Freundeskreis

Erzählung

von  minze

Ich gehe dann mit ihnen zum Bäcker, nach der Schule. Sie sehen die kleinen Macarons, Profiteroles, Tartes des fraises. Sie betteln darum. Ich sage, dass es nichts gibt. Am nächsten Tag gehe ich hin, bevor ich sie abhole. Ich kaufe sie. Sie freuen sich und lernen, man muss erst mal verzichten. Einmal, als Adèle und Charlène an einem Tag zwei Carambar bekommen, behält Adèle eines zurück. Am nächsten Tag zieht sie Charlène damit auf und tanzt mit dem verbliebenen vor ihrer Nase. Ich gebe Charlène auch eines. Adèle ist beleidigt, sie will wieder ein Neues. Ich sage ihr, das habe sie davon, so aufzutrumpfen.
Fabien meint, er sei ein strenger Vater. So habe ich ihn nicht eingeschätzt. Sie balgen viel miteinander herum, noch im Rahmen, das schon. Er spielt mit ihnen, auch wenn Besuch da ist, spricht lustig mit verzogener Stimme und kitzelt sie. Mein Bild war und bleibt ein durch und durch warmes. Yann und ich sehen die Mädchen kurz, sie versteckten sich unter der Wohnzimmerdecke. Dann legt sich Fabien eine knappe halbe Stunde zu ihnen, um sie ins Bett zu bringen, während Mathilde uns eine Flasche Weißwein anbietet. Ich brauch noch etwas zum wach werden. Sie reagiert später darauf. Die Terasse bei Fabien und Mathilde wird durch eine Pergola umrahmt, die dicht bewachsen ist. Wir sind das bewegliche Bild im Grünen. Die Palmen mitten im Garten, die sie damals vom Mc Donalds Parkplatz geklaut haben, sind in den letzten Jahren ums Dreifache gewachsen.

Mathilde erzählt mir, dass sie mit den Kindern zwölf Kilo abgenommen hat. Es war immer so, war ich rund, dann ging es mir gut. Ich liebe essen. Ich liebe alles, was gut ist, weißt du? Und dann habe ich auf einmal wenig vertragen, sobald ich schwanger war, auf alles verzichten. Das einzige, was ich mochte, war Kaffee. Und jetzt trinke ich Kaffee, davor habe ich viel Tee getrunken. Sie hat noch von dem Kusmitea, den sie mir aufgießt, in ihrer gusseisernen Kanne. Das Thema mit ihrer Figur wird für sie nur relevant, wenn ihre Mutter sie darauf anspricht. Wir haben es kurz davon, weil sie hängen bleibt bei der Wahrnehmung, die man von sich hat, als Frau. Wie genau man sich wahrnimmt. Was sich verändert, in dem, wie man sich bewegt, empfindet. Ich schaffe es nicht, darüber richtig nachzudenken, aber sie sieht mich mit ihren Mandelaugen so tief hungrig an, dass ich etwas dazu sagen werde. Bevor die Kinder kamen, hat sie mit Fabien stundenlange Koch-Sessions gemacht, es hat sie sehr verbunden, es war sicher Teil ihres Kokons. In dieser ersten Zeit waren die beide kaum aus dem Nest zu bringen. Er brachte die Fritteuse in die Beziehung, sie die Tajine. Ich erzähle ihr, dass eine deutsche Freundin von mir meinte, die Tajine wäre ihr Favourite fürs Familienessen. Mathilde stimmt mir zu, als ich meine Zweifel anbringe: das lange Wässern, bevor es losgeht, das viele Gemüse ist schwierig.

Ich warte, bis Fabien wiederkommt. Ich will das erörtern mit seinen Töchtern, die Hintergründe erfahren, mein Bild vervollständigen. Ihn fragen, was man denn aufbringen kann an Idealen, wenn man seinem Kind in dessen Persönlichkeit begegnet, meinem Kind. Er wird später sagen, dass er an diese Veranlagungsgeschichte nicht glaubt. Dass man alles aus Kindern machen könne, ich bin auch stolz darauf. Als er kommt, sprechen wir erst einmal lange über Tony. Wir sind am Grill mit einem riesen Fischfilet. Tony ist mir zu viel geworden, als wir ihn letztes Wochenende in der großen Runde sahen. Er versuchte, mich von hinten zu überraschen, meine Bedenken zu überfahren. Ich glaub nicht an den Scheiß. Komm her. Er akzeptierte nicht, dass ich das Küssen weglasse, dass mich Corona vorsichtig macht. Nähe ist auch vorher schon unser schwieriges Thema gewesen. Tony legte an dem Abend sein debiles Lachen auf und schnappte mich, schlappte mit der Zunge über meine Wange. Ich stieß ihn weg. Fabien erklärt, dass er Tony nur vorsichtig sagt, was er denke. Er habe viele Probleme, die er nicht angehe. Wie die Trennung zu seiner Freundin, die er nicht verstehen kann. Er versteht nicht, wenn andere eine Grenze ziehen.

