Die Filzlaus

Kurzprosa zum Thema Unverständnis

von  eiskimo

„Wehe, du verrätst einem Fremden noch einmal, dass du Deutscher bist!“  Meine Frau meinte es ernst mit ihrer Drohung, denn der Typ, der uns beim Picknick im Schatten der Abteikirche von Cluny zugetextet hatte, der war erst so richtig in Fahrt gekommen, nachdem ich mich als Landsmann geoutet hatte.
Vorher war er in kümmerlichem Französisch an uns heran getreten und wollte wissen, ob wir in diesem Wallfahrtsort nicht eine Boulangerie kennten.
„Non!“ sagten wir kurz angebunden, worauf er um das E-Bike meiner Frau herumschlich, dann anerkennend nickte und es als „ah, fabrikation allemande! Très bon!“ identifizierte.
Wir hatten wenig Lust auf Konversation und naschten konzentriert an unserem Picknick. Das hielt den Herren aber nicht davon ab, in seinem Rest-Französisch uns die „süper advantages“ der nahezu geräuschlosen Tretkraft-Unterstützung bei Elektrofahrrädern darzulegen.
Nun ist das Sujet Fahrrad für mich ein Lieblingsthema – das muss er irgendwie erahnt haben. Jedenfalls reagierte ich, ja, gab ihm die fatale Steilvorlage „Wir sind auch Deutsche...“  weil ich naiv dachte, mit zwei, drei klugen Worten über die Freuden der Elektromobilität und die leider begrenzte Kapazität der Akkus wäre der so zugewandte Landsmann zeitnah zufriedenzustellen.
Aber weit gefehlt. Das Stichwort „Akku“ ließ ihn förmlich auf ganz neue Touren kommen: Dass er nämlich nur noch mit Ersatzakku fahre, seitdem er vor zwei Jahren bei seiner großen Bodensee-Rundfahrt schmählich liegen geblieben sei – sehr zur Belustigung der mit ihm Gestarteten; aber daraus habe er gelernt, und innerhalb Nürnbergs fahre er nur noch mit seinem E-Bike, aber – indem er wieder mit Kennermiene um unser E-Bike herum schlich: „Ihr Modell ist da schon etwas Besseres! War sicher auch verdammt teuer...“
Meine Frau, die neben mir schon fühlbar ungnädig geworden war, überhörte diesen Lockruf und rührte stumm in ihrem Joghurt-Becher. Mit jeder Faser ihres Körpers drückte sie aus: nein, in diesem historisch so reichen Cluny mochte sie alles andere als weitere Histörchen dieses zugelaufenen Herren hören.
Der verstand aber ihre demonstrative Weggewandtheit falsch, denn nun versuchte er es forsch mit einem neuen Thema: Wo wir denn untergebracht wären in diesem „ja nicht ganz billigen Frankreich“. Er selbst habe das Hotel Ibis genommen, wüsste aber noch nicht, ob er sich da noch eine Nacht antun sollte. „Preis-Leistung is okay, aber das Frühstück – nee, als Deutsche sind wir da ja etwas verwöhnt, gell.“
Diesmal folgte ich der abweisenden Linie meiner Frau und reagierte nicht. Vielmehr konzentrierte ich mich auf das Innenleben meines Joghurt-Bechers in der Hoffnung, dass dieser Mann einfach von uns abließe.
Aber da entdeckte der neben mir auf der Bank meine Kamera. „Eine Fuji!“ jubelte er. „Die sieht man ja verdammt selten. Dabei hat Fuji diesen hypersensiblen Sensor entwickelt speziell für schlechte Lichtverhältnisse ...“
Fotoapparate - wieder eine Schwachstelle von mir, denn ich ließ mich prompt zu einer kurzen Replik verleiten, einfach, weil ich gerne fotografiere und  mit meiner Fuji richtig gut klar komme. „Hat sich auf unseren Touren sehr bewährt,“ war mein Kurztext, worauf dieser so kontaktfreudige Landsmann begeistert auf das Stichwort „Touren“ ansprang.
„Man kann hier ja tolle Touren machen,“ eröffnete er ein neues Kapitel. „Die Loire, Burgund … überall so viel zu sehen!“
Meine Frau war neben mir inzwischen zu einer Figur aus Eis erstarrt, und ich wusste, dass jedes weitere Eingehen auf unseren Gegenüber Ärger bedeuten würde. Also schwieg ich eisern und packte in Aufbruch signalisierender Geschäftigkeit meine Fuji-Kamera weg.
„Wir müssen dann auch mal,“ verkündete meine Frau in das unangenehme Schweigen hinein. „Wir haben ja noch viele Kilometer zu strampeln.“  Dass da noch die Thermoskanne mit dem uns so wichtigen Kaffee wartete, verschwieg sie wohlweislich.
Dummerweise habe ich dann – einem natürlichem Drang folgend – laut erklärt: „Ich muss aber noch mal aufs Klo.“ und wollte in Richtung „WC public“ hin entschwinden. Kurze Panik bei meiner Frau, die sich da schutzlos in deutschtümelnder Gesellschaft wähnte
Aber was sagte unser neuer Freund? „Ach, da muss ich auch hin!“
Und so gingen wir zu zweit. Ich erfuhr auf den 200 Metern „hin“ alles über seine vorzeitig beendete Karriere als Graphiker bei „Holger Dingenskirchen & Co“, und auf den 200 Metern „Retour“ - na klar, er blieb mir treu auf den Fersen! - alles über die Freuden eines „unabhängigen Lebens“, das er jetzt in vollen Zügen genösse. „Mir sagt keiner mehr, was ich zu tun oder zu lassen habe,“  beschied er mich, wie um noch einen pädagogisch besonders wertvollen Schlusspunkt zu setzen.
Ich musste dann meine Frau suchen, denn die hatte in Windeseile unsere Picknick-Sachen an den Rädern verstaut und beide schon etwas weiter weg geschoben, ganz an den Rand der Grünanlage. Da wartete sie, und erst als ich Jochen ausführlich Tschüss gesagt hatte, und er in Richtung Autoparkplatz entschwunden war, da kam sie aus der Deckung. Prompt bekam ich von ihr diesen „wenn-du-jemals-nochmal-mit-mir-picknicken-Satz“ ins Gewissen geschrieben, dieses bereits erwähnte „Wehe, du verrätst einem Fremden noch einmal, dass du Deutscher bist….“

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Kommentare zu diesem Text

Agnete (66)
(03.09.21)
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 eiskimo meinte dazu am 03.09.21:
Sagt meine Frau auch...
Danke!
LG
Eiskimo

 AchterZwerg (04.09.21)
Zeigt für mich etwas Überlänge, die andererseits gut zur Geschwätzigkeit des ungebetenen Landsmannes passt.
Das Ende finde ich sehr gelungen: Man duzt sich trotz anfänglicher Skepzis, was bei mir humoristisch-selbstkritisch ankommt.

Liebe Grüße
der8.

 eiskimo antwortete darauf am 04.09.21:
Danke! Mein Verhältnis zu diesem Jochen war letztlich etwas zwiespältig. Da waren ja positive Berührungspunkte; und allein unterwegs hätte ich sicher (noch) mehr Zeit mit ihm verbracht.
Sorry für die Überlänge. Dabei habe ich noch etliches weggelassen. Dass er die Franzosen für faul hält, weil er das Hotelpersonal beim Rauchen im Hof beobachtet hatte, dass die Franzosen sich auch nicht an die Covid-Auflagen halten (siehe Hotelpersonal) usw....
c´est la vie....
Eiskimo
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