Dunst

Erzählung

von  minze

Seine Mutter sitzt im Esszimmer, sie wartet dort unten. Die Küche ist sauber, der Boden schimmert noch. Sie hat einen neuen Staubsauger, man kann ihn an einer Wandhalterung anbringen, die den Akku lädt. Er ist frei beweglich. Es sieht aus, als würde sie damit tänzeln, sie schwingt nur mit diesem Staubsauger durch den Raum. Er geht alle Richtungen, allein durch die Bewegung ihres Handgelenks, und sie balanciert es mit den Bewegungen aus Schulter und Hüfte aus. Das ist neu, weil ich sie nie tanzend sehe. Gerne sieht sie bei den runden Geburtstagen, bei allen anderen Feiern, den andern beim tanzen zu, wippt nur mal verlegen. Alleine zu Hause entfalten diese Bewegungen eine Eleganz, Geschmeidigkeit. Als hätte sie ohne den Staubsauger kein Vertrauen darin, als wäre ihr Körper auch arretiert, in diesem Abwarten.
Wenn ich früher mich von ihr verabschiedete, für eine längere Zeit, ist sie beim Abschied in meiner Umarmung zusammengefallen. Ich konnte sie halten, nachdem ich darauf gefasst war. Die ersten Male ging ich fast danieder durch die Heftigkeit des Augenblicks. Die Wucht dieses seufzenden Körpers.
Wann immer gegessen oder besucht wurde, schwingt der Staubsauger durch das Wohn- und Esszimmer. Sind wir im Bad oder in den oberen Schlafräumen beschäftigt, sind wir unterwegs, erleichtert es sie, staubzusaugen. Auch das Wäsche machen: Die Wäsche läuft im Kurzprogramm, dafür ziemlich häufig. Die Intervalle aus Aufhängen, Bügeln und Falten sind dann kürzer, sie organisiert sich so. Dazwischen läuft eine volle Kanne Kaffee durch. Wir trinken ihn aufgewärmt. Bei den Gegenbesuchen bei uns ist sie es nicht gewöhnt, dass ich ihn spontan koche. Frage ich sie, ob sie auch einen Kaffee will, antwortet sie noch immer: „Wenn du einen gemacht hast!“

Sie streicht über die Tischdecke. Wir kommen, es musste sich durch das Poltern der Schuhe ankündigen. Vielleicht ist sie aufgeregt oder enttäuscht, es zeigt sich mir nicht vollkommen. Ihr Blick ist unstet, ist nicht klar. Dann sehe ich doch ein Blinken in den Augen, ein fröhlicher Blitz, als die Kinder sie erkennen, zappeln und losrennen wollen. Sie versenkt wieder den Kopf in ihr Handy, als wir herantreten, sagt: „Alles gut?“. Es klingt nur so trocken. Dann wartet sie, bis von mir etwas Konversation kommt, bis ich etwas bringe. Sonst fällt ihr das Wetter ein und das Einkaufen, das steht noch an, sie wollte auf uns warten. Vielleicht brauchen wir ja auch was und vielleicht will ich mitkommen. „Willst du mitkommen? Nur, wenn du willst.“ Ich bin unentschlossen. Wenn wir etwas kochen wollen, wäre es gut, weil sie nicht weiß, wo das Olivenöl steht, wo man Gewürze findet, welche Mengen von was. Sie käme raus, würde das Geschäft mit anderen Augen sehen können, wenn wir zusammen sind. Vielleicht würde ich einen Vorwand überlegen, eine Mütze für die Kleine oder so, dann könnten wir danach in einen Kleiderladen und sie könnte nach einer Tunika schauen. Es ist so wie mit meiner Mutter: sie will nicht alleine einkaufen. Sie fragt mich nicht danach, aber nehme ich sie mit, dann nickt sie willig bei meinen Kommentaren, fragt mich: „Wirklich, meinst du?“ und ihre Reaktion auf meine Ermunterung ist so, als würden wir beste-Freundinnen-T-Shirts kaufen. Wir haben auch schon sicher zweimal die gleiche Bluse gekauft. Mich bedrängen die vielen Ideen, was ich sagen, was ich vorschlagen könnte, sie bedrängen mich auf eine Art – ich will da raus. Was ist das für ein Posten? Es war oft natürlich, interessiert, lockend zu sein. Und dann wieder treibt es mich in die Ecke. Also wenn ich stehen bleibe, ein Warten offensiv erwidere, wenn ich kein Gespräch anfange, überlädt sich die Unsicherheit und die verstummte Erwartungsdichte, so dicht drängt dann das Unwohlsein an die Schläfen. Es dampft wie diese Pflanzenverarbeitungsfabrik in mein Bewusstsein. Sie stellen dort hauptsächlich für die Landwirtschaft Tierfutter her. Das Ecodrome steht am Ortsrand, der Ort umfasst nur 900 Einwohner. Klee, Mais, Heu- das war es wohl im Großen- wird in den Silos gelagert. Ich habe nur davon gehört, ein paar Freunde haben saisonweise im Ecodrome gerarbeitet, nur einer, Zizou, hat seine komplette bisherige Berufskarriere dort verbracht. Das Trocknen geschieht in einer zähen, überdauernden Wärmezufuhr, die aber nicht in Hitze umschlagen darf. So verpufft die Feuchtigkeit der Pflanzen in der Luft über dem Ort. Das Endprodukt sind Pellets. Der Gestank liegt eigentlich immer in der Luft, es ist vom Wind abhängig und was an welchem Tag genau produziert wird. Auch wenn sich die meisten hier daran gewöhnen; mir fällt das schwer. Auch nach der Zeit, in der ich für ein paar Monate hier gelebt habe. Es bedrängt mich, so wenig vital und konkret, dass ich mich, wenn es mich benommen macht, zurückziehe. Wieder ins Zimmer, wieder in die Bettdecke oder duschen. Alles rinnt an mir herunter, schäumt und riecht gut. Sie hat immer neue Duschgelflacons im oberen Bad stehen, ich nehme mittlerweile mein eigenes nicht mehr mit, ich mag ihre Auswahl.

