Teil 21

Roman

von  AnastasiaCeléste

Zurück in der Stadt machte Ave an einem kleinen Kiosk halt. Aus Gewohnheit stellte er den Wagen nicht direkt vor dem Laden ab, sondern in einer kleinen Nebenstraße, um nicht sofort aufzufallen. Es waren keine fünfzig Meter zu Fuß zum dem kleinen Laden. Eine kurze Distanz, die jedoch reichte, um Ave in Alarmbereitschaft zu versetzen. Er spürte dieses Kitzeln im Nacken, wie wenn man beobachtet wurde. Vielleicht war es Einbildung, weil er außerhalb der Stadt recht entspannt war. Aber Ave nahm lieber jedes merkwürdige Gefühl ernst. Das sonderbare Kitzeln wechselte sich ab, mit dem leichten Brennen, dass die kleine Wunde in seinem Nacken verursachte.
Es war nicht das erste Mal, dass er sich beobachtet fühlte in letzter Zeit. Eine Weile nachdem die Bürger per Plakate aufgefordert wurden, sich chippen zu lassen, fing es an. In unregelmäßigen Abständen, aber mit der Zeit immer öfter, hätte Ave schören können, dass ihn jemand aus kurzer Entfernung beobachtete. Nie ist etwas passiert, aber das ungute Gefühl reichte ihm. Ohne sich etwas anmerken zu lassen und mit wachen Sinnen, legte er das letzte Stück zum Kiosk zurück. Mit einem Vorrat an Zigaretten, die er in seinen Taschen verstaut hatte,  machte er sich Minuten später wieder auf den Weg zu seinem Auto. Dasselbe Kribbeln im Nacken, wieder passierte nichts.
Als Ave den Heimweg antrat dachte er über diese Situation nach. Er hatte die Vermutung, dass es einfache Menschen waren, die neugierig waren, wie er sich verhielt, seit das Gerücht umging, dass er neuerdings vermehrt Aufträge von Corvin nicht ganz so ausführte, wie er wohl sollte. Vielleicht hatten die Menschen Hoffnung geschöpft, dass er etwas anstoßen würde.
Wie lange würde es wohl noch dauern, bis sein Boss von diesem Gerücht Wind bekam? Es war ein einzige Katz und Maus Spiel, dass er mehr als leid war.
Er Zog sein silbernes Feuerzeug aus der Manteltasche und ging seinem Laster nach. Diese Glimmstängel waren reine Nervennahrung. Asher bemerkte in regelmäßigen Abständen, dass er viel zu viel raucht und dass er nicht gewillt sei, ihn in diesen Zeiten aufgrund von Lungenkrebs zu beerdigen. Wahrscheinlich erschien ihm berufsbedingt eine Kugel im Kopf oder im Herzen passender. Ave musste Schmunzeln, als er an seinen kleinen Bruder dachte, wie er so vor ihm stand und meckerte. Das waren wenigstens normale Situationen in seinem Leben.

Cat war die erste, die Ave in der Wohnung zu Gesicht bekam. Die junge Frau, begrüßte ihn wie immer, doch ihr Ton verriet, dass sie seine Veränderung gespürt hatte.
Sie blieb mitten im Flur mit ihrer Kaffeetasche in der Hand stehen und sah ihn forschend an.
Ave beantwortete die stumme Frage mit einem kurzen Nicken. Ave marschierte ins Wohnzimmer gefolgt von Cat. Erst als sie sich beide auf den Sofas niedergelassen hatten wurde Ave etwas gesprächiger. „Der Mistkerl hat gegrinst wie ein Honigkuchenpferd, als mir das Ding verpasst wurde“, berichtete er aufgebracht.
Cat wusste nicht was sie sagen sollte, oder ob es klüger war, Ave in seiner Wut einfach nur reden zu lassen.
„Jetzt wo ich das Ding habe, scheint mir alles sinnlos zu sein. Wie soll ich hinter seinem Rücken etwas ausrichten, wenn er jeden meiner Schritte beobachten kann?“ Cat biss sich zaghaft auf die Unterlippe und überlegte einen Moment. „Sinnlos war es mit Sicherheit nicht, Ave. Schließlich konntest du einige Menschen warnen. Und ich bin mir auch ziemlich sicher, dass dir eine Lösung einfallen wird.“ Ave seufzte schwer und ließ sich zurück aufs Sofa fallen. „Corvin kann jede unnatürliche, größere Zusammenkunft verfolgen. Bevor wir irgendetwas anfangen könnten, hat er uns schon ausgeschaltet.“
Asher tauchte plötzlich auf und betrachtete das Szenario. „Du bist jetzt also gechippt“, stellte er trocken fest. „Wie lange wird’s wohl noch dauern, bis Cat und ich keinen Fuß mehr vor die Tür setzen können, ohne Einen?“ fragte er nachdenklich und nahm neben der jungen Frau Platz.
Ave schüttelte den Kopf. „Keine Ahnung, ich bin genauso planlos wie ihr“, gab Ave resigniert zu.
Eine Weile herrschte Schweigen.
„Ich war heut zuhause“, erklärte Ave leise mit dem Blick auf den Fußboden gerichtet. Asher sah ihn überrascht an. „Ich brauchte meine Ruhe und Zeit zum Nachdenken. Ich bin einfach losgefahren und fand mich plötzlich auf unserer Terrasse wieder.“ Er sah seinen jüngeren Bruder an. „Der Garten gleicht mittlerweile einem Dschungel“, fügte er hinzu und brachte ein leichtes Lächeln hervor.
„Schade“, sagte Asher in Gedanken versunken. „Mom würde ausrasten, wenn sie Ihn so sehen würde“, sein winziges Lächeln erstarb in einem bitteren Ausdruck.
Cat hielt sich im Hintergrund. Sie lauschte dem bedrückten Gespräch der Brüder, wohlwissend dass deren Eltern umgebracht wurden.

