Schwefelgelb

Anekdote zum Thema Provokation

von  EkkehartMittelberg

Frühjahr 1958. Politische Windstille. Deutschland arbeitete unverdrossen und das Wirtschaftswunder hatte Schwung aufgenommen.

Jugendproteste. Wie bitte, was?

Bis es in der Essener Gruga-Halle ein Rockkonzert gab, in dem endlich auch Bill Haley himself mit „Rock around the clock“ Deutschlands Jugend einheizte. Es wurden einige Bänke aus der Verankerung gerissen und die Provinzpresse (Etwas anderes lasen wir braven Schüler damals nicht) reagierte fassungslos.
Das war ein Signal für uns, erste Tastversuche in Richtung Protest zu machen. Wir warfen uns in die damals modernen schwarzen Röhrenhosen, nagelten klackende Eisen unter unsere Absätze, versuchten unsere braven Scheitel in einen Bebop umzuwandeln und kauften bei Woolworth einen Klassensatz schwefelgelber Schlipse.
Die ersten Lehrer schauten verärgert missbilligend, und einer murmelte sich „Geschmacksverirrung“ in den Bart. Mit viel mehr pädagogischer Entrüstung hatten wir nicht gerechnet. Wir waren ja so bescheiden.
Und dann kam unser geliebter Deutschlehrer und der reagierte zu unserem Frust überhaupt nicht.
Doch am anderen Tag erschien er mit genau der schwefelgelben Krawatte wie wir. Wir starrten ihn verdutzt an:
„Nun leuchten wir schön uniformiert, meine Herren. Ich war schon immer für eine Schuluniform. Na ja, ich habe Ihnen von Sartre „Das Spiel ist aus“ mitgebracht. Nun können Sie ja mal zeigen, dass nicht nur Ihre Krawatten leuchten.“

Am nächsten Tag blieben die schwefelgelben Schlipse im Schrank. Sie waren eh unbequemer als die schmiegsamen Nicki-Pullover, die man damals trug.

Juni 2013





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Kommentare zu diesem Text


 Aron Manfeld (16.09.23, 14:25)
Hätte die Zeit damals nicht stehenbleiben können, werter Freund?

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 16.09.23 um 14:37:
Dann hätte ich dich nicht kennengelernt, Amigo.

 AchterZwerg (16.09.23, 16:27)
Lieber Ekki,
ich denke bei Schwefelgelb immer an unsere armen Polizisten, die jahrzehntelang in dieser grauenvollen Farbe herumlaufen mussten.
Obwohl sie doch fatal an SA-Uniformen erinnerte ...

Herzliche Grüße
Piccola

 EkkehartMittelberg antwortete darauf am 16.09.23 um 16:33:
Grazie, Piccola,

die Farbe würde besser zu Sträflingen passen.

Herzliche Grüße
Ekki

 Graeculus (17.09.23, 00:01)
An die schwefelgelbe Mode kann ich mich nicht erinnern - zum Glück. An Bill Haley schon.
Ein paar Jahre später haben Jerry Lee Lewis im Hamburger Star Club und die Rolling Stones in der Berliner Waldbühne ihre Spuren beim Mobiliar hinterlassen. Eigentlich alles unpolitisch, aber auf die Aufsässigkeit kam es an - gegen die autoritäre Struktur der 50er Jahre.
Wenn es einen modischen Ausdruck dafür gab, dann waren es die langen Haare ... bei Jungen.
(Die, welche kulturell die Nase höher trugen, favorisierten Free Jazz.)
Was haben eigentlich die Mädchen damals gemacht? Miniröcke getragen und bei Rock-Konzerten unerträglich gekreischt, meiner Erinnerung nach.

Kommentar geändert am 17.09.2023 um 00:02 Uhr

 EkkehartMittelberg schrieb daraufhin am 17.09.23 um 00:56:
Merci Graeculus,

eine schwefelgelbe Mode hat es damals nicht gegeben. Es war eine Idee meiner Klasse, um unsere Lehrer zu provozieren.
Wir trugen die Haare mit unserem Bebop noch kurz. Du hast sie etwas später lang erlebt. Kurz oder lang- der gerade herrschende Trend musste gebrochen werden.
Ich habe die Mädchen der Fünfziger Jahre als sehr unterschiedlich, also als individuell, in Erinnerung. Aber wenn sie zu Rockkonzerten gingen, kreischten sie, wie du schreibst.

 Graeculus äußerte darauf am 17.09.23 um 11:36:
Dieses Kreischen war ganz auffallend. Die Beatles haben ja deswegen aufgehört, Konzerte zu geben. Offenbar aber auch nur eine Mode, denn nach einigen Jahren war man wieder bereit, der Musik zuzuhören.

 Saira (17.09.23, 08:42)
Moin lieber Ekki,

deine Anekdote bringt gute Laune :D

Herzliche Grüße
Sigi


 EkkehartMittelberg ergänzte dazu am 17.09.23 um 09:25:
Grazie für das schöne Geschenk, Sigi. Wir haben auf Hausbällen nach "Rock around the clock" so manches Parkett verschrammelt.
Herzliche Grüße
Ekki

 plotzn (17.09.23, 10:00)
Servus Ekki,

solche Lehrer mit "natürlicher" Autorität gibt es leider zu selten.

Gelb ist an und für sich eine schöne Farbe, aber schwefelgelb kommt hoffentlich nicht wieder in Mode...

Herzliche Grüße
Stefan

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 17.09.23 um 10:10:
Vielen Dank, Stefan.
Die Autorität des Lehrers, von dem ich berichte, war so groß, dass er nicht ein einziges Mal. mit uns geschimpft hat.
Kurze, geistreiche Bemerkungen reichten, uns zu leiten.

Herzliche Grüße
Ekki

 AZU20 (17.09.23, 14:40)
Solche Erinnerugen prägen. LG

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 17.09.23 um 16:42:
Merci, Armin, das stimmt. Ich trage keine schwefelgelben Krawatten mehr. :)

LG
Ekki
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