Teil 19

Roman

von  AnastasiaCeléste

Cat und Asher saßen zusammen im Wohnzimmer. Sie waren besorgt, nachdem Ave ihnen erzählt hatte, dass er begonnen hatte seine Aufträge nicht mehr auszuführen. Dass er stattdessen auf eigene Faust für Aufklärung sorgte, war riskant.
Sobald Corvin davon Wind bekommen und Aves Namen in Verbindung damit hören würde, wäre es aus.
Es lag ein dauerndes Knistern in der Luft. Die Anspannung stand Ihnen ins Gesicht geschrieben. Sie war allgegenwärtig wie ein böser Geist, der durch die Zimmer huschte und eine ständige Gänsehaut verursachte.
Mittlerweile war Ave eine Bezugsperson für Cat geworden. Er schützte und akzeptierte sie.
Die junge Frau verdankte ihm die Möglichkeit eines neuen Lebens. Auch wenn ihr Start schwierig war, empfand sie etwas für ihn. Nicht so wie es Asher tat. Aber es war ein Gefühl einer zarten Freundschaft, einer gewissen Verbindung.
Cat sah zu Asher hinüber, während sie vor dem Fenster auf und ab lief. Er war dabei seinen Rucksack zu packen. Es war Zeit für einen Einkauf. Die Lebensmittel wurden langsam knapp.
Da Ave den Wagen mitgenommen hatte, würde er zu Fuß gehen müssen, immer darauf bedacht die Straßensperren zu umgehen. Asher spürte ihren Blick im Nacken. Als er sie ansah fühlte sie sich ein wenig ertappt.  „Darf ich dich heute begleiten?“ fragte sie leise. Asher sah sie überrascht an. Es dauerte eine Weile bis er Worte fand. „Das geht nicht, das ist zu gefährlich“, antwortete er ihr. Sie seufzte. „Ich weiß, aber seitdem ich hier bin, habe ich diese Wohnung nicht einmal verlassen“, entgegnete sie. Asher ließ seinen Rucksack zur Seite kippen und ging auf Sie zu. Er sah das Flehen in ihren Augen.  Er stand direkt vor ihr, ragte so einen Kopf über Sie hinaus und griff nach einer Strähne ihres rotbraunen Haares. Er ließ sie durch seine Finger gleiten, als würde er nebenbei genau abwägen. „Du hast deinen Kerker gegen einen verriegelten Schlosssaal getauscht. Ich verstehe, dass du nicht glücklich bist.“ Seine Stimme war ernst und niedergeschlagen. Sie legte eine Hand auf Seine. „Ich muss mich an die Welt da draußen wieder gewöhnen, auch wenn ich eigentlich eine heiden Angst vor ihr habe“, meinte sie vorsichtig. Asher nickte. „Das stimmt natürlich, du kannst nicht ewig in diesen vier Wänden bleiben. Aber gerade jetzt, wo alles im Umschwung ist. An jeder Ecke Straßensperren, Wachposten. Was, wenn dich jemand von ihnen erkennt?“ Cat bezweifelte, dass dort draußen ein bekanntes Gesicht lauern würde. Die Menschen, die sie in den letzten Jahren zu Gesicht bekam, beschränkten sich auf etwa fünf oder sechs verschiedene Personen, Corvin mit eingeschlossen.
Sie senkte den Blick. Asher war ein Beschützer durch und durch und sie wusste, dass er eigentlich Recht hatte.
„Du kannst mich nicht vor ihm beschützen“, erklärte sie leise. Asher atmete tief ein. „Doch, dass kann ich sehr wohl und das werde ich auch“ gab er ihr bestimmt zu verstehen. „Ich könnte mir das nie verzeihen, wenn ich dich mitnehme und dir etwas passieren würde.“ „Ich weiß.“ Sie zog ihn an sich, legte behutsam ihren Kopf an seine Brust und lauschte dem Klang seines Herzens. „Aber ich werde trotzdem mitkommen. Wenn ich in dieser Welt überleben soll, muss ich lernen, wie sie mittlerweile tickt. Ich werde dir auf Schritt und Tritt folgen und mich wie ein Schatten verhalten“, erklärte sie geduldig.
Asher strich ihr über das Haar. Sie war mutig geworden, wollte Kraft sammeln und sich vor allem nicht mehr einsperren lassen. Das konnte er gut nachvollziehen.
Alles in ihm wehrte sich dagegen, aber ganz langsam ließ er die ersehnte Antwort zu.
Cat drückte ihn fest, bevor sie in ihrem Zimmer verschwand und sich umzog.
Es dauerte nur ein paar Minuten, bis sie in schwarz- und Grautönen wieder zurückkam. Unauffällig – wie ein Schatten.

