Vom Teufel, zwei Jungfrauen und einer Glocke

Ballade

von ViktorVanHynthersin

I.
Um den Gerichtsplatz standen Eichen.
und im nahen Tümpel, Opferteich genannt,
wurden die Sühnopfer tot oder lebendig
dem reinigenden Wasser übergeben.

II.
Diesen Zeiten glaubte man entronnen
als die Klosterbrüder des Tempelhauses
eine Glocke für den Turm in Auftrag gaben.
Ein Jahr verging bis der Glockengießer lieferte.

Männern und Pferden mit Seilen und Winden
gelang es, die Glocke in den Turm zu hängen.
Das Volk lief zusammen, brachte Brot und Bier
und ein Fest hob an, so glücklich war man.

Wer gerufen hatte, lasst die Glocke erklingen,
konnte nachher keiner mit Bestimmtheit sagen.
Der Chronist, ein einäugiger Augenzeuge,
hat der Nachwelt folgendes überliefert:

III.
Die Kutte geschürzt und schnellen Fußes,
rannte der als Glöckner berufene Klosterbruder
in den Glockenturm, umfasste mit seinen Pranken
das schwere Glockenseil und zog mit aller Kraft.

Sodann geriet die neue Glocke in Schwung
und kaum hatte der Schlegel die Wandung berührt,
stieben Vögel aus den Bäumen, flüchtete alles Getier,
wurde schwarz der Himmel und Wind kam auf.

Im einstigen Opferteich am Rande des Kirchplatzes
begann es zu brodeln, Schwefelgestank entstieg ihm
gefolgt von einem Wesen, das der Hölle entstiegen,
schaurig heulend zum Kirchturm hinkte.

IV.
Den erstarrten Glöckner aus dem Wege fegend,
kletterte der Teufel behände das Seil hinauf,
schlang die Beine um den Glockenwalm und ritt sie
zum Geschrei der Höllenchöre und zum Glockenklang.

Immer wilder galoppierte der Teufel auf dem Bronzeguß,
lauter und lauter erklangen Glocke und Gesang.
Bänder klammerten verzweifelt am Eichenjoch
bis sie die Glockenkrone nicht mehr halten konnten.

Und so geschah es, dass der Teufel auf der Glocke
das schmale Schallloch des Turmes durchbrach,
über die Köpfe des schaulustigen Mobs flog,
in den Opferteich stürzte und gurgelnd versank.

Die Klosterbrüder fanden zuerst ihre Fassung,
rannten zum Teich, fanden das Glockenseil
und begannen wie die Kinder daran zu ziehen.
Fünf von ihnen zog der Teufel in die Tiefe.

Rat- und Fassungslosigkeit in den Gesichtern,
nur der alte, ehrwürdige Abt wusste die Antwort.
Die Gott zugedachte Glocke war des Teufels,
da sie nicht eingesegnet worden war.

V.
Ob Höllenhunde oder zwei reine Jungfrauen
die Glocke in der Tiefe hüten ist ungewiss,
denn die fahrenden Geschichtenerzähler
haben Fantasie und Lust am Fabulieren.

Bei hellem Wetter sähe man bisweilen
die Glocke am Grunde grüngold schimmern.
Andere glauben, sie schlüge an Ostern und
zur Pfingsten für die, die Ohren dafür haben.

Ich glaube, noch immer sitzt der Teufel auf ihr
und wenn wir Menschen Weihnachten feiern,
dann steigt er mit der Glocke zur Wasserlinie
und lacht über unseren kläglichen Glauben.

Anmerkung von ViktorVanHynthersin:

Inspiriert von: Der Opferteich von Moringen (Georg Schambach, Niedersächsische Sagen und Märchen, Göttingen 1855)

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Kommentare zu diesem Text

AronManfeld (43)
(23.12.12)

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loslosch meinte dazu am 23.12.12:

oder: das andere ungeheuer von loch ness.

ViktorVanHynthersin antwortete darauf am 23.12.12:

@ Aron
Nur wenn Modern Talking gerade unabkömmlich ist.
@ Lothar
Jahreszeitlich wäre der Yeti passender

)
Herzliche Grüße euch Beiden
Viktor

AchterZwerg (65) schrieb daraufhin am 23.12.12:

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TassoTuwas (23.12.12)

denn die fahrenden Geschichtenerzähler
haben Phantasie und Lust am Fabulieren

Was du wieder einmal großartig gezeigt hast!
Herzliche Grüße, frohes Fest, gutes Neues Jahr.
TT

ViktorVanHynthersin äußerte darauf am 23.12.12:

Vielen Dank für Deine Worte. Auch Dir wünsche ich ein frohes und entspanntes Weihnachtsfest und einen guten Start ins Neue Jahr!
Herzliche Grüße
Viktor

Georg Maria Wilke (23.12.12)

Lieber Viktor - eine "fabula grandiosa" - eine besinnliche Zeit wünsche ich dir, Georg

ViktorVanHynthersin ergänzte dazu am 27.12.12:

Vielen Dank, lieber Georg, auch für Dich soll es eine besinnliche Zeit sein!
Herzliche Grüße
Viktor

irakulani (23.12.12)

"...für die, die Ohren dafür haben."

Nur die erreichen diese geheimnisvollen Texte,nur die erreichen die Geschichten zwischen Glauben und Aberglauben.

Auch der Zauber von Weihnachten wird nur von denen erlebt, die ihre Sinne dafür öffnen.

Herzliche Grüße an den Zauberer Viktor,
Ira