Encore.... und jetzt wird es langsam hässlich

Roman zum Thema Mord/Mörder

von  eiskimo

Was feststeht in diesem kriminologischen Sittenbild aus der französischen Provinz ist, dass Vincent Daché (65), vormals gut beschäftigter Installateur in Bonnard, Vater von Orélie (25), definitiv tot ist.

Die Frage ist: Hat er den Tod selbst herbei geführt oder nicht. Seine Freundin aus dem Kirchenchor Saint Hippolythe, die Josephine Balard (55), schließt Selbstmord bei diesem überzeugten Katholiken und passionierten Ballonfahrer aus voller Überzeugung aus.

Die Männer im „Bistrot de la Poste“, angefangen vom dicken Wirt Maurice über Jeannot mécanique, den Garagisten, und Matthieu Valère, den pensionierten Briefträger, sind offenbar erfahrene „Selbstmörder“ und haben gleich absolut zwingende Theorien parat, die sehr deutlich für einen Freitod sprechen.

Die aus Lucenay angerückte Polizei, Gendarmette Sandrine Constant und Sergeant Laurent Castel, dagegen, kann „Fremdverschulden“ nicht ausschließen und muss deshalb die Kollegen von der Mordkommsssion in Dijon hinzu ziehen, Inspecteur Francis Rioux und die junge Praktikantin bei der Spurensicherung Rosa Hettange – mais oui, all das an einem beschaulichen Sonntag im Morvan, dieser kaum besiedelten Bergregion in Burgund, aber all das auch in einem wirtschaftsschwachen Raum, wo kaum Geld zu verdienen ist. Es sei denn, man missachtet die forstwirtschaftlichen Auflagen zum Schutz dieser fragilen Umwelt oder greift alle Subventionen ab, die seitens der EU für strukturschwache Regionen zu erhaschen sind, zum Beispiel für die Bereitstellung von neu errichteten Seniorenwohnungen, zur Not irgendwo in der Pampa.


Warum es sich lohnt, weiterzulesen: Vincent Daché hatte beides aufgedeckt: Illegale Praktiken der Holzindustrie, die er bei seinen Ballonflügen bestens dokumentieren konnte, und das fragwürdige Vorgehen seines Bürgermeisters Correntin, der in Bonnard unbedingt überteuerte – und vielleicht gar nicht benötigte - Seniorenwohnungen errichten lassen wollte.

War der allzu kritische Ruheständler etwa aus diesem Grund zum Mordopfer geworden? Und wenn ja, hat da tatsächlich die „Holz-Mafia“ zugeschlagen? Oder haben die „Freunde“ im Gemeinderat des Dorfes für ihn den „Selbstmord“ so schön in Szene gesetzt?

Warten wir ab, was die „Profis“ dabei alles herausfinden.

Kapitel 6


Der Auftritt des Kirchenchores Saint Hippolythe in der kleinen Kirche in La Celle hatte ohne Vincent Daché und auch ohne Josephine Balard stattfinden müssen. Der feierlichen Messe vorausgegangen war eine Taufe – die Besitzer des kleinen Schlosses im benachbarten Montigot hatten zu diesem Anlass ein Fest ihrer weit verzweigten Adelssippe inszeniert, da gehörten die kleine malerische Morvan-Kirche mitsamt dem Kirchenchor sozusagen zum Dekor. Umso ärgerlicher, dass da der Gesang nur etwas dünn erscholl, und dass der klein gewachsene Chorleiter Louis Désertenne von Anfang an höchst nervös agierte. Nein, da waren die adeligen Herrschaften „de Montigot“ am Ende doch sichtlich unzufrieden.

Natürlich hatte man versucht, als der Auftritt immer näher rückte, Josephine und auch Vincent Daché noch per Telefon zu erreichen. Aber die säumige Sopranistin und der noch mehr vermisste Bass reagierten nicht – aus verständlichem Grund. Er konnte gar nicht mehr, und sie hatte hatte ja zur selben Zeit länger mit Feuerwehr und Polizei telefoniert, noch völlig unter Schock stehend.

Diesen Schock musste sie dann gegen Zwölf, halb Eins weitergeben. Denn gleich drei Autos mit den etwas aufgebrachten Chorfreunden hielten bei ihr in Bonnard, und alle wollten nur eins: eine Erklärung für ihr Fehlen. Josephine war gerade nach Hause zurückgekehrt, zu Fuß, um einfach wieder ihre Fassung zurück zu gewinnen.

