Wir waren für ein paar Tage bei Monika und Bernd eingeladen gewesen, ein befreundetes Paar aus der Tennisgruppe. Sie mit 82 leider schon leicht dement, er aber körperlich und geistig absolut fit, und das mit 85!
Bernd war ein hohes Tier im Bergwerksbau gewesen. Ingenieur, viel gereist; in Asien und Afrika hat er Großprojekte durchgezogen. Monika hatte geerbt.
Ihr Haus, ein Traum. Es ist eigentlich sein Haus; er hat es mit einem befreundeten Architekten selber ausgebaut, ein altes Bauernhaus nicht weit von München; unverbaubare Hanglage, eine Aussicht wie gemalt, und innen alles vom Feinsten.
Monika hat in München eine Wohnung. Meist hatten die beiden getrennt gelebt. Das schlossen wir aus ihren Erzählungen. Der gemeinsame Sohn war bei ihr aufgewachsen. Bernd war in der Zeit anders liiert, denn er sprach auch oft von seiner Tochter, die er mit einer anderen Frau hat.
Warum er jetzt wieder mit Monika zusammen war, sprach er nie an. Wir fragten auch nicht, obwohl uns diese Beziehung irgendwie unecht vorkam. Bernd war da nicht nur der Hausherr, er war auch ihr Dolmetscher, der für sie sprach, wenn sie nicht hatte folgen können; ja, fast auch schon ihr Pfleger. Sie hatte nie Appetit, fror immer – Bernd war zur Stelle. Zärtlichkeit kam indes dabei nicht vor, das Miteinander beschränkte sich auf gezielte Fürsorge, seine immer mit vielen Worten überspielte Fürsorge für sie.
Monika war auch nie lange dabei, etwa wenn wir den Pool benutzten, Billard spielten, den toll gestalteten Garten aufsuchten. Am ersten Morgen war sie auch gar nicht zum Frühstück erschienen, abends entschuldigte sie sich früh – sie sei müde.
Warum Bernd uns überhaupt eingeladen hatte? Uns, die viel Jüngeren? Wir kannten uns zwar, wir hatten bei einigen Veranstaltungen netten Smalltalk geführt, aber all das war eher oberflächlich. Im Grunde hatten nur er und ich über das Tennisspielen Kontakt. Und im Klub war Bernd der joviale Gentleman. Souverän, immer gut drauf, aber ohne sich wichtig zu machen. Und jetzt? Wollte er Dritten gegenüber zeigen, dass er Monika nicht im Stich ließ? Dass er trotz aller Zerwürfnisse doch treu war? Und hatte er sich uns als Zeugen dafür ausgeguckt?
Vielleicht hatte er auch nur einfach Angst zu vereinsamen. Größere Unternehmungen oder gar Reisen, die konnte er ja kaum noch mit Monika zusammen machen. Sie war total auf ihn angewiesen. Deswegen, so unsere Theorie, lud er jetzt Leute zu sich ein, spielte den gut gelaunten Gastgeber, zeigte sein so perfekt umgebautes altes Bauernhaus.
Oder hatte sie vielleicht etwas in der Hand gegen ihn? Gab es bei Bernd Schuldgefühle gegenüber dem Sohn, hatte der den Vater möglicherweise unter Druck gesetzt? Ihm gedroht?
Wir spürten von Anfang an diese unterschwellige Belastung, und um dieses Malaise zu überspielen, erzählten wir reichlich von uns. Es war fast so, als wären wir die Gastgeber. Viel Zeit verbrachten wir in der Küche. Bernd war auch hier souveräner Alleskönner, und so gab es immer neue Anlässe, nette, und unverbindliche Anekdoten aneinanderzureihen, stets auch mit einem Gläschen edlen Alkohols in der Hand.
Monika blieb da außen vor, und meist stieß sie erst wieder zu uns, wenn Bernd sie zum Lunch oder Dinner heran holte.
Am dritten Tag wollten wir wieder abreisen. Wir hatten am Vorabend unsere Gastgeber darüber informiert, dass wir direkt nach dem Frühstück los wollten, so früh es ging. Acht Uhr war ausgemacht, obwohl Bernd nachdrücklich versuchte, uns doch noch zum Bleiben zu überreden.
Es war fast ein Bitten – das Haus stünde uns offen, auch gerne zwei oder drei weitere Nächte. Nein, war unsere spontane Reaktion, da brauchten wir gar nicht nachzudenken – ich hatte am Ende sogar irgendeinen triftigen Grund ersonnen, um ja herauszukommen aus diesem letztlich doch sehr merkwürdigen Spiel.
Sagte ich herauskommen? Am nächsten Morgen um acht Uhr waren wir startklar zum Frühstück. Die Reisetaschen waren gepackt. Wir hatten sogar die Betten abgezogen und die Wäsche brav zusammengelegt. Nein, Bernd und Monika, die sollten sich nicht behandelt fühlen wie „Hotel“.
Tja, aus einem Hotel wären wir spätestens um halb Neun ausgecheckt gewesen – Tschüss, Danke. Hier aber saßen wir noch um neun Uhr in der halb verdunkelten Küche. Allein. Das Haus war totenstill. Und es blieb still.
Ich hatte versucht, Bernd über sein Handy zu wecken. Vergeblich. Die Tür vom Wohnzimmer in den Trakt der Gastgeber war verschlossen. All unser Rufen war wirkungslos verhallt. Die Haustür war zwar offen, aber die Garage hatte eine Automatik, deren Code ich nicht kannte. Was sollten wir ohne unser Auto? Und wenn wir trotzdem einfach verschwänden, zu Fuß diese unheimliche Szenerie einfach hinter uns ließen - durften wir das?
Wir waren wie gelähmt.