Zeitzonen

Text

von  Mondscheinsonate

An den Handyrechnungen sehe ich, dass er manchmal jünger ist, manchmal älter, selten da, wo man vermutet, aber immer woanders. Er schickt mir ein Foto von Babyalpakas, die spucken, ich spuke nur durch meine Wohnung. Ich mag Fotos von Alpakas, überlege, Peru, Chile, Bolivien oder sonstwo, die sind bereits überall, auch in Mödling bei Wien. Das Alpaka als Sinnbild für die Selbstverwirklichung. Ich schicke kein Foto zurück, was sollte ich zeigen, den Tisch, den Stuhl, den eingeschlafenen Garten, mein normales Leben? 

Aber, ich sehe auf die Alpakas und frage mich, ob es anders verlaufen wäre, wenn ich früher Träume gehabt hätte, damals hatte ich keine, war zufrieden mit der Gegenwart, schon froh, dass ich alles hatte, besonders einen vollen Kühlschrank. Später dann die vielen Reisen, die Sonnenaufgänge über den Wolken, die fremden Stimmen, andere Gerüche, Wohltat aus Curry und Zimt, aber noch immer keine Träume, ein Ziel zu erreichen. Das kam dann erst später, viel später, fast zu spät und dann arbeitete ich daran, verlor meinen Standort dadurch, meine Beziehung, meinen Halt, muss seitdem über eine reißende Furt, springe auf glitschig nassen Steinen darüber, überquert habe ich sie noch lange nicht. Zwanzig Jahre jünger, es wäre schneller und leichter gewesen, man hätte sich die Belächelnden und die "Ich bewundere dich"- Menschen erspart oder die, die "Ich glaube so fest an dich" - Prediger, es wäre alles glatter und einfacher gewesen, aber ich hatte tatsächlich keine Ambitionen. Er schrieb, dass ich "gescheit bin und es schwer habe", das stimmt nicht, ich bin dumm und deshalb habe ich es schwer, wäre ich gescheit, hätte ich mich anders entschieden, viel früher, hätte mir auch einiges erspart, aber ich weiß, was er meint, nämlich, dass ich jeden Gedanken zehn mal zerkaue, bevor ich handle, ich weiß, das stimmt und er meint auch, überhaupt, mein Privatleben, dass es intelligente Frauen schwieriger haben, einen Partner zu finden. Das stimmt auch. Und auch, dass ich viel lernen muss, um meine Ziele zu erreichen und eigentlich meint er, dass einige intelligente Menschen mehr Selbstzweifel haben, die bremsen, da hat er vollkommen Recht. Risikoreich bin ich nicht, war ich nie. Ich brauche keine Alpakas auf einer Wiese, irgendwo auf der Welt, sondern mein Nest, ich weiß das, ich war überall, kam am Liebsten wieder nachhause. Deshalb habe ich auch Katzen, keinen Hund, ich bleibe gerne da, wo ich bin. Aber, ich höre gerne den Flugzeugen zu, auch denen, die weit reisen, manches kenne ich, anderes nicht. Ich bin gerne dort, wo meine Bücher sind, mein Rückzugsort. 

Es wird sich alles ändern, das müssen, ob ich will oder nicht, das macht mir Angst. Ich wanke auf einem glitschigen Stein im Wasser. Es schäumt. 

Ich sehe, dass das Haus, das ich liebte, das dem anderen gehörte und verkauft wurde, zum Verkauf steht. Ich denke, dass ich es kaufen werde, dann ist wieder eine Beständigkeit da, aber alleine auf 500 qm² Wohnfläche ohne Familie, nämlich die des anderen, macht das Haus nur zu Ziegel aufeinandergeschlichtet. Erinnerungen kann man nicht wieder lebendig machen, kann man nicht kaufen, den Blick schon, den auf die Dinge, auf das Steinerne Meer, alles tot. Aber, ich kann dann ein Foto einer Gämse schicken und neu beginnen. 



Hinweis: Der Verfasser wünscht generell keine Kommentare von Verlo.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram