Dort!“
    Fern ihres Versteckes, an einer Biegung der Straße, tauchte ein Mann auf, dem
Aussehen nach lediglich ein harmloser Reisender. Nachdem er, noch fröhlich
pfeifend, ihre Deckung passiert hatte, schlichen sie sich leise hinter ihn. Bevor das
Opfer auch nur wusste was geschah, hatte ihn Rodym bereits niedergeschlagen.
Sie plünderten seine Taschen, entledigten ihn seiner Kleidung - zwar nicht
übermäßig edel, doch würden sie immer noch einen akzeptablen Preis dafür in
Rees erzielen - und fesselten ihn an einen nahen Baum an der Straße, sollte doch
ein anderer Passant ihn finden und befreien.
    Es ward spät und so entschieden sie sich dafür, den Ort des Geschehens zu
verlassen und sich lieber einen passenderen Platz zu suchen um dort die Nacht zu
überstehen. An einem Flecken, vielleicht eine kurze Reise nordwestlich von Rees,
in der Nähe des Reesil, doch nicht zu nah, schlugen sie ein Lager auf und werteten
ihre Beute aus. Der Überfallende war scheinbar wohlhabender gewesen als er
aussah, gut zwanzig Toruscyl enthielt sein Geldbeutel.
    „Karracischer Prägung!“ stellte Rodym fest.
    „Nun, du musst es wissen,“ murmelte Ezanak zur Antwort, denn hatte nicht dort,
in Karrac, Rodym lange Zeit ein ehrliches Leben geführt, bevor Ezanak ihn traf?
    Am frühen nächsten Morgen zog es sie in die Stadt, die Beute zu verkaufen,
sich mit neuen Vorräten einzudecken und vielleicht sogar den einen oder anderen
lukrativen Auftrag aufzugabeln.
    „Ich suche den Hafen ab, ihr nehmt dies...“, Ezanak drückte Rodym das
Eroberte in die Hand, „...und schindet einen guten Preis raus. Wir treffen uns heute
Abend am Osttor, verstanden?“
    Ohne eine Antwort abzuwarten machte er sich auf in die düsteren Bezirke in der
Nähe des Flusses, während die anderen beiden in die entgegen gesetzte Richtung
zogen. Er vertraute zumindest Rodym weit genug um die beiden allein loszulassen.
    In Rees, so schien es ihm, war alles irgendwie seltsam durchschnittlich, die
Gesetze waren weder streng noch zu locker, die Größe der Stadt lag in einer
Rangliste aller Städte Macheys etwa mittig, die Einwohner fristeten ein normales
Dasein und sogar das Aussehen der Häuser sah vollkommen mittelmäßig aus,
obwohl hier und dort immer noch ein Hauch des alten Glanzes durchschimmerte.
    Denn war Rees doch einst eine wohlhabende Stadt, gelegen direkt an der
Haupthandelsroute quer durch die Täler, doch nach der Eroberung sämtlicher
Städte im Umkreis durch Machey und Umleitung der Händler über Illort war es
damit vorbei. Nun diente Rees aber immerhin als Zwischenstation der Soldaten und
Abenteurer, die für Varlent in Mytillin in den Krieg gegen den nördlichen Erzfeind
Rardisonán ziehen wollen und so spezialisierte sich die Stadt stattdessen darauf,
deren Bedürfnissen nachzukommen.
    Eine der für Ezanak und sein Leute günstigsten Änderungen der örtlichen
Regeln bestand in der Abschaffung eines kaufbaren Passes, den man benötigte um
die Stadt betreten zu können, nun brauchte man nur noch einen Bürgerbrief, sollte
man in Rees leben wollen. So konnte er auch beruhigt die beiden Stadtwächter
ignorieren, welche von Tür zu Tür gingen und die Einwohner aufforderten ihren
Brief vorzuzeigen. Gerade hatten sie einen Armen ohne Genehmigung aufgegriffen
und zerrten ihn fort, in Richtung des Turmes nah des Osttores. Dort würde er wohl
zwei Wochen bleiben müssen, bevor man ihn endgültig aus der Stadt warf, sollte er
sich nicht doch noch eine Genehmigung besorgen.
