Ein guter Mensch

Gedanke zum Thema Wertschätzung

von  Terminator

In einer ideationalen oder idealistischen, sprich gesunden Gesellschaft ist die Bezeichnung „guter Mensch“ der ultimative Ritterschlag, denn alle positiven Charaktereigenschaften und Verdienste, alle bewunderungerregenden Anekdoten und ehrenhaften Titel laufen auf ein klares positives moralisches Urteil über eine Person hinaus.

In einer dekadenten Gesellschaft wird mit dem Schlechten kokettiert und das Gute wird einem Pauschalzweifel unterzogen; der gute Mensch ist automatisch einem Vorwurf der Scheinheiligkeit ausgesetzt und der moralisch einwandfreie Held wird durch die Figur des nicht guten, dafür aber authentischen Antihelden ersetzt. Der Antiheld hat letztlich ein tief verborgenes „gutes Herz“: zwar strebt die liberal-dekadente Gesellschaft nach äußerlichen und hedonistischen Zielen, aber der kleinste gemeinsame Nenner bleibt der (in der Regel auf eine einzige Charaktereigenschaft wie Ehrlichkeit oder Empathie reduzierte) gute Wille.

Eine ultradekadente Gesellschaft hasst das Gute und liebt das Böse. Hier ist es peinlich, ein guter Mensch zu sein; wird von jemandem gesagt, er sei ein guter Mensch, dann wird gemeint, er sei ein Loser und Versager, der sich mit diesem wertlosen Trostpreis begnügen muss. Mit ungestraften Missetaten wird geprahlt, das im Verborgenen getane Gute gilt als Inbegriff der Dummheit. Der ultradekadente Mensch ist stolz auf seine schlimmsten Charaktereigenschaften und betrachtet gute Charaktereigenschaften und Verhaltensweisen als Zeichen der Schwäche.

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Kommentare zu diesem Text


 loslosch (14.04.20)
beim zweiten lesen stellte ich mir vor, donald trump würde diesen text lesen (immer unterstellt, er würde die geduld und konzentration aufbringen).

wäre ein feines gedankenexperiment!

 Terminator meinte dazu am 14.04.20:
Donald Trump als einzelner Bösewicht (lächerlich!) oder als Respräsentant/Präsident der 99% der Bevölkerung? Keiner von den 99% Ultradekadenten im Westen sähe im geistig-moralischen status quo ein Problem sowie sich selbst als Teil des Problems.

Wer hat denn Trump gewählt, und wer vom Rest hat nicht Hillary gewählt? 2016 wurde in den USA entschieden, ob ein Ultradekadenter oder eine Ultradekadente die Ultradekadenten regieren wird.

Wenn wenigstens 7% der westlichen Bevölkerung intelligent und moralisch genug wären, um diesen meinen Text zu verstehen... Ein noch feineres Gedankenexperiment, doch leider utopisch.

 RainerMScholz antwortete darauf am 26.05.20:
Die ursprüngliche Antwort wurde am 26.05.2020 um 22:37 Uhr wieder zurückgezogen.

 autoralexanderschwarz (08.05.23, 17:59)
Sind deine drei Gesellschaften Stufen einer Entwicklung oder für sich stehende Konstrukte? Und was ist mit den Gesellschaften, denen „gut“, „böse“ oder ähnliche Zuschreibungen mehrheitlich eigentlich vollkommen egal sind?

 Terminator schrieb daraufhin am 08.05.23 um 22:12:
Ich betrachte die Gesellschaft mit Pitirim Sorokin, Lew Gumiljow und Oswald Spengler devolutionär. Es gibt keine moralisch gleichgültigen Gesellschaften; die fernöstlichen Gesellschaften betrachten Gut und Böse nicht dualistisch/manichäisch, sondern komplementär/harmonisch. Was für uns eine sensualistische Kultur (Sorokin), Zivilisation/Dekadenz (Spengler), Herrschaft der Subpassionarier (Gumiljow) ist, ist dem Chinesen das Chaos, der Verlust des Mandats des Himmels durch den Imperator.

 autoralexanderschwarz äußerte darauf am 09.05.23 um 09:45:
Meine auch eher sowas wie bspw. Horkheimers "verwaltete Welt" in der vermeintlich tradierte Werte eigentlich nicht mehr als bloße Worthülsen sind.

 Terminator ergänzte dazu am 09.05.23 um 21:54:
Ich denke eher, dass grundlegende Werte ontologisch, oder zumindest biologisch verankert sind.  Werte gelten, auch ohne dass sie tradiert werden. Das sind nicht von außen oktroyierte, sondern im wahrsten Sinne innere Werte.

 autoralexanderschwarz meinte dazu am 09.05.23 um 22:16:
Finde ja nicht, dass das so einfach ist, aber zumindest ohne Frage unterhaltsam. Laut "Moralischem Grundlagen-Test" ist mir die Gerechtigkeit am wichtigsten.
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