IX.
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X.

Geschichte zum Thema Trauer/Traurigkeit

von  Lala

Dass die Zeiten hektischer wurden, registrierte ich, weil ich häufiger in meiner Ecke gestört wurde. Männer mit Stiefeln, Werkzeugen und Meterbändern kamen, maßen, wogen, und schoben nicht selten auch mich zur Seite. Es schien, dass meine Damen Großes vorhatten. Ich fragte mich, weil ich nicht selten von links nach rechts verschoben wurde, ob Karen und Karlotta für frischen Wind und neue Reize sorgen wollten.
Nach etlichen Monaten, wenn nicht Jahren - über die Zeit habe ich vollständig den Überblick verloren - habe ich Karen eine Botschaft hinterlassen. Ich bestärkte sie darin, dass Veränderung in den alten vier Wänden nottäte und ihre Entscheidung richtig sei. Wir bräuchten alle mal eine Durchlüftung von Hirn und Herz und vor allem auch frische Farbe an der Wand. Dass meine Damen ausziehen wollten, kam mir nicht in den Sinn.

Erst, als ich bemerkte, dass Karen meine Botschaft nicht gelesen hatte, erst, als ich, bei meinen seltenen Gelegenheiten einen Blick in die Zeitung werfen zu können, entdeckt hatte, dass Wohnungsanzeigen markiert worden waren, erst, als Möbel herausgeschleppt wurden und keine Neuen kamen, erst, als meine Decke als ideal für den Wagen und die Möbel eingestuft und abgezogen wurden, erst, als ich plötzlich in einer kahlen Ecke auf einem fleckigen Teppich und umrahmt von vier vergilbten Wänden saß, ahnte ich, dass es ohne mich passieren sollte.

„Darf ich ihn mitnehmen?“
„Er ist zu groß und zu schwer, Karla.“
„Aber er war immer bei mir, Mama.“
Du warst immer bei ihm.“
Hallo ihr zwei, ich kann hören, was ihr sagt. Ich sitze nicht unter einer Decke, ich sitze in der Ecke eines leeren Kinderzimmers und ich fühle mich verdammt nackt. Ich bin immer noch da.
„Ich möchte mich von ihm verabschieden.“
„Das hast Du schon so oft gemacht. Aber bitte, wenn wir ihn dann hier lassen können, mein Schatz, dann verabschiede Dich noch mal.“
Und Karlotta kam zu mir. Sie schien so viel größer geworden zu sein. Ich liebte sie. Sie drückte mich und flüsterte mir ins Ohr, dass sie mich hier herausholen werde. Ich glaubte ihr kein Wort. Aber wenn ich nicht aus Plastik gewesen wäre, ich hätte mich gekniffen gefühlt, geheult und sie festgehalten, mich an sie geklammert und nie wieder losgelassen.

Der stumpfe Widerhall der Tür im Holzrahmen eines leeren Zimmers war das letzte Geräusch, was ich hörte. Ich blieb zurück in einer Welt, die sich permanent die Ohren zuzudrücken schien, die keine Decke und kein Echo kannte. Ich blieb zurück in einer Welt, die ich durch ein Fernglas sah. Ein Fernglas, welches mich permanent auf Empfang bleiben ließ. Keine Decke mehr, die über mir gelegen hätte. Die Welt, die ich sehe, ist wie Fernsehen: Ich kann die Bilder darin nicht beeinflussen, wegschalten oder manipulieren. Und sei es nur dadurch, dass ich meine Augen schließe. Ich bin immer tuned, immer online. Ich habe immer die Augen offen und lächle permanent. Auch dann, wenn ich nirgendwo mehr bin und nichts mehr von euch höre.

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Kommentare zu diesem Text


 Isaban (27.06.10)
Oh shit, ist das traurig. Verflixt, hab ich jetzt einen Kloß im Hals.
Los, hol ihn da raus, setz ihn wenigstens in den Wald oder schenk ihm ne kuschelige deckendicke Staubschicht oder sowas.
Hätte mir einer erzählt, dass das Schickal eines Playmobilmännchens mir mal Oberkante Unterlid flutet, ich hätte den für blöde gehalten.

Temposuchgrüße, Sabine

 Lala meinte dazu am 28.06.10:
Hallo Isaban,

vielen Dank für Dein Lektorat. Wie krumm ich doch schreiben kann, dachte ich mehr als einmal, als ich Deine Verbesserungen einfügte. Weitestgehend folgte ich Deinen Vorschlägen nur ganz selten, habe ich mich verweigert ;)

Schön zu hören, dass es Dir gefallen hat und der Mann aus Zirndorf trotz des Fußballspiels von Dir beachtet wurde. Ja, mit der Decke und der Staubschicht, da weiß ich nicht, ob der Playmobilmann, die sich auch verdient hat?

Danke nochmal und Gruß

Lala
(Antwort korrigiert am 28.06.2010)

 makaba (27.06.10)
krasse geschichte.
kafka in modern. schön
lg makaba

 Lala antwortete darauf am 28.06.10:
Hallo makaba,

danke für das "schön". Wenn Du an Kafka gedacht hast und diese Geschichte über ein Männeken nicht gleich abstank, dann bin ich erstmal zufrieden. Denn eigentlich habe ich befürchtet, dass man mir den Vogel zeigt, wegeni der - wenn auch nur relativen - Nähe zur "Verwandlung" von Kafka.

Gruß

Lala

 Sylvia (15.07.10)
Krass, lieber Lala,

deine Geschichte hat mich von Anfang an gefesselt und mich mitfühlen lassen mit dem Vater, der dann doch keiner sein konnte und brutal kaltgestellt wurde.
Das Ende ist wirklich traurig und berührend.
Deine Idee finde ich gut umgesetzt. Du hast es vermieden ellenlange detailierte Situationen zu beschreiben und dadurch ist die Geschichte nicht langweilig geworden. Sie ist verständlich und gut lesbar.

lieben Gruß
Sylvia

 Lala schrieb daraufhin am 15.07.10:
Hallo Sylvia,

freut mich, dass Dir der Text gefällt. Beim Schreiben habe ich mich zusammengerissen nicht allzu sehr abzuschweifen. Wenn ich einzelne Teile jetzt aufs geratewohl lese fehlt mir doch etwas mehr Biss. Das Ende sollte in diese Richtung gehen. Doch hadere ich damit, ob von einer brutalen Kaltstellung wirklich die Rede sein kann.

Danke für's Lesen und komentieren.

Gruß

Lala

 Sylvia äußerte darauf am 15.07.10:
Naja, kaltgestellt ist wohl zu hart ausgedrückt....aber die Unehrlichkeit (weil wahrscheinlich am Ende der eigenen Grenze) kann den anderen fast "kaltgestellt" treffen...lä...denke ich zumindest..
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