Teil 03

Roman

von  AnastasiaCeléste

Die Brookstreet lag in einem der abgelegensten und verwahrlosesten Viertel der Stadt. Ave saß in einem alten Chevy, den er sich wie immer, wenn er seine Arbeit erledigte, aus Corvins ansehnlichem Fuhrpark lieh. Quasi als Firmenwagen, wenn man so wollte.
Das dumpfe Grollen des Motors schob sich langsam durch die Straßen. Ave war wachsam, jede kleine Bewegung seiner Umgebung nahm er wahr. Nicht, dass es woanders besser zuging, aber gerade hier war es sicherer zu wissen, was um einen herum passierte, wenn man lebend wieder hier wegkommen wollte. An den Rinnsteinen häufte sich Müll. Überall stocherten Obdachlose in den dreckigen Abfallbergen, auf der Suche nach etwas Brauchbarem.
So bemitleidenswert diese armen Kreaturen auch aussahen. Gerade sie konnten zu einer wirklichen Gefahr werden. Drogen, Verzweiflung und oft auch eine Spur Wahnsinn konnten mörderische Instinkte wecken. Er hatte damit schon Erfahrung gemacht. „Traue niemandem außer dir selbst“, das lernte heute jedes Kind bereits im Kindergartenalter.
Ave stoppte den Wagen einen Häuserblock entfernt, um nicht unnötige Aufmerksamkeit zu erregen. Außerdem wollte er diesem „Pico“  keine Chance geben, frühzeitig zu verschwinden.
Noch im Wagen begann er mit seinem gewohnten Ritual, das er vollzog, bevor er einen Auftrag ausführte. Ave kontrollierte die Waffen in seinem Halfter, das er unter seinem langen Mantel trug. Er fühlte in seinen Taschen nach den Reservemagazinen und ließ seine Fingerspitzen prüfend über den Schaft seines Messers gleiten, dass er immer in einer eingenähten Messerscheide in seinem Mantel trug. Diese Ausrüstung sicherte ihm zusammen mit seinen ausgeprägten Sinnen und seiner Schnelligkeit zu Handeln, immer eine gute Chance heil davon zu kommen, falls die Situation eskalieren sollte.
Trotzdem Ave, schon allein durch seine muskulöse Statur, ein imposantes Erscheinungsbild lieferte, gelang es ihm unbemerkt zu dem kleinen Spirituosenladen zugelangenen.
Er löste die Lasche über seiner silbernen Waffe und entsicherte sie vorsorglich, auf alles vorbereitet.
Mit dem Entsichern seiner Waffe, betätigte er auch in seinem Innern einen  Mechanismus, der Gefühle jeglicher Art von Wärme und Mitleid ausradierte.
Der Hintereingang war wie erhofft nicht verschlossen. Das monotone Surren der Kühlschränke drang ihm ins Gehör. Begleitet von den dumpfen Tönen eines billigen Radios, das irgendwo im Laden seine Lieder dudelte. Ave war bis aufs Äußerste angespannt, als er den schmalen Gang entlang schlich. Diese auffällige Stille gefiel ihm nicht. Und wären sie nicht schon längst auf Alarmstufe Rot eingestellt gewesen, hätten sich seine Sinne noch verschärft. Eine Hand ruhte auf seiner Beretta, die er in einem Sekundenbruchteil zücken würde, sobald er auch nur die kleinste Bewegung wahrnimmt. Doch da war nichts.
Ave erreichte den Verkaufsraum. Kein Mensch war hier. Seine Hand schloss sich fester um den Griff seiner Waffe. Das Radio im Kassenbereich nervte vor sich hin.
Plötzlich durchbrach ein glucksendes Rauschen die Monotonie. Es drang hinter einer Tür im Gang hervor, aus dem er gerade gekommen war. Mit einem Satz stand er mit gezogener Pistole vor der schäbigen Tür. Zwei Sekunden später öffnete sie sich und ein dicker Kerl starrte verdattert in den Lauf der Beretta. Die Zeitung, die er sich unter den Arm geklemmt hatte, knirschte als Antwort auf seine steif werdenden Glieder.
Das war sein Mann. Ein kleiner, ekliger Kerl, mit einer Bierwampe, die nur zu perfekt in diesen Laden passte. Auf seiner schmierigen Halbglatze standen die Schweißperlen. Ein Resultat seiner Angst oder seines vorherigen Geschäfts. Seine kleinen tiefsitzenden Augen hatten sich geweitet.
Ave brauchte sich nicht vorstellen. Der Blick des Mannes verriet ihm, dass er ihn durchaus kannte und wusste, was der Anlass seines Besuches war.
„Hallo Pico“, sagte Ave gedehnt und gespielt gelassen. „Corvin hat gehofft dich früher zu sehen! Seine Enttäuschung ist ziemlich groß darüber, dass du ihm anscheinend nicht Freiwillig sein Geld zurückzahlen willst.“
Pico suchte nach den richtigen Worten. „Ähm…er…er kriegt es! Ganz bestimmt“, beteuerte er hilfesuchend.
