der Alte im Kastell

Gedicht zum Thema Allzu Menschliches

von  Tula

Ein Balken knarrt. Zwei Tauben gurren scheu.
Der Wind im Turm vollendet diesen Chor.
Ein Schatten gähnt und rekelt sich am Tor.
Auch dieser Tag blieb allen vor ihm treu.

Der Himmel leiert mit Gelassenheit
wie jeden Abend seinen Epilog.
Im Schoß der Mauern, die er dereinst zog,
versäumt in sich gekehrt ein Greis die Zeit.

Die Erben ziehen lärmend irgendwo
durch eine Landschaft, die er nicht mehr schaut.
Der Pfad zum Horizont ist längst verbaut,
doch macht ihn ohnehin kein Weg mehr froh,

kein Aufstieg zu den Zinnen und kein Blick
zu den Gestirnen in der klaren Nacht.
Ihm reicht sein Reich, das er allein bewacht,
und dass es bröckelt, hält er für Geschick.

Erst gestern aber traf die Burg ein Spuk.
Ein Balken krachte und das Tor flog auf.
Nur kurz sah er die Welt in ihrem Lauf.
Dann schloss er fest die Augen und schrie „Trug!“



Anmerkung von Tula:

PS: „o velho do restelo“ hat im Portugiesischen sprichwörtlichen Charakter

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Kommentare zu diesem Text


 EkkehartMittelberg (17.09.23, 01:13)
Tula, das könnte auch vergreisten Jungen passieren.

LG
Ekki

 Tula meinte dazu am 17.09.23 um 22:11:
Hallo Ekki
Daran habe ich wenig Zweifel. Bei manchen scheint mir der intelektuelle Vergreisungsprozess mit der Vollendung des Häusle perfekt zu korrelieren.

LG
Tula

 plotzn (17.09.23, 10:20)
Servus Tula,

tolle Bilder! Man kann vor Veränderungen die Augen verschließen und versuchen, sie zu ignorieren, aber auf Dauer bringt einen das nur ins Abseits.

Liebe Grüße
Stefan

 Tula antwortete darauf am 17.09.23 um 22:28:
Hallo Stefan
In der Tat ändert sich die Welt schneller als der Mensch mithalten kann. Das merkt man ja bereits im beruflichen Bereich, die Veränderungen beschränken sich ja nicht auf die Technologie selbst.

Aber wenigstens retten sich damit einige Parteien mit ihrer Stammwählerschaft, nichts geht über ewige Treue und Feindbilder  8-)

LG
Tula

Antwort geändert am 17.09.2023 um 22:47 Uhr

 TassoTuwas (17.09.23, 13:56)
Hallo Tula,

da mögen die Generationen unterschiedlicher Ansicht sein.

Ein Text, der meine zeitweilig, altersgemäße Denkart befeuert!

Herzliche Grüße
TT

 Tula schrieb daraufhin am 17.09.23 um 22:33:
Hallo TassoTuwas
Ich befürchte, die junge Generation denkt darüber kaum nach, und die ältere döst im Kastell ...

Bedenklich allerdings, wenn die Notwendigkeit eines Wandels, welcher Art auch immer, nicht erkannt bzw. geleugnet wird. Dass wir im demographischen Schnitt immer älter werden, könnte sich irgendwann durchaus als echtes Problem erweisen.

LG
Tula

Antwort geändert am 17.09.2023 um 22:46 Uhr

 AchterZwerg (17.09.23, 18:13)
"Und das diesseitige Leben ist nur trügerischer Genuß" steht in der 57. Sure.
Und der eine oder andere Philosoph denkt ähnlich.

Deshalb bleibt wohl mancher lieber daheim in seinem Elfenbeinturm, schließt ab und verwehrt selbst Bruder Hein den Einlass. - Auch wenn er die ewigen Wiederholungen des Außen satt bis oben hin hat ...

 Tula äußerte darauf am 17.09.23 um 22:35:
Hallo 8er
Bruder Hein und vergraute Schneewittchen kommen mir nicht auf meine Burg! 

Heitere Grüße
Tula
Agnete (66)
(17.09.23, 18:39)
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 Tula ergänzte dazu am 17.09.23 um 22:43:
Danke Agnete
Natürlich sehen wir alle nicht unbedingt dasselbe, wenn das Tor mal kurz auffliegt. Das liegt wohl in der menschlichen Natur und unserer Fähigkeit, uns durch Lernen an unsere Umwelt (im weiteren Sinne, nicht nur die natürliche) anzupassen. Das schließt mit zunehmendem Alter die stetige Neu-Anpassung an eine sich rasant verändernde Welt und Gesellschaft nicht mit ein. Nicht umsonst formt sich das menschliche Hirn bis etwa 25.

Aber dennoch ganz ehrlich, richtig kreativ werden wir trotzdem erst ab etwa 50  :)

LG
Tula
Teolein (70)
(17.09.23, 20:51)
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 Tula meinte dazu am 17.09.23 um 22:44:
:D :D :D
Hallo Teolein
Es gibt immer unerwartet heitere Pfade der Deutung. Gott bewahre deinen Humor

LG
Tula

 harzgebirgler (18.09.23, 10:44)
hallo Tula,

die frage nach dem wesen dessen
was ist wird allzugern vergessen
deshalb sprach einst in "sein und zeit"
schon wer von "seinsvergessenheit".

lg
harzgebirgler

https://de.wikipedia.org/wiki/Seinsvergessenheit

 Tula meinte dazu am 18.09.23 um 22:36:
Hallo harzgebirgler

Die Leute, die sich eifrig schinden,
den Stein der Weisen doch zu finden,
erahnen nicht, der Weise hat
die Nierensteine gründlich satt.
Drum lassen wir des Weisen Stein
und kümmern uns um  "Spaß und Sein".

Erleuchtete Grüße
Tula

Antwort geändert am 18.09.2023 um 22:40 Uhr
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