Sonst werden die weggeschmissen

Bericht zum Thema Welten

von  eiskimo

Ob ich einen Fahrradanhänger hätte, das fragte mich gestern eine Frau aus der Nachbarschaft. Ihrer sei noch in Reparatur, und mittwochs habe sie doch die Spätschicht in der Bäckerei.

Hä? Ich verstand den Zusammenhang nicht.  Ganz einfach, erklärte mir Claudia F. Sie habe dann abends dort die Regale zu leeren, und alles, was an Brötchen, Croissants oder Laugengebäck noch übrig sei, das müsse weg. „Es wird weggeschmissen!“  Ich schaute ziemlich entgeistert.

Ihren Fahrradanhänger, den habe sie sich zugelegt, um an diesen Spätschicht-Tagen wenigstens einen Teil dieser Backwaren zu retten. „Und der Anhänger ist dann jedes Mal voll.“

So ein  Fahrradanhänger fasst gut und gerne 200 bis 300 Brötchen, machte ich mir kurz klar. „Wohin bringen Sie die – wer nimmt die Ihnen am Abend noch ab?“

„Ich habe eine richtige Tournee zu fahren. Eine Studenten-WG; Bekannte, die es nicht so dicke haben; dann ein Flüchtlingsheim, wo sich die Familien besonders freuen. Manchmal spreche ich auch Leute spontan an, wenn ich immer noch Sachen übrig habe, Leute  -

..wie mich zum Beispiel. Denn natürlich bekam Claudia meinen Anhänger geliehen, und ich am Abend noch vier große Tüten ihrer geretteten Brötchen -  genug, um damit meine Tiefkühltruhe randvoll zu bestücken.

Sollte ich mich nun freuen über diese Art Beute ….oder nicht doch den Kopf schütteln, grübeln und zweifeln und am Ende fragen, was das für eine Welt ist, wo gefühlte Armut und gefüllte Fahrradanhänger aufeinanderprallen, einfach so.




Anmerkung von eiskimo:

Erlebt dieser Tage in einer deutschen Großstadt.

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Kommentare zu diesem Text


 diestelzie (06.10.23, 03:23)
Die Tafel wäre noch eine Idee. Es werden leider immer mehr Menschen, die das nutzen müssen. So bewirkt der Aufprall zwischen Armut und Fahrradhänger auch noch etwas Gutes. 
Manche Großbäckereien verkaufen die Reste auch an Futtermittelhersteller.
Liebe Grüße 
Kerstin

Kommentar geändert am 06.10.2023 um 03:24 Uhr

 eiskimo meinte dazu am 06.10.23 um 07:40:
Ja, so wird aus dem Überfluss wenigstens noch im Ansatz etwas Positives getan, mancherorts ...
In Frankreich gibt es ein Gesetz, das zur Weitergabe der nicht verkauften Lebensmittel verpflichtet, und trotzdem klafft der Graben immer weiter auf.
Nachdenkliche Grüße
Eiskimo

 AchterZwerg (06.10.23, 06:57)
Lieber Eiskimo,
bei uns im Städtchen sind ebenfals Lebensmittelretter zugange.
Da das Teilstädtchen aber klein ist, traut sich kaum einer hin.
Die Schmach, die Schmach ...

 eiskimo antwortete darauf am 06.10.23 um 07:46:
Das ist ja die Krönung! Es gibt Leute - und es sind erschreckend viele - für die ist so eine Ware bzw. die Schmach, dass sie "gerettet" wurde, ein Ausschluss-Signal. Pfui, sagen sie.
Ich habe in meinem Bekanntenkreis auch nur wenige, denen ich jetzt die "geretteten" Brötchen weitergeben kann.
Verrückte Welt.
seufzer-Grüße
Eiskimo
Taina (39)
(06.10.23, 11:58)
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 eiskimo schrieb daraufhin am 06.10.23 um 12:58:
Wir übertrumpfen uns in vielen formalen Dingen selbst. So beim Mindesthaltbarkeitsdatum für bestimmte Produkte - was da in vorauseilender Vergiftungsangst weggeworfen wird....
Armes reiches Deutschland.
Taina (39) äußerte darauf am 06.10.23 um 13:09:
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 Dieter_Rotmund (06.10.23, 12:24)
Handwerklich gut gemacht, für meinen Geschmack aber menschelt es etwas zu sehr.

 eiskimo ergänzte dazu am 06.10.23 um 12:51:
Ja, es gut-menschelt kolossal.

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 06.10.23 um 12:59:
Quasi die Elite des Gutmenschentums tut sich dem Leser da auf!
Fehlt nur noch, dass der Anhänger von Behinderten aus recycelten alten Feldgeschützen geklöppelt wurde.
Taina (39) meinte dazu am 06.10.23 um 13:16:
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 Dieter_Rotmund meinte dazu am 06.10.23 um 14:16:
Darum gehts hier nicht, es geht um das rein Handwerkliche.

 AZU20 (07.10.23, 12:41)
Beute? Wirklich? LG
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