    Ezanak wandte sich von dem Schauspiel des sich wehrenden Mannes ab und
setzte seinen Weg fort, nach etlicher verstrichener Zeit musste er jedoch ohne
Erfolg kehrt machen und kam kurz vor Sonnenuntergang zum Treffpunkt. Rodym
und Brinroc waren aber noch nirgends zu sehen. Da er nicht weiter wusste, was er
mit seiner Zeit anfangen solle, setzte er sich auf eine Mauer nah des gefürchteten
Turmes.
    „Hallo! Ihr dort!“ flüsterte eine Stimme merkwürdig laut.
    Ezanak sprach es einer Einbildung zu und beobachte lieber weiter die Straße,
dann meldete sich der Flüsterer wieder.
    „Ich bin hier!“
    Nun wandte Ezanak doch unwillig den Kopf und sah über sich einen eisernen
Käfig baumeln, darin den brieflosen Mann vom Vormittag.
    „Was wollt ihr?“ fragte Ezanak unwillig. „Glaubt ja nicht ich würde euch befreien,
es ist eure Schuld die euch hierher gebracht hat.“
    „Ich arbeite aber für einen der wichtigsten Männer der Stadt, er könnte euch
sicher helfen! Ihr seht aus wie ein Abenteurer, vielleicht hätte er eine gute Arbeit für
euch, bei der eure Abenteuerlust nicht zu kurz kommen würde!“
    Da spitzte Ezanak doch die Ohren.
    „Wie ist euer Name?“
    „Censyr, aber das tut nun nichts zur Sache!“
    „Und wie soll ich, euer Meinung nach, euch da runter holen? Soll ich ins
Wachhaus gehen, die Soldaten freundlich um den Schlüssel bitten und euch damit
etwa rausholen?“
    „Natürlich nicht! Geht zu meinem Herren und erzählt ihm von meiner Lage! Das
wird genügen! Sein Haus steht direkt am Westplatz, nicht zu verfehlen, er heißt...“
Da überlagerte der Lärm einer vorbeiziehenden Söldnermeute die leicht kränkelnde
Stimme des Gefangen, Ezanak verstand jedoch noch die Beschreibung des Weges.
    „Und wie kann ich vorweisen, dass ich die Wahrheit sage?''
    „Nehmt dies!“ sprach der Eingekerkerte und warf ihm einen seiner Schuhe zu.
    „Ein Schuh?!“
    „Mein Herr, und auch die Wachen, werden ihn erkennen! Beeilt euch, hier ist es
sehr zugig!“
    Ezanak wollte schon gehen, da fiel ihm etwas ein:
    „Ach, bald dürften zwei Männer hierher kommen, ein großer mit Axt und ein
rothaariger mit Armbrust. Wenn sie mich suchen, sagt ihnen, sie sollen sich in dem
Gasthaus dort drüben eine Unterkunft nehmen bis ich wiederkomme.“
    Die Nacht überfiel ihn später, als er wandelnd durch die Stadt irrte, auf dem
Rückweg von dem seltsamen Treffen mit Censyrs Herren.
    Nicht nur überraschte es Ezanak mit wem er es zu tun hatte, auch was dieser
ihm anbot: gewaltige Reichtümer, doch gefährlich verborgen. Nun suchte er sich
seinen Weg zum Osttor, er musste Rodym und Brinroc unbedingt unterrichten. Er
schritt durch die dunklen Straßen Rees', fast leer von den zahlreichen Besuchern
des Tages, nun nur noch bevölkert von Gestalten teils zwielichtigen Gebarens.