Kurz bevor sie nach Draußen traten zog Cat die weite Kapuze ihres schwarzen Pullovers tief ins Gesicht. Er war weit und bequem, bedeckte ihre zarten Formen. Die dunkelgraue Hose war an einigen Stellen zerschlissen und rundete das Gesamtbild ab. Sie sah aus wie eine Streunerin, unauffällig und mittellos.
Als Asher die Haustür öffnete und sich prüfend umsah, kam ihr ein Windstoß entgegen.
Sie fühlte die kühle Luft auf ihrer Haut und vergaß für einen Moment alle Ängste. Asher sah sich nach ihr um. „Kommst du?“ fragte er. Cat sah ihn entschlossen an. Ja, sie wollte hinausgehen und ihre neue Freiheit erkunden. Sie wollte leben und das Leben hier draußen in all seiner Schrecklichkeit erfassen. Nichts konnte mehr schlimmer sein, als das, was sie schon erlebt hatte.
Sie machte einen großen Schritt über die Türschwelle hinaus auf die Straße und lächelte triumphierend vor sich hin.
Der Tag war trüb und der Himmel spiegelte das Grau der Stadt. Die Temperatur war in den letzten Tagen stetig gesunken und man konnte den nahenden Regen förmlich riechen.
Asher machte große Schritte, sodass Cat Mühe hatte, auf seiner Höhe zu bleiben.
Sie hüpfte hier und da über den Müll, der sich auf der Straße sammelte und schaute neugierig in jede Seitenstraße, die sie passierten.
Asher beobachtete ihre Unbeschwertheit aus dem Augenwinkel heraus. Sie sog dieses kranke Leben in dieser kranken Stadt in sich auf, wie ein Kleinkind die Welt erkundet, nachdem es laufen gelernt hatte. Er verstand sie nur allzu gut. Er selbst fühlte sich gefangen hier, mit dem Unterschied, dass ihm die ganze Stadt wie ein Gefängnis vorkam. Nur einmal wollte er ganz sorgenfrei und unbeschwert durch die Straßen gehen, ohne sich umschauen zu müssen, die Gefahr immer im Nacken. Er fühlte sich hier draußen wie ein Tier im Zoo, das beobachtet wird. Corvins Augen und Ohren waren einfach überall.
Sie bogen in eine schmale Gasse. Die Fenster der Häuser waren hier eingeschmissen und vom Inneren schaute ihnen eine schwarze Leere entgegen. Cats Schritte wurden schneller.
Sie holte den Meter Abstand von Asher ein und lächelte ihn beklommen an, als er sie besorgt ansah. Nach gut dreißig Metern drang ihnen mit einer Windböe ein süßlicher Geruch in die Nase. Es war ein alter, herber Geruch. Der Geruch nach Tod und Verwesung, waberte aus den kaputten Fenstern.
Die beiden sahen sich erneut an. Ihre Blicke reichten, um sich gegenseitig zu symbolisieren, dass sie nicht wissen wollten, was dort in den scheinbar verlassenen Häusern lag.
Sie gingen so schnell, dass sie beinahe liefen.
Diese Stadt war ein stinkender Moloch. Die Krankheit Mensch hatte sie vollständig eingenommen und pflasterte ihre Straßen mit Leichen und Dreck.
Wenn man es nicht schon so sehr gewohnt war, man hätte einfach nur weinen können. Stunden und Tage einfach nur in einer dunkeln Ecke hocken und trauern und weinen.
Während sie gingen dachte Asher über Cat nach. Über das was ihr passiert war, auch wenn er darüber eigentlich nicht viel wusste. Er und Ave konnten nur vermuten. Und darüber, dass er allgemein über diese Junge Frau nicht viel wusste.
„Wo kommst du eigentlich her?“ fragte er vorsichtig.
Cat sie ihn kurz ein wenig überrascht an. „Aus dieser Stadt hier, einem Vorort im Norden.“
Asher überlegte, wie weit er sich vortrauen sollte. „Bist du mit deinen Eltern aufgewachsen?“
„Mit meiner Mutter und meinem Bruder“, begann sie.
„Mein Vater starb als ich ganz klein war, ich kann mich kaum an ihn erinnern.“
„Und dein Bruder?“, fragte Asher.
Sie zuckte mit den Schultern.
„Er verschwand als ich Fünfzehn war. Ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist“.
„Hast du nie versucht ihn zu finden?“, wollte Asher wissen.
Cat überlegte einen Moment. „Nein. Er war immer ein schwieriger Mensch. Ich hatte keine sehr enge Bindung zu ihm. Vielleicht weil er nur mein älterer Halbbruder war.“
Asher war erschüttert. So wie es sich anhörte, hatte Cat es wohl nie leicht in ihrem Leben gehabt. Nicht mal eine unbeschwerte Kindheit war ihr vergönnt.
Er wusste nur wenig von ihr und doch ahnte er, dass da  noch viel mehr Dunkles in ihrer Vergangenheit verborgen war. Eines Tages, so hoffte er, würde sie sich öffnen und ihm alles erzählen.