Wenn ich frisch geduscht komme, bietet sie mir einen Föhn mit Diffuser für die Locken an. Ich selbst habe keinen. Sie hat ihn schon bereitgelegt, als ich mit dem Handtuch auf den Schultern vor ihr stehe. „Ich merke es mir für Weihnachten.“ Ein ehrliches Gespräch jetzt. Über Geschenke, auch Geschenke für die Kinder. Wenn ich mich nach dem Duschen ins Bett lege, fühlt es sich angenehm dämmrig an: der Dunst, der vom Ecodrome herweht, das langsame Trocknen meiner Haut, die Aussicht, Liebe zu machen, um das Gespräch mit den Schwiegereltern hinauszuzögern.

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Kommentare zu diesem Text

wa Bash (47)
(27.09.20)
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 minze meinte dazu am 27.09.20:
danke, freu mich. dabei waren ein paar noch ganz dumme Fehler drin, die ich verbessern musste ;)

(und wahrscheinlich bessere ich auch so noch xmal nach)

 Graeculus antwortete darauf am 27.09.20:
Eine Entspannung, die sich breit bircht, und eine zähe Verpuffung - darüber könntest Du noch nachdenken.

 minze schrieb daraufhin am 28.09.20:
Zähe Wärmezufuhr. Das mit der Entspannung reibt sich vll.ich mag es aber irgendwie.muss es noch wirken lassen.danke fürs überlegen.

 Dieter_Rotmund (06.10.20)
Ich würde dieses Ecodrome als Klammer verwenden und das Verhältnis des Erzählers zur Schwiegermutter in den Mittelteil, das wäre geschmeidiger.
Was ist denn ein "Diffusor"? Bitte beachten: Auch Männer lesen diesen Text.

 minze äußerte darauf am 06.10.20:
interessanter Vorschlag. für mich entwickelt sich das Ecodrome, dieses Bild, aus dem Verhältnis (der Stimmung)zur Schwiegermutter und schafft auch ein bisschen die Ablenkung, das Einbetten in den Alltag. Als ein Hineinfinden in die Situation finde ich das Schildern der Frau und ihrem Tun einfacher und direkter, von einer Fabrik auszugehen und dann auf die Beziehung und Szene hinein, wäre für mich eher kantiger in der Dramaturgie. Aber ich lasse deinen Vorschlag wirken, er ist konstruktiv.
Ein Diffuser ist ein Aufsatz für einen Föhn, aus Plastik, man kann ihn gegen Locken drücken, ohne, dass die Haare anbrennen -äh naja, anscheinend top fürs Lockenstyling. Ich verfalle jetzt in keine Ausführungen, weil ich weder im Styling noch in Physik (Wärmeübertragung) und Mechanik besondere Kenntnisse habe.
"einen Fön mit Diffuser für Locken" - wie genau ein Diffuser wirkt ist total egal in diesem Text, es ist mE ersichtlich, dass es eine Gerätschaft an/mit einem Föhn ist, der im erstrebenswerten Styling-Zusammenhang zu Locken steht. V.a. da der Protagonistn so etwas relativ fremd ist, genauso wie der sich davon unterscheidende Habitus der Schwiegermutter. Und das ist ja Thema.

Antwort geändert am 06.10.2020 um 12:47 Uhr

 Dieter_Rotmund ergänzte dazu am 06.10.20:
Nein, das mit Schwiegermutter ist zu manieriert formuliert, um den Leser zu packen. Das Eco-Dings ist hingegen echte, greifbare Realitität.

 minze meinte dazu am 07.10.20:
Das Eco-Dings ist hingegen echte, greifbare Realitität.
Darum geht es nicht in dem Text.


--ich belasse es dabei Dieter_Rotmund.

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 08.10.20:
Ja, es ist ja nur ein Vorschlag von mir, den Text schon in der Struktur besser zu gestalten.
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