Ich müsste ihm sagen, dass er gewisser Maßen beschränkt sei. Dabei sagt er das ja selbst dauernd: er sagt, wie dumm er ist, wie dumm er sich unter uns fühlt zum Beispiel. Aber das sagst du keinem Freund. Tony ist ein richtiger Freund, er macht einfach, er ist da. Da gibt es genug andere. Und er braucht so Leute wie mich, die ihn nach oben ziehen, die ihn weiterbringen. Ich bin wie ein Coach für ihn. Ich muss es dosieren. Neulich fuhr ich ihn zu deutlich an, da ist er abgehauen, verstehst du? Ich will mich streitbar machen, ich werde Tony nirgendwo hinziehen, werde ihn ernst nehmen, er hat es verdient. So wie Fabien es aufzieht, macht mich das stumm. Ich sage es dann aber doch: dass es überheblich ist. Du musst ihm zumindest ehrlich begegnen.

Ich zeig dir was. Wir gehen in seine Garage, da ist so eine Art Abstellraum dahinter und er zeigt mir seinen Schnapsbrennkessel. Das sind Werte, die ich mich ihm teile. Das mach ich nur mit Tony. Fabien erzählt mir, dass er so Abende, wie mit mir, liebt. Austausch über die Dinge, die einen bewegen, ausmachen, richtiger Austausch, sich aneinander bereichern. Ich kichere, er gibt mir was von dem Gebrannten. Schau dir das an. Als ich seine Apparaturen sehe und er das Procedere vor mir ausbreitet, bin ich erleichtert. Tony ist Fabien ebenbürtig, jetzt verstehe ich: Fabien kennt die Bauern, hat die Kontakte zu den Apfelbaumwiesen, hat einen Anhänger, hat das Material, was die Basisarbeit ausmacht. Bringt die familiären Rezepte mit. Auch wenn Fabien anknüpft an seinen eigenen Großvater, der ihm nach dem Tod 300 Liter Schnaps hinterließ, alle in Pastis-Flaschen. Er durfte schon lange vor seinem Tod nicht mehr trinken. Fabien hütet sein Erbe wie einen Schatz, aber wir dürfen davon trinken. Ich bin froh, dass ich mich für Mathilde und Fabien entschieden habe in der Kontaktknappheit der letzten Urlaubswoche. Der Kupferkessel sieht prächtig aus. Ich würde gerne dabei sein, beim Brennen, noch lieber würde ich die beiden Männer sehen, wie sie das zubringen. Der Schnaps ist gut. Tröpfchenweise kommt das raus, das kannst du dir nicht vorstellen. Und vorher haben wir den Apfelsaft gepresst, den Cidre in Tonys Fässer gären lassen. Das trinkst du ganz anders.

Mathilde ist diejenige, die mich auf meine Kinder anspricht. Dass ich freizügig sei. Ich verstehe nicht. Jetzt switcht sie auf die Andern: die Andern meinten, ich würde kaum reagieren, ich würde Joscha einfach machen lassen. Joscha sei ja turbulent, aber sie habe so ein Gefühl von mir: dass ich mit mir im Reinen bin. Ich lasse sie einfach weiterreden, weil ich eingeklemmt bin in diesem neuen Eindruck von mir. In einem neuen Spiegelbild, vielleicht, was mir fremd ist, aber mich ganz offen zeigt: freizügig. Mathilde will meine Hand nehmen, die ich zurückziehe. Fabien springt ein. Du weißt, wie gerne ich mit Joscha gespielt habe. Ich komme zurecht mit ihm. Aber das letzte Mal hat er Mara gehauen. Und du bist nur zu ihr, um sie zu trösten. Du hast ihn nicht gemaßregelt. Warum? Für mich ist Gewalt tabu. Ich kann das nicht, bei meinen Mädchen.

