[Die Ziellinie hat kein Ende]

Gedankengedicht zum Thema Ziele

von  Anantya

Die Ziellinie hat kein Ende
Noch den Anfang: Den Pfiff. Vergiss
Nicht:
Das Dort dämpft deinen Schritt.
Geh, das Ziel ist Hindernis.
Denn es ist abgelaufen.

Zielbandaugenbinde.

Und du trinkst nicht, hältst fest
Am Anlauf.
Am Ablauf der Zeit, die nicht zu gewinnen ist
Mit Durst nach Sieg.
Doch du siegst.

Im überkreuzten Weitlauf.
Vincis, deficis.
Du siehst: Du siegst!


Und versiegst.

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter Wal (19.01.10)
Ein abstrakt gemusterter Gedankenteppich. Das Leben als Ziellauf mit Augenbinde. Gerade weil unsere tieferen Ziele uns zwangsläufig unbewusst sein müssen, weil unsere Bewusstheit deutliche Grenzen kennt und man das Ich des Menschen auch als stecknadelkopfgroße Insel auf einem Meer des Unbewussten bezeichnen könnte. Was für einen Sinn das alles wohl hat, wenn wir im großen Vergessen einmünden, dem Tod? Sind unsere Etappenziele nicht damit restlos hinfällig? Habe nix zu meckern. Man erkennt, dass da eine intelligente junge Frau schreibt, die über ein erhebliches Abstraktionsvermögen verfügt und der das Grauen des Surrealen offensichtlich längst bekannt ist, weil auch eigene Vorstellungen, je abstrakter sie werden, zuweilen einem selbst durchaus Angst machen können. Vielleicht größere als vor gegenständlichen Dingen.

Rückerts Gedicht über größere Zeitabläufe kam mir in den Sinn. (Beim Studium einer geologischen Karte des Geologischen Landesamts reichen die Zeitläufe bis 2500 Mio.! Jahre ins Präkambrium - die einfachste Zeitreise, die man derzeit machen kann.) Es hat wenig bis nichs mit deinem Gedicht zu tun. Aber ich dachte mir: Vielleicht spricht es dich an.

Chidher, der ewig junge, sprach:

Ich fuhr an einer Stadt vorbei,
Ein Mann im Garten Früchte brach;
Ich fragte, seit wann die Stadt hier sei?
Er sprach, und pflückte die Früchte fort:
Die Stadt steht ewig an diesem Ort,
Und wird so stehen ewig fort.

Und aber nach fünfhundert Jahren
Kam ich desselbigen Wegs gefahren.

Da fand ich keine Spur der Stadt;
Ein einsamer Schäfer blies die Schalmei,
Die Herde weidete Laub und Blatt;
Ich fragte: Wie lang ist die Stadt vorbei?
Er sprach, und blies auf dem Rohre fort:
Das eine wächst wenn das andere dorrt;
Das ist mein ewiger Weideort.

Und aber nach fünfhundert Jahren
Kam ich desselbigen Wegs gefahren.

Da fand ich ein Meer, das Wellen schlug,
Ein Fischer warf die Netze frei:
Und als er ruhte vom schweren Zug,
Fragt ich, seit wann das Meer hier sei?
Er sprach, und lachte meinem Wort:
Solang als schäumen die Wellen dort,
Fischt man und fischt man in diesem Port.

Und aber nach fünfhundert Jahren
Kam ich desselbigen Wegs gefahren.

Da fand ich einen waldigen Raum,
Und einen Mann in der Siedelei,
Er fällte mit der Axt den Baum;
Ich fragte, wie alt der Wald hier sei?
Er sprach: Der Wald ist ein ewiger Hort;
Schon ewig wohn ich an diesem Ort,
Und ewig wachsen die Bäum hier fort.

Und aber nach fünfhundert Jahren
Kam ich desselbigen Wegs gefahren.

Da fand ich eine Stadt, und laut
Erschallte der Markt vom Volksgeschrei.
Ich fragte: Seit wann ist die Stadt erbaut?
Wohin ist Wald und Meer und Schalmei?
Sie schrien, und hörten nicht mein Wort:
So ging es ewig an diesem Ort,
Und wird so gehen ewig fort.

Und aber nach fünfhundert Jahren
Will ich desselbigen Weges fahren.

Friedrich Rückert
(Kommentar korrigiert am 19.01.2010)

 Anantya meinte dazu am 19.01.10:
Vielen Dank, Araki! Absolut hilfreicher Kommentar, der mich auch selbst zum Weiterdenken animiert. Das Gedicht von Rückert spricht mich wirklich an, gerade weil ich mich im Moment selbst frage, was und welche Ziele ich habe, haben sollte, brauche, ... ("und wird so gehen ewig fort".) Danke dir!

 Dieter Wal antwortete darauf am 19.01.10:
Freu mich wieder, dass du etwas damit anfangen konntest. Die Bemerkung zu "versiegen" war falsch. Daher hab ich sie entfernt.
jovanjovanovic (61)
(19.01.10)
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 Anantya schrieb daraufhin am 19.01.10:
Vielen Dank, jovan! Das bedeutet mir sehr viel, wenn es dir gefällt!
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