Den Rest des Tages herrschte eine gedrückte Stimmung. Ave hatte sich in seinem Zimmer eingeschlossen. Das dumpfe Geräusch lauter Musik erfüllte die Wohnung, was aber niemanden wirklich störte. Jeder hing seinen Gedanken nach. Cat wusch gerade das Geschirr der letzten zwei Tage ab. Sie half den Brüdern so gut sie konnte. Sie schmiss den Haushalt, bügelte ihre Sachen und freute sich jedes Mal darüber, wenn Asher seine Hilfe anbot. Was er, genaugenommen, fast immer tat, wenn er Cat etwas im Haushalt tuen sah.
Cat fühlte sich als Gast und somit wollte sie den Brüdern für ihre Gastfreundschaft etwas zurückgeben. Asher hingegen erwartete nicht von Ihr, dass sie sich in irgendeiner Weise erkenntlich zeigte. Sie war kein Gast mehr für ihn, vielmehr ein Familienmitglied. Er war sich ehrlich gesagt nicht so sicher, was er für sie empfand. Auf der einen Seite hatte er den Beschützerinstinkt eines großen Bruders, aber andererseits war da mehr. Etwas, dass ihn zu ihr hinzog. Er genoss ihre Nähe, suchte sie förmlich und doch wollte er sie auf keinen Fall bedrängen.
Es gab zu viel, das er noch nicht von ihr wusste, zu viel Dunkles, dass er nur erahnen konnte.
Er hatte eine vage Vorstellung von dem, was ihr in den letzten Jahren widerfahren war. Männer waren mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit ein rotes Tuch für sie. Asher war über jede Geste der Zuneigung ihrerseits glücklich, manchmal sogar überrascht. Aber er konnte sich einfach nicht vorstellen, dass ihr Vertrauen soweit gehen würde.
Cat spürte deutlich, dass Asher ihr sehr zugetan war. Sie fühlte sich geschmeichelt. Sie mochte diesen Kerl, der sie mit seinem Leben verteidigt hätte. Durch und durch nett und hilfsbereit. So ganz anders, als sein verbitterter Bruder, den sie als einen sehr kühlen Mensch kenen gelernt hatte. Sie verbrachte gerne Zeit mit ihm. Doch ihr fehlte der Mut, sich ihm voll und ganz zu öffnen. Sie wusste, dass er ihr nie etwas tun würde. Aber die Wunden waren zu tief, das Vertrauen noch nicht wieder gefestigt genug. Liebe hatte in Ihrer Welt einen bitteren Beigeschmack bekommen. Wie konnte sie jemals wieder größere Gefühle für jemanden entwickeln, wenn kranke Liebe sie beinahe umgebracht hätte?
Cat war den Brüdern so dankbar, dass Sie noch hier stand, dass Sie sie in dieser Nacht nicht dort liegen lassen haben, wie Müll. Und Ian natürlich, der Junge Arzt, der entgegen Corvins Plänen im Untergrund Leben rettete. Es war schon Wochen her, seit sie Ihn das letzte Mal gesehen hat. Sie kam nicht oft raus. Es gab Tage, an denen es ihr zuwider war, dass sie kaum aus der Wohnung kam. Aber am nächsten Tag holte Sie wieder die Angst ein, sich draußen aufzuhalten, erkannt zu werden von Corvins Spitzeln. Wusste Corvin überhaupt, dass Sie noch am Leben war? Wenn er es gewollt hätte, hätte er sie nicht eigenhändig umgebracht? Hatte er seinen Gorillas den Auftrag gegeben, sie wegzuschaffen und zu töten?
Und wenn ja, haben Sie es versaut? Dachten Sie sie wäre tot, als sie sie haben liegen lassen, oder wollten Sie gar nicht umbringen? Oder wollte Corvin gar nicht, dass sie starb, nur einen gehörigen Denkzettel bekommt?