Die Worte bröckeln langsam aus mir heraus, verzögert, doch in eine Richtung, wollen mich in Sicherheit bringen. Ich erkläre es, benenne die Dinge, die in mir liegen. Ich sage nur nicht, dass ich vor allem das Schlagen vermeiden will, weil das nur mein persönlicher Hintergrund ist. Es zählt doch weniger als Erziehungslinie, eventuell. Es pocht in meiner Schläfe, sofort als Fabien mich fragt, neben dieser Hilflosigkeit, die mich manchmal ängstigt. Je leidenschaftlicher ich davon spreche, dass Empathie und Verständnis und nicht die Angst vor dem Erzieher, niemals das Strafen mich leiten sollen, desto mehr glaube ich mir. Yann schweift aus in Erzählungen zu unserem Erziehungsstil, mein Verstummen ist auch staunend: so bildhaft beschreibt er unseren Alltag, dass ich dankbar bin. Es fühlt sich schlüssig an. Ich ringe um uns. Ich will es ihnen zutrauen. Sie machen das. Mara verteidigt sich jetzt voll. Sie ist so stark wie Joscha geworden. Mathilde grinst. Je t’aime. Ich bin so froh, dass wir es angesprochen haben.

Sie schaut Fabien an, entwaffnend, er ist noch angespannt. Er sei sehr beschützend und sie ähnlich erzogen worden wie meine. Sie hat sich mit ihren Brüdern geschlagen und lasse sich heute nichts gefallen, niemals. Ich sehe es ihr an. Wir zwinkern uns zu. Fabien sieht uns rätselhaft an. Danke, Melanie. Ich würde ihn jetzt auch umarmen, als Versicherung. Ich vermisse meine Kinder. Fabien sagt noch etwas: man merke, dass wir alle vier am Tisch die größten Geschwister sind. Wir harmonieren. Wir haben immer Verantwortung getragen. Wir sind die, die als Erste durch mussten.

Am kommenden Tag laufe ich Joscha hinterher, er ist glücklich am Meer. Er rennt am Kai voran, er könnte ins Wasser fallen. Er zieht trotz des kühlen Windes keine Jacke an, damit später die Haie und Fische im Aquarium sein Fußballtrikot sehen können. Ich will nach Hause fahren. In der Hektik falle ich mit Mara auf meinen Schultern hin, mein Reflex schützt sie, die Hände bleiben an ihren Beinen. So falle ich auf meine Knie. Sie sind aufgeschürft. Als ich laut aufschreie vor Schmerz, hält Joscha inne und geht an meiner Hand. Noch eine Nacht, dann gehen wir.

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Kommentare zu diesem Text


 Mondscheinsonate (15.09.20)
Meine Liebe,
für die Mitleser, das Minzchen und ich waren niemals bös aufeinander, falls das jemand dachte, das vorweg, denn nun muss ich ein Kommentar schreiben, das mir leid tut, aber Geschleime liegt uns beiden ja nicht. Liebe Minze, ich bleibe bei dem Text, muss aber konstatieren, dass es einige Texte betrifft, einigen wir uns, das ist nun reine Textkritik für diesen Text, also, wahrlich, es ist so, dass mich der Inhalt interessiert, ja, ich mag den, aber die Umsetzung ist wie ein Schulaufsatz. Weißt du warum? Weil du wieder mal mit ICH beginnst, das macht keine Freude, darüber haben wir schon einmal geschrieben, da warst du eher auf dem Standpunkt, dass es dir so gefällt, hast es aber dennoch geändert. b. man hat das Gefühl, es ist zu konstruiert, grammatikalisch perfekt, aber die Ideen fehlen, die Adjektive kennt man schon, es wird geliebt, mit ICH, es wird gemacht, mit ICH, es wird was auch immer, das macht er - irgendwie fehlt da das Leben und ich glaube, da bringe ich es auf den Punkt: es fehlt das Leben. Wenn du schreibst "Fabien sagt noch etwas, er sagt ...[sic!]", dann ist das langweilig. Probiere es so: "Fabien sagt noch etwas, er meint...[sic!]", also damit betonst du das "sagen" oder "Fabien sagt noch etwas, wirklich, er sagt es - gut, das wäre eher meines - aber, weißt, was ich dir damit sagen möchte? Du musst Musik reinbringen, wenn Fabien etwas sagt, wirklich nochmals sagt, musst du aufstampfen mit Worten - du bist zu leise, ja, deine Erzählung ist zu leise. Aber, nun, was mir gefällt: Irgendwie erinnerst du mich an die Bachmann. Hast du Malina gelesen? Ich mag das. Ich mag deine Erzählungen, aber ich möchte, dass du lauter wirst, damit dich jeder hören wird, denn du musst gehört werden, du schreibst nämlich gut.
Alles Liebe! MSS

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 16.09.20:
Das kapiert hier leider keiner, dass "ich" fast immer ein schlechter Textbeginn ist.
Zum Rest: Sehr wirrer Einstieg, ich habe bis zum Schluss keine Ahnung, um was es gehen soll.
Rein formal-handwerklich jedoch top.

