Kleiner Spatz

Gedicht zum Thema Erkenntnis

von  Isaban

Er liegt in seinem weißen Nest.
Die Kinder stehen dort und
staunen und warten auf den Trick,
da zieht die Wolke vor das Licht
und das Erstaunen bricht.
Sie starren auf den Kleinen,
begreifen nach und nach,
verstummen und
beginnen dann zu weinen;
der Kleine rührt sich nicht.
Und eine Große kommt und spricht,
dass er bei Gott im Himmel ist.

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Kommentare zu diesem Text


 Irma (11.01.19)
Ein toter Spatz oder der tote Hamster sind (hoffentlich) die ersten frühen Begegnungen mit dem Tod, wo das Kind lernen muss, dass es bei diesem Schlaf kein Erwachen mehr gibt. Wo es lernen muss zu trauern, Abschied zu nehmen. Und wenn dann später Oma oder Opa sterben, wird es bereits verstehen, dass diese niemals mehr wiederkommen.

Großwerden und Begreifen ist mit dem Zerbrechen des kindlichen Glaubens an eine verlässliche, heile Welt verbunden. Der Glaube der „Großen“ an einen Himmel kann nur ein kleiner Trost sein, um den Schmerz über das Verschwinden auf immer etwas abzumildern.

In deinem Gedicht bleibt offen, ob es sich tatsächlich um ein Vogelbegräbnis in einem mit Papiertaschentüchern ausgekleideten Pappschachtelgrab handelt oder ob die Kleinen tragischer Weise vor dem Sarg eines ihrer kleinen Spielkameraden stehen müssen. Doch als „großer“ Leser ahnt man leider, um wen es sich bei diesem „kleinen Spatz“ handelt wird.

Das Gedicht beginnt harmlos jambisch. Aber schon im dritten Vers zeigen das Fehlen des Auftaktes und das Stolpern im Rhythmus, dass dieser vermeintliche Zaubertrick nicht funktionieren wird. Mit dem Licht bricht das Erstaunen und ganz langsam setzt das Begreifen ein. Der „kleine Spatz“ erwacht nicht mehr und fliegt nicht plötzlich wieder auf. Die „Große“ bringt dann die Gewissheit. Es bleibt nur ein mögliches Fliegen in den Himmel.

Berührend. LG Irma

Kommentar geändert am 11.01.2019 um 10:09 Uhr

 Lluviagata meinte dazu am 11.01.19:
10 Punkte für den Kommentar, Irma.

Liebe Grüße
Llu ♥

 AZU20 antwortete darauf am 11.01.19:
Da kann ich mich nur anschließen. LG

 Isaban schrieb daraufhin am 14.01.19:
Was die Punkte für Irmchens Kommentar angeht, kann ich mich ebenfalls nur anschließen, ihr Lieben! Wir alle sollten Jan noch einmal daran erinnern, wie toll so eine Kommentarempfehlungsfunktion hier an Board wäre!

@ Irma:

Wie toll ich deine Interpretationen finde, muss ich dir gar nicht mehr schreiben, oder? Auch hier hast du eine gefunden, die mir ausgesprochen gut gefällt. Du bist definitiv der freundlichere Mensch von uns beiden. Manchmal schäme ich mich ob meiner bösen Gedanken. Hier aber bin ich froh, dass der Text verschiedene Interpretationen zulässt. Deine erwärmt mir das Herz.

Sei herzlich gegrüßt.

Sabine

 Lluviagata (11.01.19)
Liebe Sabine,

Irma hat eigentlich alles gesagt. Für mich - noch angefügt - braucht es die letzten zwei Zeilen nicht wirklich. Es ist quasi die Auflösung, für die Kinder eben. Die Gewissheit, die Irma anspricht. Für den Leser jedoch ist alles klar, oder auch nicht. Das macht es aus, meine ich.

Liebe Grüße
Llu ♥

 Moja äußerte darauf am 11.01.19:
Die letzten beiden Zeilen empfinde ich als Trost für die Kinder, liebe Sabine, das Gedicht ist wie ein geglückter Moment.
Lieben Gruß, Monika

 Isaban ergänzte dazu am 14.01.19:
Hallo ihr beiden!

Das ist auf jeden Fall eine sehr schöne und sehr freundliche Auslegung meiner Verse! Habt vielen Dank dafür!

Liebe Grüße
Sabine
Stimulus (54)
(11.01.19)
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 Lluviagata meinte dazu am 11.01.19:
[diese letzten beiden verse, die, für mich nicht überraschend, von Einigen weg gewünscht wurden. Warum? Es braucht sie nicht, wir sind schon traurig genug, ist doch alles perfekt.]

