Beim Rinderzüchter oder (k)eine Spur von Wahnsinn

Reportage zum Thema Mensch und Natur

von  eiskimo

Martin Simonet ist Rinderzüchter in Burgund. Ich kannte ihn bis dato nur vom Sehen. Dass er just aus dem Stall kam, als ich mein plattes Mountainbike an seinem Hof vorbei schob, war Zufall.
„Sicher ein Dorn, der dir das die Tour vermasselt hat,“ sprach er mich freundlich an, und ob ich es noch weit hätte zu meinem Auto.
„Kein Problem,“ erklärte ich. „Ich fahre sowieso mehr, um etwas zu sehen als um mich körperlich zu belasten.“ Und seine Rinderherde sei ja absolut sehenswert.
„Das sind beileibe nicht alle,“ erfuhr ich. Auch im Nachbarort habe er noch Weiden. „Und da steht das Gras besser, da kann ich die Viecher schon raus lassen. Hier war es zu trocken, da hoffe ich sehr auf Regen.“
Ob es Anfang April nicht noch zu kalt sei, wollte ich wissen.
„Die Charolais-Rasse ist sehr robust – die halten das aus,“ lachte er.“Selbst wenn es nochmal gegen Null Grad wird.“
Ob er nur diese weißen Charolais züchte und wie viele Tiere er denn insgesamt habe, fragte ich.
„ Alles Charolais.“  Kollegen von ihm hätten mit Aubrac-  und Limousin-Rindern angefangen - „Die sind komplizierter, aber mir reichen meine drei Hundert...“
Drei Hundert! Ich machte große Augen.
„Ja, vor zehn Jahren hatte ich gerade mal sechzig...“
Mit einem Blick in den Hangar, vor dem wir standen, konnte ich schon locker dreißig Exemplare  sehen. Alle gleich.  Dicht an dicht.  Und es gab noch zwei weitere dieser Metall-Hangare. Dazwischen enorme Depots von Heu- und Strohballen, alle hermetisch in jadegrünes Plastik verschnürt, haushoch aufgetürmt.
Die Rinder hatten alle den Kopf durch ein Eisenspalier gesteckt, und alle fraßen eifrig das Heu, das Martin Simonet ihnen gerade vor gelegt hatte.  Es lagen auch Reste von Stroh dazwischen, die aber verschmäht wurden. Simonet klärte mich auf.
„Stroh mögen sie nicht sonderlich. Aber für uns ist es billiger, darum mischen wir es drunter – unsere Heu-Vorräte halten dann ein bisschen länger.“
Hinter den fressenden Kühen im Halbdunkel sah ich ein paar Kälbchen herumtollen.
„Die sind noch keine Woche alt. Ich hab auch Zwillinge darunter, da links. Die kriegen zusätzlich noch das Fläschchen. Die Geburt war nicht einfach.“
„Muss da jedes Mal der Tierarzt kommen, wenn eine Kuh kalbt?“
„Oh, nein! Das mache ich selber. Ich bin hier der Gynäkologe. Und ich habe erst zwei Mal ein Tier verloren.“
Er zog mich ein Stück weiter in den Hangar hinein. Als wir bei einer der dreißig Kühe anhielten, zeigte er auf ihre Seite. Ich erkannte eine ca. 40cm lange Naht, die blau-grün aus dem weißen Fell hervor stach.
„Kaiserschnitt!“ erklärte Simonet stolz. „Anders wollte der Kleine nicht raus. Und es ist doch gut verheilt, oder?“
Ich war beeindruckt. Wie oft er zu einer solchen doch aufwändigen Operation schreiten müsse?
„Grob gesagt: Von hundert Kälbern hole ich auf diesem Wege drei.“
Er wollte der tapferen Kuh den Kopf tätscheln, doch die wich abrupt zurück. Das Eisenspalier  schepperte.
„Wieso haben die keine Hörner? Sind die weg gezüchtet?“
Simonet wurde etwas nachdenklich.
„Wir wollen natürlich keine Hörner, weil die Tiere sich damit schon einmal gegenseitig verletzen - manche sind durchaus aggressiv. Aber wir haben da eine Art Zauberstäbchen – sobald beim Kälbchen die Höcker des Horns sichtbar werden, können wir damit das Wachstum stoppen. Die Tiere merken das nicht.“
Ob es Krankheitsfälle gäbe, Infektionen, größere Ausfälle?
„Nein, wie gesagt: Charolais sind robust. Es läuft gut. Dein Steak heute Abend ist nicht in Gefahr!“
Er lachte herzlich, völlig unbefangen.
Ich verabschiedete mich und dankte für diese beeindruckende Einführung in sein Zucht-Unternehmen. Beim Verlassen der Anlage sah ich auf einem Strohballen noch eine Kleinigkeit, die Martin Simonet wohl einmal dort vergessen hatte. Es war eine Spritze, zwei Daumen dick, daran ein Flacon mit rotem Etikett.
Es hätte nicht dieser Spritze bedurft, um mich nachdenklich zu machen. Drei Hundert Rinder allein bei Simonet. In ganz Frankreich werden es Millionen sein. Ein gewichtiger Wirtschaftsfaktor. Kräftig wachsend.
Dass Rinder  bei ihrer Verdauung in beträchtlicher Menge klimaschädliche Gase absondern, wusste ich schon vor meinem Besuch beim Züchter. Ob Simonets Kollegen alle nur Heu und Stroh verfüttern – und nicht doch zusätzlich hochwertige Getreideprodukte, um die Mast zu beschleunigen, dieser Zweifel blieb mir auf jeden Fall. Es blieb auch der Zweifel, ob Umfang und Art der modernen Rindfleischproduktion so noch verantwortbar sind.
Andererseits: Was hätte dieser so freundliche Monsieur Simonet denn für Alternativen? Die Vorgaben der EU-Agrarpolitik ignorieren? In einer strukturschwachen, bevölkerungsarmen Region auf Bio umsteigen, hoffend, dass sich ein paar überzeugte Bio-Kunden zu ihm durchschlagen?
Wie auch immer - seiner Empfehlung für ein Steak zum Abendessen, der mochte ich erst einmal nicht nachkommen.