 minze antwortete darauf am 16.09.20:
Hallo Mondscheinsonate, danke für deine ausführliche Auseinandersetzung.
Mh, also es geht viel um das Ich, ja. Ich werde nochmal den Text daraufhin lesen, ob das Erlebte lebendig beschrieben wird. Ich glaubte schon, durch die Erlebte Rede bzw. Gesprochene Rede und die Beschreibung von vielen Situationen viel Leben geschrieben zu haben. Konstruiert, das kann ich nicht ganz nachempfinden. Bekannte Worte, unexotische Begriffe, vielleicht, mir geht es eigentlich um die Personenzeichnung, dass die Personen und Beziehung belebt werden. Tatsächlich verlieren sich viele Formulierungen in zu bekannten und sich wiederholenden Einfachworten sie "sagen", "und", "dass"...viele Er's und Ich's, ich bin einmal noch einmal drüber und habe versucht einige Stellen da etwas aufzulockern. Daher kann ich mit deinem Hinweis etwas anfangen. Wenn auch ich die Figurenzeichnung und Beziehungsebene selbst als lebendig empfinde, ...will aber gerne noch mehr in eine Tiefe gehen.

Nein, ich habe Malina nicht gelesen. Scheint was Tolles zu sein, was ich mal lesen könnte.

Hm lauter. dein letzter Satz ist ein schönes Kompliment. Ob ich diesen Text laut brauche, glaube ich nicht. Er soll eigentlich eher ein Beschreiben von diesem Freundeskreis sein, was nicht aufgeregt sein muss - ich will, dass man den Figuren begegnet, ich will nicht, dass die Erzählerin gefühlsmäßig auf den Putz haut oder eine laute Message oder ein lautes Gefühl darum dröhnt.

Ich habe nachwievor kein Problem, mit Ich zu beginnen und komme mit einer so formulierten Regelhaftigkeit von "guten Texten und deren Regeln" nicht so klar. Ich denke, insgesamt muss eine sprachliche Gestaltung spannend und in sich schlüssig sein, gähnend ewig gleiche Satzstellungen etc werden schwerlich einen Drive ermöglichen. Mh und mein Anfang, der ürbigens die Rede von Fabien ist, scheint mir schon sehr lebendig und interessant. Allein mit einer Rede anzufangen, ist doch turbulent :)

Naja wie auch immer freue ich mich, mich jetzt noch mal intensiver auseinanderzusetzen und überhaupt finde ich deutliche Kommentare super.

 Dieter_Rotmund schrieb daraufhin am 16.09.20:
Bitte, gern geschehen.

Deutlich:
Ich habe nachwievor kein Problem, mit Ich zu beginnen
Ja, schön, aber es ist trotzdem Mist.
Non-Konformismus ist hier unangebracht, das macht den Text nicht besser. Ich würde sogar noch weiter gehen und behaupten, dass ein Ich-Beginn ein Kennzeichen schlechter Literatur ist.

 minze äußerte darauf am 16.09.20:
Wäre ich eine Literatin würde der Text also so beginnen: Nach der Schule gehe ich dann mit ihnen zum Bäcker.

Und als Nonkonformistin und Lichtliteratin sieht es weiterhin..dunkel aus :D

 Mondscheinsonate ergänzte dazu am 16.09.20:
Gern geschehen. Nur, bisschen mehr Odem, dann leben sie mehr. :)

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 16.09.20:
Ja, so wäre der Anfang erheblich besser.

 minze meinte dazu am 16.09.20:
Nichtliteratin(in Rotmunds Literaturverständnis) wollte ich schreiben. Schade,man kann seine Kommentare nicht beliebig korrigieren. Mondscheinsonate, das mit dem Odem ist jetzt sehr äh literarisch...ähm weit gefasst :D freu mich auf Zeit zum Erweitern/Weiterbeleben des Textes.LG

Antwort geändert am 16.09.2020 um 16:17 Uhr

Antwort geändert am 16.09.2020 um 16:28 Uhr

 Mondscheinsonate meinte dazu am 16.09.20:
Na ja, was ich meinte, erinnerst du dich noch an meine Oma oder Opa, an den Franzi mit dem Bogarthut, den Herrn Reifböck? Du musst aus Wörtern Figuren gestalten, plastischer. Das meinte ich. Wenngleich, deine Süßigkeiten waren klug gewählt, mir rann das Wasser im Mund zusammen!

 minze meinte dazu am 16.09.20:
Okay :)

 minze meinte dazu am 16.09.20:
sind die Süßis dir alle bekannte gewesen? das finde ich cool zu wissen.

 Mondscheinsonate meinte dazu am 16.09.20:
Ja!!!
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