Das Glück der Anderen

Mein kleines französisches Dorf Bonnard feiert – nachdem es Jahrzehnte lang nur Bewohner verlor – einen Neuzugang. Jawohl, Bürgermeister Claude Corentin hat es tatsächlich geschafft, eine junge Frau ins Dorf zu locken, Sophie Chaffaud.

Was Correntin besonders stolz macht: Die 42jährige Ex-Pariserin will in Bonnard tatsächlich einen beruflichen Neustart wagen, sprich: Wir bekommen hier ein kleines Startup, mitten in der öden, strukturschwachen Provinz!

Und weil das dem Ort, aber auch dem Renommee des Bürgermeisters so gut tut, hat Monsieur Correntin für Madame Chaffaud vorsorglich ein im Besitz der Gemeinde befindliches Häuschen renovieren lassen.

Leider bringt die so Hofierte gleich eine ganze Menge Altlasten mit. Sie hat ihren gut bezahlten Job in einer Werbeagentur geschmissen (wegen eines Burn-Outs, heißt es), ihre Ehe ist in die Brüche gegangen, und auch gesundheitlich hat die leicht übergewichtige Dame eine schwere Zeit hinter sich. Als ich sie mühsam aus ihrem Auto steigen sah, tat sie mir Leid.

Als was will sie ihren Neustart wagen? Ich habe erfahren: Als Fotografin. Genauer: Als Hochzeitsfotografin!

Hübsche junge Brautleute vor romantischer Kulisse ablichten, das gemeinsame Glück im Fokus, alles Unschöne ausblendend - passt das? frage ich mich. Auch hier in der dünn besiedelten Provinz? - Ja, es passt.

Sophie Chaffaud bringt doch exakt alles mit, um genau die erträumte Honeymoon-Welt einzufangen. Sie hat persönliche Erfahrung, die nötige Distanz, und sie wird all das in ihre Fotos hinein projezieren können, was sie selber nicht geschafft hat. Aber als die Chefin am Set kann sie nun allein Regie führen, Sie wird in dieser Inszenierung, in dieser künstlichen Welt ihrer Glanzlack-Bilder, das neu erfinden, was ihr im wahren Leben abhanden kam. Ein bonbonfarbenes Kontrastprogramm, also.

Die öde Provinz drum herum, das graue Dörfchen Bonnard, sie werden ihr als zündender Katalysator dienen. Ich bin mir sicher: Ihre abgeklärter Blick auf das Glück wird sie beflügeln. Blick auf ein Glück als Wunschbild, das Shooting-Glück der Anderen, und wo bleibt sie dabei? immer nur am Sucher.