Ja, sapperlot, Stimulus, ICH brauche sie nicht, ich sehe sonst niemand, dem sie zu viel sind!

Gerade diese Verlogenheit, die die zwei letzten Verse darstellen, brauch ich nicht; nicht, um endlich traurig genug zu sein, sondern um die Spannung zu erhöhen. Bis dahin nämlich erzählt es von den Kindern, aber dann, in den letzten zwei Versen wandelt sich die Sicht in Kindes Sicht. Das brauche ich nicht. Nicht wirklich.

Schalom
Llu ♥
Stimulus (54) meinte dazu am 11.01.19:
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Stelzie (55) meinte dazu am 11.01.19:
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 Isaban meinte dazu am 14.01.19:
Hallo zusammen!

@ Llu:
Ist doch ok, liebe Llu, der Text gehört dem Leser, jedem einzelnen Leser und bei jedem Lesen aufs Neue. Deine Auslegung ist stimmig und passt, bis sie auf die letzten beiden Verse stößt - lass sie für dich einfach weg. Ich freue mich, dass dir der Text etwas geben konnte und dass du eine Interpretation gefunden hast, durch die der Text dich berühren konnte.

Sei lieb gegrüßt!

@Stelzie:
Ja, darum geht es in diesem Text, um die Lügen, die wir manchmal brauchen, die wir manchmal aussprechen, um anderen (oder uns selbst) das Leben leichter zu machen, um andere zu beschützen. Manche brauchen sie, manche wollen belogen werden, manche reden sich selbst ein, dass etwas durch eine Lüge besser oder leichter zu ertragen ist. Für andere ist das reiner Hohn und jede Lüge ein Vertrauensbruch.

Wie soll ein Kind Erwachsenen, seinen Eltern, irgendeiner Vertrauensperson noch glauben/trauen, wenn es feststellt, dass es von klein auf belogen wurde, wenn ihm von Nahestehenden von vorneherein die Fähigkeit abgesprochen wurde, mit etwas fertig zu werden, das zum Leben dazugehört und seit Anbeginn allen Lebens dazugehört hat?

Ich will hier nicht urteilen, liebe Stelzie, wie sollte ich mir das auch anmaßen. Ich möchte nur sagen, dass es da sehr unterschiedliche Betrachtungsweisen gibt. Jeder kann und darf seinen eigenen Standpunkt finden und seine eigene Methode, mit Trauer, Schmerz und liebevollen Lügen umzugehen.

Liebe Grüße

Sabine

@ Stimulus:

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Du hast gründlich in meiner Stilmittelkiste gekramt und bist fündig geworden. Ja, ich gebe es zu, ich wollte, wie in einem Film (und ja, mit Dramapause), das Bild aufbauen, wollte den Leser zwingen, zwischen den Kindern zu stehen und mit ihnen auf den Zaubertrick zu warten, wollte den Kloß im Hals fabrizieren - und dann wollte ich es auflösen. Mir war klar, dass es mindestens zwei Auslegungsmöglichkeiten gab - die vertrauensvolle und die hinterfragende, die gutgläubige und die schmerzhafte.

Man liest und glaubt immer nur, was man lesen und glauben möchte. Ich finde es toll (und auch beneidenswert), wie viele Menschen sich ihre freundliche, vertrauensvolle Art bewahren konnten. Allerdings ich finde es nicht unerheblich tröstlich, dass ich mit meinen "bösen" Gedanken nicht ganz allein bin. Zwiespältig ist der Mensch. Hab tausend Dank für deine Rückmeldung!

Lieben Gruß

Isaban

 Irma meinte dazu am 14.01.19:
Liebe Isaban, ich wollte hier nur noch kurz anmerken, dass ich es einen bedeutenden Unterschied finde, ob ein Großer die Kleinen "belügt", ihnen also bewusst etwas Falsches erzählt, und sei es auch nur, um sie zu trösten - oder ob der Große selbst an das Gesagte glaubt. Kinder haben nämlich sehr feine Antennen, sie haben ein feines Gespür dafür, ob jemand sie anlügt. LG Irma
aliceandthebutterfly (36)
(11.01.19)
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 Isaban meinte dazu am 14.01.19:
Hallo Stefanie ,

vielen Dank für deine Rückmeldung. Ich freue mich, dass der Text dich zwischen seine Verse ziehen konnte.

Lieben Gruß

Sabine
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