„Das Problem ist, Pico, dass er es jetzt will, sofort! Und Glaub mir, ich werde diesen Laden und dich nicht eher verlassen, ehe ich dieses Geld nicht in meinem Händen halte!“, fuhr Ave ihn barsch an. Pico atmete hektisch, sein Blick huschte rüber zur Kasse. „Ich…ok…du kriegst es! Lass mich zur Kasse gehen…ok?“ Ave rührte keine Miene. Faszinierend wie schnell Menschen in Todesangst weich wurden.
Ave ließ ihn sich langsam vortasten, die Waffe immer auf seinen Rücken gerichtet.
Der kleine Mann zwängte sich hinter die Kasse, während Ave jede seiner Bewegungen beobachtete. Er drückte ein paar Tasten und mit einem Klicken sprang das Geldfach auf.
Die Kasse war nicht sehr voll, trotzdem begann er Hundertdollarscheine abzuzählen. Er war langsam, versuchte Zeit zu schinden.
Ave bemerkte, wie sein Gegenüber schwitze. Seine Finger zählten ungenau.
Er begann von vorn, hielt inne und begann noch einmal.
Und im nächsten Moment Griff er unter den Tresen und richtete einen Revolver auf ihn.
Der Knall erschütterte den ganzen Raum. Er hallte von den gekachelten Wänden wieder und löste sich dann in eine zeitlose Stille auf.
Ein schweres, ruckartiges Atmen war zu vernehmen.
Ave trat hinter den Tresen. Vor ihm auf dem Boden lag Pico zusammengesackt an das hintere Regal gelehnt. Ein paar Glasflaschen waren durch die Wucht des schweren Körpers auf dem Boden zersplittert. Der schwere Geruch von Alkohol hing in der Luft. Picos rechter Arm war blutüberströmt. Der Revolver lag einen halben Meter von ihm entfernt. Ein gequältes Stöhnen drang zwischen seinen Lippen hervor. „Noch eine einzige Bewegung…und ich treffe wichtige Stellen“, drohte Ave und sah den kümmerlichen Haufen vor ihm scharf an.
Dieser vermied konsequent den Blickkontakt, als könnte er so der Situation entgehen.
Sein verletzter Arm zuckte, bei dem Versuch ihn zu bewegen.
Ave lehnte sich an den Tresen, fischte ein paar Dollarscheine aus der Kasse und warf sie ihrem Besitzer vor die Füße, wo sie sich blitzartig mit der Flüssigkeit auf dem Boden voll sogen. „Willst du mir verraten wo das Geld ist?“ Ave hob eine Augenbraue. „Oder…muss ich nachhelfen?“
Picos Blick wurde hektisch. Sein Gehirn versuchte im Widerholungsmodus, alle möglichen Lügen durchzutesten.
Ein ungeduldiges Klopfen ließ ihn aufsehen. Ave tippte mit dem Lauf seiner Waffe auf den Tresen, als hätte er es eilig.
„Ich hab es nicht…ehrlich…..wenn ich es hätte, würde dein Boss es schon längst haben. Ich bin ein ehrlicher Mann, ich will keinen Ärger! Ich besorge das Geld“, nuschelte der kleine Mann nervös.
Ave atmete hörbar aus. So langsam verlor er wirklich die Geduld.
„Dann besorg mal. Du hast fünf Minuten Zeit!“ Ave verzog keine Miene. Der betäubende Geruch nach Alkohol störte ihn, brannte sich förmlich in die Schleimhäute. Er wollte schleunigst hier raus.
Über dem Regal hing eine Uhr. Das Ganze kann sich noch hinziehen, dachte sich Ave, bevor er das metallische Geräusch in Bodennähe hörte.
Nun war er es, der die Spannung zwischen einer scharfen Waffe und seinem eigenen Körper zu spüren bekam. Dieses Gefühl löste den Reflex aus.
Zielsicher beendete er das Katz und Maus-Spiel mit einem einzigen Schuss.
Wieder gingen einige Flaschen zu Bruch und ihr Inhalt vermischte sich mit dem Picos Kopfes. Der nun noch stärker werdende Geruch, war unerträglich.
Ohne einen weiteren Blick auf den Schuldner, verließ Ave das Geschäft. Stattdessen,  warf er einen Blick auf eines der Hinterzimmer. Dort standen ein dreckiges Bett, einige Schränke, ein Tisch und Stühle. Hier wurde gewohnt.
Mit schnellen Handgriffen durchforstete Ave das Zimmer, bis er schließlich auf einen Koffer stieß. Er war zu schwer um leer zu sein.  Im Innern befand sich ein wildes Wirrwarr von Klamotten, Socken, Hemden und einigen Plastiktüten, die Aves Aufmerksamkeit erregten.
In der Dritten stieß er unter anderem auf einige Fotos.
Ave hielt Inne.
Die herzlichen Gesichter der Personen auf ihnen enthüllten mehr als er wissen wollte.
Zwei kleine Mädchen, eine hübsche zierliche Frau – und Pico.
Das Lächeln der Mädchen wiederholte sich auf mehreren Fotos. Pico immer mal wieder dazwischen. Pico als liebender Vater.
Das Surren der Kühlschränke schien lauter zu werden.
Ave atmete tief ein, schaltete seine Gedanken aus und legte die Fotos beiseite. Den Rest des Inhalts nahm er an sich. Er hatte seinen Auftrag erfolgreich erfüllt.

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