Ein paar Blocks weiter erreichten sie einen kleinen Laden.
Von außen kam man nicht einfach hinein. Nur der Kassierer konnte ihnen von innen die Tür öffnen, so wie zu früheren Zeiten es höchstens bei einem Juwelier war.
Sie traten ein, in einen aufgeräumten kleinen Lebensmittelladen. Asher begann sofort  eine Reihe nach der Nächsten abzugehen und sammelte alles Nötige ein, um die nächsten zwei Wochen gut über die Runden zu kommen. Cat lächelte, als sie ihn ganz vertieft in seine Einkaufsliste dort vor den Regalen stehen sah. Er passte nicht in so einen Laden und dennoch hatte diese Szene etwas so Ruhiges und Normales, dass man das Chaos vor der Tür einfach mal vergessen konnte. Sie schlenderte durch die Regale, erkannte hier und dort einige Produkte, die sie früher gern gegessen hatte. Sie hatte eine Menge vermisst. Als ihr die Preise ins Auge fielen, erschrak sie fast.  Sie hatte seit über zwei Jahren nichts mehr gekauft. Die Preise hatten sich fast verdreifacht.
Asher stand plötzlich hinter ihr. Als könnte er ihre Gedanken lesen sagte er: „Alles was in die Stadt geliefert wird, also so ziemlich alle Produkte, die man zum Leben braucht, werden von Corvins Leuten kontrolliert. Die LKWs werden gestoppt, auf Sicherheitslücken überprüft und müssen eine Art Steuer an Corvin zahlen. Damit die Firmen das Geld wieder reinbekommen, verkaufen Sie die Waren an die Händler teurer und damit die Händler dieses Geld wiederum hereinbekommen, müssen sie es uns noch teurer verkaufen.“
Cat nickte. Wie hätte es auch anders sein können. Sie dachte an all die Menschen, die nicht für Corvin arbeiteten und auch noch in einer ähnlichen Position wie Ave waren, um ganz gut situiert zu sein. Alles war ein ewiger Teufelskreis geworden.
„Möchtest du irgendwas Besonderes haben?“, riss Asher Cat aus den Gedanken. Sie fühlte sich wie ertappt. Sie hatte so lange auf so vieles verzichten müssen, sie hätte Unmengen an Essen aus diesem Laden schleppen können, aber der Gedanke an die, die sich das nicht leisten konnten, hielten sie zurück.
Asher bemerkte das sofort. Er beugte sich zu ihr hinunter. „Cat, du brauchst nicht bescheiden sein. Du hast alles Recht darauf, wieder richtig zu leben und das fängt bei guten Essen an.“ Er grinste schief.
„Du gehörst quasi zur Familie, also mach dir um das Geld keine Gedanken. Also, was willst du haben?“ Sie seufzte. Asher war so bemüht, dass es sie immer wieder aufs Neue rührte. Langsam schlich sie an den Regalen vorbei, dicht gefolgt von ihrem Begleiter. Es landeten ein Glas Erdnussbutter, Bananen und eine Tafel Schokolade in Ashers Korb.
Er schmunzelte, als er ihren kleinen Raubzug beobachtete. Als nichts mehr folgte bezahlten sie und verließen mit der Beute den Laden.
Jetzt war Asher noch mehr auf der Hut. Die Preise machten Lebensmittel zu einem sehr wertvollen Gut. Die, die sich kaum etwas leisten konnten, taten alles, um zu überleben.
Die beiden waren erleichtert, als sie endlich ohne Zwischenfälle die Wohnungstür hinter sich schlossen.
Cat war zufrieden.
Sie hatte einen Eindruck davon bekommen, wie sich Corvins Einfluss in den letzten zwei Jahren auf die Stadt entwickelt hatte. Hatte sich theoretisch frei bewegen können und ist mit Asher wieder sicher in ihrem zu Hause angekommen.
Sie half ihm die Sachen in der Küche zu verstauen und ließ sich zufrieden auf einem der Küchenstühle fallen. Vor ihr das Glas Erdnussbutter.
Asher grinste, als er ihr einen kleinen Löffel reichte. Er setzte sich ihr gegenüber und beobachtete amüsiert, wie vorsichtig sie den Schraubverschluss öffnete und ehrfürchtig die Silberfolie vom Glasrand abzog.
Sie schnupperte an der karamellfarbenen Masse. Erinnerungen hüllten Sie ein. Sie fühlte sich wieder wie das kleine Mädchen, das ungeduldig neben ihrer Mutter stand, bis diese ihr eine Scheibe Brot mit Erdnussbutter geschmiert hatte.
Sie nahm einen Löffel voll und probierte andächtig.
Sie schloss die Augen, ließ sich an die Lehne sinken und grinste. „Gott sei Dank, dass sich daran nichts geändert hat“, lachte sie und steckte Asher mit ihrer Ausgelassenheit an.

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Kommentare zu diesem Text


 TrekanBelluvitsh (28.06.14)
Eine gelungene traurige Beschreibung der Außenwelt, die durch den zärtlichen Umgang von Asher und Cat konterkariert wird. Dazu trotz des düsteren Hintergrunds mit leichter Hand geschrieben. Jenseits der Geschichte vermittelt der Text gut, was wichtig ist im Leben und offenbart die versierte Erzählerin. Auf gewisse Weise der bisher beste Teil deiner Geschichte.
(Kommentar korrigiert am 28.06.2014)
DocHerb (44)
(05.02.16)
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