Klar, dass die anfängliche Empörung der Sänger sofort einer absoluten Fassungslosigkeit wich. Vergessen war der miserable Auftritt des Vormittags, und stummes Entsetzen mischte sich mit kaum unterdrücktem Schluchzen.

Louis Désertenne schüttelte immer nur den Kopf. „C´est une catastrophe! Mais quelle catastrophe!“ Eine seiner wichtigsten Stimmen war verloren gegangen, verloren ein tragendes Element im eh schon reduzierten Klangbild seiner Truppe.

Die anderen dachten nicht so sehr an den Chor und dessen Zukunft – sie litten einfach nur an dem jähen menschlichen Verlust. Fast alle hatten mit Vincent auch außerhalb des Chores zu tun gehabt, waren mit in seinem Ballon gefahren, hatten ihre Küche oder das Badezimmer von ihm ausbauen lassen oder kannten ihn einfach als klugen Kopf in diesem Dorf, wo er bei vielen Entscheidungen seine Stimme erhoben hatte. Ja, seine Stimme, die sie noch so nah im Ohr hatten.

Und saß Vincent Daché nicht schon seit Jahr und Tag im Gemeinderat und war bei allen größeren Bauvorhaben ein stets wichtiger Berater des Bürgermeisters?

„Da wird er mindestens genauso fehlen wie bei uns im Chor,“ stellte Simon Tarbes fest, eine der drei verbliebenen Männerstimmen. „Vincent hat entscheidend mitgewirkt, ich sag nur: beim Ausbau unseres Campingplatzes – da hätten wir nie die drei Sterne bekommen ohne ihn. Das Fernwärme-Projekt, das die Schule und jetzt schon 13 Privathäuser beheizt, auch sein Ding. Davon hatte der Bürgermeister doch null Ahnung. Die Trennung von Brauch- und Trinkwasser und die Modernisierung der Kanalisation - noch so ein Thema, das Vincent für die Leute hier überhaupt erst mal durchschaubar gemacht hat. Nee, Freunde: das mit Vincent heute, das durfte nicht passieren. So einen, den können wir hier in Bonnard gar nicht ersetzen.“

Josephine nickte heftig, legte dankbar ihre Hand auf Tarbes Schulter, um mit tränenerstickter Stimme zu ergänzen „Wie recht du hast, Simon! Vor allem war Vincent dabei völlig uneigennützig. Es ging ihm immer um echte, um sinnvolle Verbesserungen und dass wirklich alle im Dorf was davon haben!“

Marie-Claire Drut, die zu Hause zwei pflegebedürftige Eltern zu versorgen hat, nickte ebenfalls. Aber: „Umso merkwürdiger, dass Vincent sich zuletzt quer gelegt hat bei den Planungen für diese so schicken Altenwohnungen! Da schien doch alles klar. Die Gemeinde brauchte nur ein Grundstück bereit zu stellen und dieser Investor aus Paris hätte sofort mit dem Bau angefangen. Nächstes Jahr hätten wir zwölf bezugsfertige Appartements gehabt, und dazu eine ordentliche Plegekraft in Vollzeit-Anstellung.... Irgendetwas muss da im Gemeinderat vorgefallen sein, und zwar bei der letzten Sitzung vergangenen Mittwoch.“

Die Runde der versammelten Choristen hörte zwar, was die Mitsängerin vorbrachte, mochte ihren Einwurf aber nicht weiter vertiefen, zumal eine der Damen schier zusammenbrach und unter Tränen stammelte: „Warum hat er das nur getan? Warum?“


Worauf Josephine natürlich das vorbrachte, was schon die Gendarmette und auch die Notärztin zu hören bekommen hatten: Dass Vincent, ja, ihr Vincent, nie und nimmer selber seinen Tod herbeigeführt habe. „Das glaubt doch von euch keiner,“ schloss sie mit fast flehender Stimme.

Ihr Blick in die Runde traf auf nachdenkliche und bedrückte Gesichter. Hilflosigkeit zum Greifen. Der Chorleiter löste das Schweigen auf: „Nun, wenn ich richtig informiert bin, ist die Polizei ja vor Ort, und dann werden wir bald erfahren, was wirklich vorgefallen ist.“








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Kommentare zu diesem Text


 tueichler (19.04.23, 07:48)
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