Baumschnitt

Text

von  Mondscheinsonate

Goethe schrieb:"Über allen Gipfeln ist Ruh'..." - Das dachte ich, als ich den Christbaum schnitt, "... In allen Wipfeln Spürest Du Kaum einen Hauch..."

Jahrein, jahraus mache ich das selbst. Mit den Aufgaben wächst man.

Auf den Tag genau, wohne ich nun 10 Jahre alleine und man möge mir glauben, anfangs war das eine Katastrophe. Schlussendlich nahm mir mein Ex-Lebensgefährte alles aus der Hand, selbst eine Schere. "Du könntest dir wehtun!" 

Klingt lieb, war es nicht. Am Schluss sagte er, als ich mich mit der Schule ablöste, in einer Welt schwebte, die für mich bestimmt war, nämlich die des Denkens:"Du bist nicht mehr mein kleines Mädchen."

Er hielt mich also klein. So musste ich mühevollst die Selbstständigkeit erlernen. 

"Du, ich kann dir den Baum aber wegbringen, das ist kein Problem!" Die Stimme meiner Schwester in meinem Ohr. Sie möchte fortführen, was der Ex nicht mehr wollte, mich als kleines Kind behandeln. Alles kann ich von ihr haben. Bei ihr hat es andere Gründe, sie ließ mich als Kind im Stich und kompensiert so ihre Schuldgefühle. Ich lasse es doch manchmal zu, es ist nämlich so: Sie ist die Praktikerin, dieses Handeln liegt mir gar nicht. "Du denkst viel zu kompliziert!" Wie oft hörte ich das schon. Ich kann nicht anders.

"Nein, ich trage den Baum selbst."

"Wirklich, kein Problem für mich!"

"Nein!" 

Wo kommen wir da hin, ich bin nicht mehr 10, da ging sie und überhaupt habe ich es überlebt wie man sieht.

Während ich also schnitt, mit Gartenhandschuhen, ich kann auch klebrige Finger nicht leiden, es ist schlimm, da drehe ich durch, dachte ich, dass mein Ex und ich nie tiefe Gespräche geführt haben, uns niemals geistig berührt haben. Das ist seltsam, ich hatte immer nur mit Männern zu tun, mit denen man über alles reden konnte. Alles. Ich habe nie einen verschlosseneren Mann erlebt, auch ich gewöhnte mir ab, über Gefühle oder Wünsche zu sprechen. Sprach mit meinem Liebhaber darüber, unter weißen gestärkten Laken, jeden Mittwoch in einem Boudoir. So kompensierte ich die Kälte. Zwei Zwillinge, ja, wir lachten viel, aber berührten uns nie. 

Das gab es nie, dass er meine Seele berührte, das wollte er auch niemals. 

Vielleicht war ich deshalb so liebeshungrig als der komplette Idiot in mein Leben trat. Mit ihm sprach ich viel, wir quackten wie die Frösche, turtelten wie Täubchen und probierten uns im Bett aus. Jungfrau und Zwilling, Analytik und Logik, das passt nicht zusammen, aber auf der Herzebene waren wir nur Genießer, da schwiegen wir. Da ich aber ein halber Stier bin, tatsächlich (ich möchte kotzen, sechs mal gegeben) kam mein Ehrgeiz stets dazwischen, ich konnte dieses ewige Versagen und sich aufgeben nicht ertragen, es nervte zu Tode!

Und, da schnitt ich, gab die Äste in einen Sack, damit ich den Baum leichter tragen konnte und nicht so viel Müll am Korridor mache, dachte weiter, dass ich mich dann 2018 endlich diesen perfiden Psychospielchen entzog und seitdem allein bin. Nie wieder kam mir ein Mann näher als nah, doch, mein bester Freund, geistig. 

Und doch, er, der weit weg weilt, in anderen Ländern unterwegs ist, ja, würden wir uns nicht auf Nachrichten beschränken, oh, wir würden plappern, ich weiß das, gewisse Dinge ändern sich nie, zwei Quatschtanten. Und wir sagten täglich "Gute Nacht". Nähe ohne nah sein. Und das miteinander einschlafen und miteinander aufwachen war schön, keine Sekunde unangenehm, wir waren beide keine sentimentalen Kletten. Es war selbstverständlich, alles war so wie es sein musste.

Und, während ich schnitt, lächelte ich, eine seltsame Geschichte, die tief ging, so tief, dass sie blieb, auch das ist selbstverständlich ohne Schmalz. 

Dazwischen war ein langer Weg und während ich schon fast fertig geschnitten hatte, der Sack sich füllte, dachte ich, dass die ewige Selbstständigkeit, die notgedrungene, härter macht, was nicht gut ist. Mein Bruder Philipp rief an, er hat am 10.1. Geburtstag, ich fragte ihn, was er sich denn wünscht. Er sagte:"Dass du deine Klausur schaffst." Das riss mich aus den vergangenen Gedanken, stieß mich in meine Zukunft. Ich sagte:"Du bist ein liebes Böckchen." Er lachte.

Die Vögelein schweigen im Walde. Warte nur! Bald Ruhest du auch. 


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