    In den engen Gassen der hafennahen Bezirke sah man den Himmel nur
überraschend selten, denn von fast jedem Dach eines Hauses zum
gegenüberliegendem spannte sich eine uralte Brücke, mit deren Hilfe man einst die
blühenden Dachgärten durchqueren konnte, denn Treppen zum erklimmen der
Dächer gab es nur wenige an mancher Hauswand. Doch diese Gärten zu betreiben
wagten sich nur noch wenige und so wurden die nun leeren Gärten von den
Verteidigern benutzt, sollte mal ein Angreifer in die Stadt selbst eindringen. Früher
wohl musste die Stadt von oben gesehen einen prächtigen Anblick geboten haben,
Ezanak bedauerte es leicht, dies nicht mehr zu sehen.
    Ein rostiges Rohr, welches rechterhand von ihm aus einer Häuserwand heraus
sich gen Himmel reckte, spie plötzlich und unerwartet Feuer. Er sprang überrascht
zurück und bewegte sich dann vorsichtig, eine Schlangenlinie gehend, an allen
Gebäuden mit diesen wundersamen Dingern vorbei. Er fragte sich, wofür die gut
seien, verschob es jedoch auf später.
    Am Osttor letztlich angekommen, bemerkte er bereits das Fehlen des wohl nun
Stiefellosen. Er scherte sich nicht lang um dessen Geschick und betrat das
Gasthaus auf der anderen Straßenseite, einem für dieses Viertel verblüffend altem
Gebäude im postomijernschen Stil. Zu seiner gewissen Erleichterung saßen die
Gesuchten um einen Tisch im Schankraum, laut mit den anderen Besuchern
feiernd.
    Ezanak stapfte deutlich hörbar direkt auf sie zu. Die vernebelten Hirne der
beiden jedoch nahmen kaum noch etwas war, so stand er bereits direkt vor Brinroc
und verpasste ihm eine Ohrfeige, ehe dieser auch nur den Luftzug spürte. Noch
eine Weile brauchte er, bevor er den Schlag merkte und verwirrt dreinblickte.
Dieses reizte seinen Kumpanen zu schallendem Gelächter, doch ein fast giftiger
Blick ihres Anführers ließ ihn verstummen. Dieser ließ sich ihm gegenüber auf die
zweite Bank am Tisch gleiten und sprach sie eindringend an.
    „Hört mir gut zu“, da klärte sich Rodyms Blick fast unmerklich, „ich habe einen
Auftrag erhalten und ihr werdet mir wie gewohnt helfen, verstanden?“
    Rodym nickt eifrig während Brinroc mit vor staunen offenen Mund seine zittrige
Hand langsam hob und sie zu seiner Wange führte.
    „W ... w ... was, worum geht's denn?“ setzte Rodym, der fast nüchterne, an.
    „Ich werde euch über das meiste unterwegs aufklären, doch sei euch gesagt,
dass wir morgen in aller Frühe aufbrechen müssen um einen Wagenzug auf der
Straße von Riton nach Pyredar abzufangen.“
    Brinroc nahm nun endlich den etwas aufgeregt erzählenden Ezanak wahr und
fragte überrascht: „Wo ... äh ... wo kommst du denn her? Hast du...“
    Den Rest vergaß er.
    Ezanak sah ihn kurz an und wandte sich dann wieder Rodym zu.
    „Habt ihr Zimmer?“
    Rodym nickte eifrig.
    „Gut, dann lass ihn uns zu Bette tragen, er und wir sollten morgen ausgeruht
sein. Habt ihr die Sachen verkauft?“
    Wieder nickte Rodym. „Ha'm wir.“
    „Gut. Also dann.“
    Mit diesen Worten packte er Brinroc und stütze ihn auf dem Weg zum ersten
Stock, wo die Zimmer untergebracht waren. Der Wirt wies ihm den Weg, Rodym
stolperte wie ein treuer Hund hinterher.
