Sehen

Text

von  Mondscheinsonate

Nachdem mir die Damen drei Wochen lang kaum eine Einschulung ins Immobilienrecht zukommen ließen, mich faktisch links liegen ließen, ging ich zum Chef und sagte: "Es ist genug, mich interessiert das nicht mehr, ich höre jetzt auf." Er sah mich an, sagte: "Nein, dann schule ich sie ein, ich brauche sie und sie können alles." Die Kurzfassung von zwei Stunden Gespräch und so saß ich neben ihm und er überhäufte mich mit Arbeit, wo ich keine Ahnung habe, wie man das macht und was das ist. Er sagte: "Sie waren bei der W., sie sind ein Arbeitstier." 

Und, mehr Gehalt gab er mir auch. Nun gut, er fragte mich über Fristen aus, ließ mich einen Einspruch gegen einen bedingten Zahlungsbefehl formulieren, u.v.m. 

Ich kam erschöpft zu Emilia, pünktlich. Erzählte ihr von Herrn J., dem Vampir, da lächelte sie, sagte, tja, das passiert, wenn man kein Selbstvertrauen in seine Fähigkeiten hat, dann endet man im Staatsdienst. Ich meinte, das sei nicht schlecht, ich mag ihn. Da rümpfte sie verächtlich die Nase. "Das tötet die Kreativität!" sagte sie theatralisch. Fand ich nicht. "Wir müssen alle Miete bezahlen, Emilia! Wir wissen ja nicht, was er sonst noch schafft." Das tat sie mit einer Handbewegung ab. 

Die weitere Stunde war wieder eine, der Erniedrigungen und des "Kind, vom wem hast du das gelernt!" - Gezeter, was in Wahrheit Lob bei ihr bedeutete, denn sie ist nicht fähig Positives zu sagen, das kann sie nicht und je älter sie wurde, desto schlimmer wurde es. Dieses frustrierte Gequatsche kommt immer von denen, die selbst nichts erreichten und das lassen sie nun an den anderen aus. Am Schluss sagte sie: "Sehr gut!" Das ist das höchste Lob von ihr, aber vorher muss man einiges erdulden. Sie drückte mir einen Zettel in die Hand, im Jänner ist ein Wettbewerb, ich solle mitmachen, was ich nicht mache. Das ist für Junge. Sie sagte: "Papperlapapp! Wie war das mit "Miete zahlen"?" Ich schüttelte den Kopf. Ich antwortete: "Emilia, im Jänner habe ich wichtige Prüfungen, das Spiel ist mein Hobby, die Uni ist meine Berufsausbildung." 

"Du kneifst," sagte sie. "Vielleicht," sagte ich. Ich kneife, dachte ich. 

"Ich melde dich an," sagte sie. Ich sagte: "Ich denke darüber nach." 

Im Grunde stellt Emilia niemals Fragen, sie gibt nur Befehle. "Was soll ich spielen?" Sie sagte Rachmaninow. Die spinnt. "Das ist für Profis." Das bist du, sagte sie. "Da müsste ich Tag und Nacht üben, ich habe kein Klavier." Sie meinte: "Dann kauf dir eines." 

"Ich habe die Zeit auch nicht." Sie sagte: "Dann nimm sie dir." Die spinnt komplett. 

Ich schüttelte den Kopf. 

Was sind das für Menschen, die irgendwas in mir sehen, was ich nicht sehe, dachte ich, zuerst der Chef, dann Emilia?

Im Internet fand ich günstige Preise für Wandklaviere von Yamaha. Ich gehe sie mir heute ansehen. 



Anmerkung von Mondscheinsonate:

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Kommentare zu diesem Text


 EkkehartMittelberg (07.11.23, 10:01)
Hallo Cori,

die Wiedergabe des 
Konzerts von Rachmaninoff ist sehr beeindruckend.

Liebe Grüße
Ekki
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