Anmerkung von eiskimo:

Vorabdruck von "Geschichten aus Burgund"; Erzählungen eines Frankreich-Fans.
Die Namen im Text sind geändert.

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (11.04.19)
Abschluss viel zu moralisch. Eiskimo, wir Leser sind nicht blöd, wir können uns unsere eigenen Gedanken machen!

 eiskimo meinte dazu am 11.04.19:
Ich habe den Text als "Reportage" eingestellt, und da darf ich auch meine persönlichen Erkenntnisse und Gefühle einfließen lassen.
Ich glaube auch nicht, dass Leser sich dadurch für dumm verkauft fühlen.
cu
Eiskimo

Antwort geändert am 11.04.2019 um 12:42 Uhr

 Dieter_Rotmund antwortete darauf am 11.04.19:
Ja, darfst Du, aber eine gute Reportage geht da etwas subtiler vor, nicht so mit dem Brechhammer vorgesetzt. Ich fühlte mich schon etwas bevormundet.

 Lluviagata (11.04.19)
Im Allgäu sah ich, dass die Kälbchen in einen Verschlag gesperrt werden, in dem sie sich kaum drehen können. Muttermilch bekommen sie per Flasche - vom Bauern.

Moral hin oder her, ich weiß schon, warum ich Vegetarier bin.

Danke für diesen Bericht.

Liebe Grüße
Llu ♥

PS: Ulkige Schreibweise der [drei Hundert]

 eiskimo schrieb daraufhin am 11.04.19:
Naja, ich mag auch mal Fleisch essen. Aber dass die Mengen derart hoch gezüchtet werden, das gibt mir schon zu denken.... Wo soll das enden?
lG
Eiskimo

 Lluviagata äußerte darauf am 11.04.19:
Kann jeder tun, wie es ihm beliebt. Nur ein Vegetarier muss sich erklären, muss sich oft auslachen lassen. Wo soll das enden?

 Dieter_Rotmund ergänzte dazu am 11.04.19:
Kürzlich habe ich einen Rasen neu gemacht und auf der Düngerpackung gelesen, dass dort Tierreste drin sind. Es darf also kein Vegetarier sich an diesem neuen Rasen erfreuen.

 eiskimo meinte dazu am 11.04.19:
@Lluviagata
Dass Vegetarier schon mal belächelt werden, iost wohl Fakt. Aber es gibt m.E. einen allgemeinen Gesinnungswandel, zumindest wollen viele Leute weniger Fleisch essen., Auch aus Klima-Gründen. Das lässt doch hoffen.
lG
Eiskimo
@Dieter_Rotmund: Habe das Ende leicht verändert, ich hoffe, in Richtung weniger Brechstange

 Regina (11.04.19)
Solange man ihm seine Produkte abkauft, sieht er sicherlich keinen Anlass, auf vegetarisch umzusteigen.
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