Erkenntnis!

Short Story zum Thema Humor

von  tastifix

Ich war ja doch ein wenig verdattert, als...


Meine Jüngste lebt für ein ganzes Jahr in Frankreich in einer kleinen Stadt nahe bei Paris und erfährt dort, wie fein Kinderbeaufsichtigung bzw. -erziehung ist.
Sie möchte an diesem Wochende für zwei Tage ´rüber kommen. Also fahre ich mit dem Zug zum Kölner Flughafen, um mein 22-Jähriges dort in Empfang zu nehmen.

Es dauert eine ganze Weile, bis ich sie endlich in den Arm schliessen kann. Wir machen uns sofort auf den Weg zur S-Bahn.

Sie sieht ein bisschen blass um die Nasenspitze aus, ist ja auch vorsichtshalber, um ja ihren Flug nicht zu verpassen, bereits um 4 Uhr in der Früh`aus dem Bett geklettert. Auch das Reden fällt ihr offensichtlich in ihrem wegen Müdigkeit leicht weggetretenem Zustand sichtlich schwer. Zuerst schweigt sie sich total aus.

Ich möchte ein Gespräch in Gang bringen. Mich plagt ja die Neugierde auf alles, was zwischenzeitlich in Frankreich so gelaufen ist.
Erste Frage:
"Geht es dir gut?"
Antwort:
"Ja!"
Eine klare Aussage, mit der Mama doch eigentlich rundherum zufrieden sein könnte. Was gibt es Schöneres für eine Mutter als zu wissen, dass ihre Kinder wohlauf sind.

Aber ich fühle mich irgendwie so abgefertigt und wage einen erneuten Vorstoss:
"Wie geht es denn den Kindern?"
Flehend hefte ich den Blick aufs Gesicht meines Kindes. "Bitte, bitte, sag`doch was!", denke ich.
"Denen geht es auch gut!"
"Wie schön!", entgegne ich und sage mir:
"Das sind ja immerhin schon fünf Wörter gewesen, Nur noch ein bisschen Geduld. Dann ist sie richtig wach (wegen meiner soo geistreichen Fragerei!) und babbelt los.

Mein Mut wächst:
"Verstehst du dich denn immer noch gut mit deiner Gastmutter?"
Ein Rückschlag:
"Ja, gut!"

Mein Gott, ich darf nicht lockerlassen:
"Und mit dem Vater, wie klappt es mit dem?"
Nur noch ein Schulterzucken. Ist ja zwar vielsagend, aber leider auch in beliebiger Weise zu interpretieren.

"Wie war denn der Flug?"
"Normal!"

Ich geb`s auf.
Garantiert braucht sie erst einmal Ruhe und etwas Zeit, sich wieder umzustellen auf Deutschland, zuhause, Mama, Papa und die Zwilligsschwester, die sich schon sehr auf ihre andere Hälfte freut.

So ist für lange, lange Minuten das einzige Geräusch, dass die Stille unterbricht, das Kollern der Kofferräder. Wenigstens der Koffer scheint guter Laune zu sein. Das ist ja auch nicht zu verwundern. Der ahnt bestimmt schon, dass ihn daheim erst einmal Urlaub vom "Urlaub" erwartet.

Erst nach sage und schreibe zehn Minuten ändert sich etwas. Das bis dato unbewegte Gesicht neben mir verzieht sich zögerlich zu einer nachdenklichen Mimik. Ich spüre, in ihr rumort etwas. Es fällt ihr offensichtlich schwer, ihre Gedanken noch alle vernünftig auf die Reihe zu bringen und sie dann so zu äussern, dass ich sie auch kapiere.

Jedoch zuvor vollführt mein Mädchen Arm- und Handbewegungen wie diese Leute, die ich in letzter Zeit immer auf Spielplätzen beobachte, wobei ich mich heimlich köstlich amüsiere. Meine Tochter breitet die Arme aus, dreht die Innenflächen ihrer Hände erst nach außen, dann zurück nach innen - alles im Zeitlupentempo, vielleicht, oder vielleicht doch auch nicht, damit ich ja wirklich das Spiel ihrer Adern dabei bewundern kann. Welchen anderen Grund könnte es wohl sonst dafür geben??

Da, sie holt doch tatsächlich noch einmal tief Luft, gibt sich einen ruck und tut einen Satz von erstaunlicher Tiefsinnigkeit. Ich bin darob platt.

"Mama!", hebt diese junge Dame, total abgehoben und fern von dieser Welt, an:
"Mama, meine innere Entwicklung ist noch nicht abgeschlossen!"

Oh Schreck! Erst diese absonderlichen Gymnastikübungen und dann dies...Das ist zuviel für mein mütterliches Gemüt. Meine Gedanken überschlagen sich. Was fehlt meinem Kinde? Hat es vielleicht einen dieser komischen Gurus getroffen und läuft jetzt fleissigst seinem eigenen Ich hinterher, betreibt Selbstfindung bis hin zur Selbstaufgabe? Ist ja heute so modern und zudem in gewissen Kreisen auch sehr beliebt."

Oder sie grübelt gerade, sage ich mir, wieviele Wiedergeburten (als was dann bloss!) ihr noch bevorstehen, bis sie irgendso eine komische höhere Entwicklungsstufe erreicht hat, die sie dann endlich einen Blick ins Nirvana erheischen lässt. In dem sind dann unter Garantie solche Bemerkungen wie die eben absolut überflüssig.

Besorgt mustere ich sie von der Seite. Aufatmend stelle ich fest, dass diese Sorgen wohl unbegründet sind. Erleichtert verkneife ich mir ein Lachen und hole uns beide wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Ich lasse eine ernsthafte Erklärung folgen:

"Weisst Du, ihr seid Frühgeborene. Da dauert alles unter Umständen ein wenig länger. Aber das ist völlig normal. - Und in ein paar Jahren werdet ihr um euer jugendliches Aussehen von vielen Gleichaltrigen beneidet!"

Ich kenne ja meine eitle Tochter.
Dass ich die richtige Richtung eingeschlagen habe, kann ich auf ihrem Gesicht ablesen.

Das wirkt ganz urplötzlich hellwach und gaanz entspannt!

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