Zeit und Alter

Essay zum Thema Alter

von  LotharAtzert

"Die Zeit", heißt es bei Martin Heidegger "entzieht sich, indem sie sich in das Seiende entbirgt." (Sein und Zeit) Was hier mit "seiend" gemeint ist, sind die veränderlichen Erscheinungen: Was erscheint, ist der Schein des Wirkenden, nicht das Wirkende selbst. Dieses entzieht sich, doch seine Natur wird an der Erscheinung erkennbar, sofern man sie wahrzunehmen lernt. Dh. das Seiende läßt Rückschlüsse über seine Herkunft zu, sobald man das Prinzip des Wirkenden in seiner unumstößlichen Ordnung begreift.

SATURN hieß das Zeit-Prinzip bei den Römern, die es ihrerseits von den Orphikern adaptierten, wo es CHRONOS genannt wurde.
Ihm zu Ehren feierte man ab dem 17. Dezember im alten Rom alljährlich das mehrtägige Fest der sogenannten Saturnalien. Ein Fest, bei dem vor allem die Rollen getauscht wurden - Diener wurden Herrscher und jene beidienten ihre Untertanen. Der Zweck des Festes liegt auf der Hand: sich zu erinnern, daß Titel und Ansehen nur verliehen und am Ende ihres irdischen Aufenthaltes alle Sterblichen wieder gleich sind.
Die Saturnalien werden auf einigen Universitäten heute noch gern gefeiert, wobei die Studenten ihre Dozenten und Professoren belehren. Und die Fernsehanstalt RTL II liefert ihren Zuschauer seit einiger Zeit Formate, wie "Frauentausch", "Das Aschenputtel-Experiment" und ähnlichen Klamauk.

Hier ein paar typische Sprüche, die das Wesen der Zeit, auch ihre Mühsal, mehr oder weniger anreißen: "Steter Tropfen höhlt den Stein." "Spare in der Zeit, so hast du in der Not." Oder was ich von meinen Eltern oft zu hören bekam, wenn ich wieder einmal lieber spielen, als lernen wollte: "Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr."
Noch unangenehmer empfand ich allerdings das chauvinistische "Lernjahre sind keine Herrnjahre."

All das hebt hervor, daß Zeit - und zwar bis zum Lebensende - mit dem Lernen jeweiliger Lektionen verbunden bleibt, wobei, "was Hänschen nicht lernt ..." - der richtige Zeitpunkt einzuhalten ist. - Nichts wirkt peinlicher, als wenn einer oder eine mit Fünfundsiebzig die versäumte Pubertät unbedingt nachholen zu müssen glaubt.
Es kommt ja hinzu - und das ist die eigentliche Lektion des Saturn - daß alles seine Zeit hat, die Blüte ist stets vor der Frucht - der Körper hat die Zeit seiner besten Verfassung in den späten Jugendjahren, der Geist erheblich danach. Noch später, nämlich zumeist erst im hohen Alter, "zeigt" sich die nach innen gewendete Spiritualität, die man durchaus dann auch Sterbekunst nennen kann.
Und "wer nicht hören will, muß fühlen" - wir nennen sie "chronisch" - die Folgen fortgesetzter Korrekturverweigerung, die irreparablen und sich summierenden Krankheiten des Alters.

Klar, daß der unerbittliche Saturn in der Beliebtheitsskala beim Volk nie die Popularität eines freigiebigen Jupiters erreichen konnte.
Aber, wie heißt es doch: "Am Ende siegt die Tüchtigkeit!"

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Kommentare zu diesem Text

BabetteDalüge (67)
(16.07.14)
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 LotharAtzert meinte dazu am 16.07.14:
Der Schlußsatz ist halt nur noch mal in Richtung meiner Kritiker gefeuert.
Tüchtig kommt vom Betuchtsein - aus der Renaissance, wo die Kaufmannsgilden entstanden - und ist sowieso ansonsten fragwürdig. Den aussagekräftigeren Mittelfinger zeigen ging ja nicht. Der ist, wie Du weißt, der Saturnfinger. ...
Ich danke Dir für das Lob, das runtergeht, wie ... Absinth.
Gruß
Lothar
B-Site (30)
(16.07.14)
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 LotharAtzert antwortete darauf am 16.07.14:
Ich nehme an - anspielend auf Deinen nick - Deine Eltern sagten Dir mindestens einmal: "Wer A sagt, muß auch B sagen.";-)
Danke.
B-Site (30) schrieb daraufhin am 16.07.14:
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 Regina (09.08.14)
Ein in sich runder Aufsatz, den man ohne Vorkenntnisse verstehen kann. Kinderlose, früher die Ausnahme, heute die Regel, bitte, ich habe nichts dagegen, bleiben spätestens in der jungverheirateten Phase oder auch in einer jüngeren, stecken, Eltern, die ihre Elternschaft nicht annehmen, auch. Wenn sie im Alter nachreifen, ist das so, besser spät als nie, finde ich.

 LotharAtzert äußerte darauf am 10.08.14:
Danke. Ja, besser spät, als nie ...
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