Lesezirkel

Text

von  Mondscheinsonate

in der Hauptbibliothek. Die Veranstaltung auf die ich warte, ich bin eine halbe Stunde zu früh, freut mich doch nun sehr, schlussendlich bin ich als Alleinstehende selten irgendwo, aber diesmal wollte ich einfach hingehen, über meinen Schatten springen, alleine genießen. Eine namhafte Kritikerin, ihres Zeichens auch Kritikerin beim Ingeborg Bachmann Preis gewesen und ein Journalist vom Falter, ebenfalls Bachmannpreis - Juror gewesen wie auch ein Musiker diskutieren über die Buchneuerscheinungen des Monats. 

Da ich nun endlich wieder sehe, eine neue Brille habe, kann ich auch endlich wieder lesen, nicht nur hören. So interessieren mich Neuerscheinungen wieder sehr. 

Und ja, natürlich beschäftigt mich auch hier, wie auch schon den ganzen Tag, der Tod, denn der Tod ist grausam, er entreißt Menschen, dies gewaltsam. 

Und nein, ich schrieb keine Bekundungen, denn ich respektiere das "Nichtmögen" der Verstorbenen, außerdem heuchle ich nie, das liegt mir nicht, jedoch fühle ich die Beklemmung mit, denn ich weiß wie es ist, wenn man jemanden gerne hatte, der plötzlich nicht mehr da sein darf. 


Die Veranstaltung ist nun vorbei, ein neu aufgelegter Klassiker wurde besprochen, nämlich "Die Mansarde" von Marlene Haushofer, dann das englische Buch von Zadie Smith "The Fraud", übersetzt "Der Betrug" und das gehypte, überall ausverkaufte Buch von Stefanie Sargnagel "Iowa". Übrigens, dies hat einen belanglosen Sog. 

In der U-Bahn setzte sich ein Obdachloser in meine Nähe, der stank derart, dass alle nach vorne gingen, ich blieb sitzen, weil ich mir überlegte wie furchtbar das sein muss, wenn jeder nur vor einem flüchtet, das tat mir im Herzen weh, gebe aber zu, es war unerträglich. Einmal drehte ich mich zu ihm und sah, dass er Papier aß, nein, fraß, er stopfte es gierig in sich hinein. 


Jetzt, in der Straßenbahn, denke ich, dass ich alle Bände von Marlene Haushofer von R. geschenkt bekam und auf der hässlichen Couch las. Ich fand das Buch damals schon großartig und zeitlos. Ich denke, ich lese es nochmals.



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Kommentare zu diesem Text


 Pearl (13.02.24, 21:50)
Die Hauptbücherei - einer meiner Lieblingsplätze in Wien! Morgen oder übermorgen will ich da mal wieder hinschauen.

In Bozen (Südtirol) war ich mit meiner Mutter in einer Buchausstellung und habe viele (hoffentlich) gute Neuerscheinungen abphotographiert.

Guter Text, Mondscheinsonate, treffend ehrlich und doch sensibel.

 Mondscheinsonate meinte dazu am 13.02.24 um 22:07:
Danke, meine Güte, ich bin dort ja nie, habe kleine, aber feine Bibliotheken in der Nähe, die Bücherwände hören nie wieder auf, das ist so toll, ich war schwer fasziniert.

 Graeculus antwortete darauf am 13.02.24 um 23:50:
Die Hauptbücherei ist etwas anderes als die Nationalbibliothek, ja? Ein El Dorado für Bibliomane. Wien ist also weit mehr als "ein Aphrodisiakum für Nekrophile", wie ein (Wiener) Spötter einst sagte.

 Graeculus schrieb daraufhin am 13.02.24 um 23:51:
Das war der André Heller, fällt mir jetzt wieder ein.

 Mondscheinsonate äußerte darauf am 13.02.24 um 23:54:
Ja, wir haben eine große Buchhandeldichte. Die Hauptbib ist bei der Stadthalle (401.000 Bücher), die Natio ist bei der Hofburg (deren Dach brannte damals...!)

Antwort geändert am 14.02.2024 um 00:03 Uhr

 Graeculus ergänzte dazu am 14.02.24 um 00:19:
Muß ich die Zahl der Buchhandlungen in Dobel angeben? Gleichsam Gottes Antwort auf die Bitte: "Und führe uns nicht in Versuchung!"

 Graeculus (13.02.24, 23:36)
Das ist genau die Art von beinahe (!) unbeschwerten, angenehmen Texten, die ich gerne lese. Wir erfahren etwas über Literatur, über eine interessante kulturelle Veranstaltung ... und gegen Ende in unaufdringlicher, nicht predigender Weise auch etwas über die Schattenseiten dieser Welt.
Über all das kann der Leser dann nachdenken.
Danke.

 Mondscheinsonate meinte dazu am 13.02.24 um 23:42:
Gern. Er aß Papier, Graec! :(
Das habe ich noch nie gesehen, das war, mit Abstand, das Schrecklichste, das ich jemals lebensnah betrachten musste. 
Das Perverse - vorher die Leserattensession und dann den Zeilenfresser vor Hunger und geistiger Verwirrtheit.

 Graeculus meinte dazu am 13.02.24 um 23:46:
Daß es da eine skurrile Entsprechung gibt, fällt mir (erst) jetzt ebenfalls auf.
Überhaupt ... dieser Schluß des Textes ist schrecklicher, als ich zunächst dachte. Wenn man es sieht, springt es ins Auge.

 Mondscheinsonate meinte dazu am 13.02.24 um 23:49:
Furchtbar, ich bin noch immer ganz geschockt. Da sitzt man zwischen unzähligen Büchern, die ich am Liebsten gefressen hätte...und dann das.
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