    Nach einer wenig aufregenden Nacht aber einem umso nervenaufreibenderem
Entkommen aus Rees, denn an diesem Tag war Markttag und zu dieser Zeit waren
die Straßen immer in jeder Stadt arg verstopft, befand sich das Trio auf dem Weg
nach Süden, zur großen Kreuzung am Zusammenfluss von Reesil und Britanlak.
    Stundenlang gingen sie schweigend daher, doch eröffnete schließlich Rodym
das Gespräch:
    „Du hast uns immer noch nicht gesagt was wir eigentlich machen sollen ...“
    Während seiner Frage trat er gegen einen Stein, dieser flog weit durch die Luft
um schließlich mitten in einem Baum zu landen. Mehrere unreife Äpfel prallten
lautstark auf den Boden.
    Ezanak antwortete ihm:
    „Ein paar Handelswagen überfallen und deren Ladung unauffällig nach Rees
bringen. Sie darf auf keinen Fall nach Pyredar gelangen sonst sollten wir uns in
Rees nicht mehr blicken lassen...“
    „Wer ist denn unser Auftraggeber? Etwa der Herr Stadtverwalter persönlich?“
    Rodym schien seine Frage nicht ganz ernst zu meinen, dass verriet sein
Grinsen.
    „Gedulde dich bis zum Ende unserer Aufgabe, dann werde ich es dir
offenbaren.“
    Es dauerte nicht mehr groß länger, da erreichten sie die gesuchte Kreuzung.
Rechts sahen sie die Brücke über den Reesil und geradeaus die gewaltigen Fluten
des Britanlak. Glücklicherweise lag die Straße nach Riton jedoch auf dieser
Uferseite, so mussten sie nicht einen Fährmann überfallen und ihn dazu zwingen
sie überzusetzen.
    Plötzlich nahm Ezanak etwas wahr am linken Straßengraben und bevor er
reagieren konnte, war der dortige Mann bereits von seinem als Stuhl dienendem
Steine heruntergestiegen. Er kam auf die Drei zu, nahm seinen Hut, presste ihn
sich an die Brust, verbeugte sich leicht und fragte:
    „Seid ihr Ezanak Baderis und seine Bande?“
    Womit er wohl die anderen beiden meinte.
    „Das sind wir tatsächlich“, erwiderte ihm Ezanak, „aber wer will das wissen?
Und was bitte soll uns daran hindern, euch nicht zu fesseln und am nächsten
Baume aufzuknüpfen oder in den Fluss zu werfen?“
    Das verleitet den Fremdling zu einem erschreckenderweise fast schon
dämonischen Lächeln. Dann verbeugte er sich erneut leicht.
    „Mein Name lautet Anvenn Jestien und man schickt mich, um eure, werter Iloc,
Arbeit zu überwachen, weiterhin auch den Abtransport.“
    Sein andauerndes, beunruhigendes Lächeln regte Brinroc zu einer leisen
Bemerkung an:
    „Mit wem hast du noch mal 'nen Pakt geschlossen? Gefällt mir nicht...“
    Ezanak ignorierte ihn.
    „Jestien? Klingt nicht imarisch ... Nun, mein Freund, man traut unseren
Fähigkeiten also nicht genug, um uns unsere Arbeit allein erledigen zu lassen?“
    „Doch, vollauf! Eigentlich soll ich alleine sicherstellen, dass ihr - und bevorzugt
die Ware - heil zurück nach Rees findet.“
    Immer noch lächelte er. Ezanak sah ihn unwillig an.
    „Werdet ihr uns dann in einem eventuellen Kampfe beistehen?“
  Lächelnd bestätigte Jestien:
  „Natürlich. Die Eroberung ihres Zieles ist höchst wichtig.“
  Letzteres sagte er mit einem fast heiligem Ernst, doch weiterhin lächelnd.
  „Also gut, dann beuge ich mich“, gab Ezanak nach. „Wir werden sie dort“, er
deutete auf eine kleine, bewaldete Insel in der Mündung des Reesil in den Britanlak,
über den die Straße gen Westen verlief, „abfangen.“

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