Ich bin müde...

Vor mir alte Fotos vom ersten Schikurs, überall bist du darauf zu sehen, von so vielen Menschen, immer nur du. Ich lächle, eine Erinnerung an Tage, in denen ich nicht in dich verliebt war, tatsächlich nicht, die Fotos lügen aber sich selbst nicht so unverschämt an. Da, ein Foto von mir, bei Oma, ich lache herzallerliebst in die Kamera, kurz darauf lag ich in deinen Armen. Wüßten wir im vorhinein, wie uns manche Momente später noch so berühren werden, würden wir uns in dem Augenblick noch fester halten. Ja, wenn wir wüssten, dass es lange nicht wieder kommt, uns fester drücken. Nichts weiß man im vorhinein, man neigt in jungen Jahren zur Flüchtigkeit, flüchtet. 

Würden wir uns jetzt treffen, angenommen du kämst zu spät, würdest fragen, ob ich schon lange warte, dann würde ich mit "Ja, schon 33 Jahre" antworten, auf ein paar Minuten kommt es dann auch nicht mehr an. Befangen wäre ich doch, die Phantasie ist makellos, das Äußere gealtert. Kann man sich in der Realität wirklich fallen lassen? Nein, ich zweifle nicht, frage mich nur, ob man Jahre wegdenken könnte. 

Nein, du würdest nicht mehr deine Brille auf den Nachttisch legen, du trägst jetzt Kontaktlinsen, jetzt würde ich es tun, damit alle Zweifel beiseite legen, sie nicht mehr sehen. Und nein, es wäre nichts mehr vorsichtig, sondern gierig, die letzten Jahrzehnte würden verschlungen werden. Das "Ich war nicht verliebt" wiederlegt sein, innerhalb von Sekunden sich in Luft auflösen, in Atemlosigkeit und Verschmelzung. 

Im Jetzt und Hier neu, die Geschichte verdrängen, neu schreiben, nur noch an das denken, nicht mehr an das, was längst begraben ist in uns. 

Ich lege mich jetzt nieder, nehme diese Gedanken mit. 

Und ja, diesmal weiß ich, was passieren wird, dasselbe wie damals, würde daher fester halten und tief den Augenblick in mich ziehen, bevor ich loslasse. Endgültig.