Tausende solcher Fragen schlichen durch Cats Gedanken, besonders abends, wenn sie allein in ihrem Bett lag und zur Ruhe kam. Insgeheim dachte sie die Antwort zu kennen. Manchmal meinte sie, diesen Mann zu kennen, der ihr all das angetan hat und zu wissen, dass er sie bewusst nicht töten wollte. Sie war sein Spielzeug, aber auf eine andere Art als all diese anderen Mädchen. Ihre Verbindung war etwas völlig anderes. Dieser Kerl betitelte es als Liebe, was er ihr entgegenbrachte. Angeblich Liebe war es, die ihn dazu brachte, sie jahrelang in einen Raum einzusperren, wie in einem Gefängnis. Liebe, aus der er sie geschlagen, misshandelt und vergewaltigt hatte, immer und immer wieder. Liebe, mit der er sie bedroht hat, mit der er ihr gesagt hatte, er würde sie töten, wenn Sie ihm nicht hörig wurde.
Cat hätte alles dafür gegeben, zu vergessen. Sie wollte ihr neues Leben nicht mit Erinnerungen vergeuden. Ein vergeblicher Wunsch. Die Bilder und Gedanken waren wie eine Flamme, die immer wieder aufhellte. Von einer Glut zu einem Feuersturm, unberechenbar und unabwendbar.
Wenn es nachts in ihrem dunklen Zimmer mit den Gedanken ganz schlimm wurde, ertappte sie sich manchmal bei dem Gedanken, an Corvins Goldstaub. Diese zerstörerische Droge, die ihr oft genug durch die Venen geschossen ist. Da sie von allein nicht gefügig wurde, sorgte Corvin dafür. Allzu oft hatte er ihr großzügige Dosen des reinen Stoffes injizierte und sah dann befriedigt dabei zu, wie Cat in Vergessen versank. Ein Zustand, der einerseits erschreckte aber andererseits göttlich war. Ein sanfter Schleier, der sich über das Leben legte und es weich und zart machte, ohne Ecken und Kanten. Cat hatte in diesem Zustand nicht mehr viel davon mitbekommen, was Corvin oder andere mit ihr taten. Sie erinnerte sich daran, wie er manchmal neben ihr auf dem Bett saß, nachdem er ihr gerade einen Schuss verpasst hat, und ihren Kopf gestreichelt hat. Während sie völlig kraftlos vor ihm lag, unfähig etwas zu sagen oder sich zu bewegen. Eine groteske Szene, die ihr bei dem Gedanken daran einen kalten Schauer über den Rücken jagte.
Es gab nie sonderlich lange Phasen, in denen sie völlig klar war. Corvin sorgte für einen recht dauerhaften Schwebezustand. Cat war wirklich überrascht darüber, dass ihr Körper nach so langer Zeit, so gut mit dem Entzug klargekommen ist. Die anfängliche Nervosität und das Zittern konnte sie ganz gut verstecken. Nur Ave schien etwas bemerkt zu haben, schwieg aber, wenn er sie mit einem Blick bedachte, der ihr zu verstehen gab, dass er ihr Problem gut kannte.
Manchmal wünschte sie sich nur einen winzig kleinen Schuss, um zur Ruhe zu kommen und allem zu entfliehen. Ein dummer Gedanke, den sie jedes Mal sofort bereute.
Aber nicht nur die Erinnerung an die Vergangenheit machte ihr Angst. Auch die ungewisse Zukunft. Wer konnte schon ahnen, wohin das alles führte. Aves kleine Rebellion. Corvins Wahnsinn. Ihre eigenen Geheimnisse.
Was würde passieren, wenn ihre Lebensretter erfahren, was sie weiß. Wäre sie dann bei ihnen noch sicher? Bei Asher machte sie sich keine Gedanken. Was Ave anging war sie sich nicht so sicher.

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Kommentare zu diesem Text


 TrekanBelluvitsh (15.08.14)
Jetzt bringst du auch noch eine persönliche Note in den - noch heimlichen - Kampf.
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