malochen

Gedicht zum Thema Erinnerung

von  Tula

kurz nach Sonnenaufgang
wenn im hereinbrechenden Licht der Staub der Halle
sein unergründliches Menetekel verkündete
erkannte trotzdem jeder gleich den allgegenwärtigen Feind –
die Uhr über dem Portal

drakonisch wachten ihre Zeiger über
die Erfüllung unserer Pläne, ein erstickender Dunst
in dem jeder ein Monster zu zähmen hatte, funken-speiend
die einen, Meißelzahn-knirschend die anderen
und in der Stanzerei nebenan nahmen sie es offenbar sogar
mit Kerberos‘ Hunden auf

dennoch blieben wir allzeit unversehrt unter der Rüstung
des blauen Kittels, tanzten im Innern auf den Wellen
neuer deutscher Folklore oder vibrierten bei jedem Schlag
der Schwermetalle, im Schlamm der Späne flossen dabei stets
Träume von einem Sabinchen

endlich fehlte schon wieder
irgendein Rädchen im großen Getriebe
Zeit für eine Kippe und den Witz des Tages

ach, wir Helden der Arbeit!


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Kommentare zu diesem Text


 BeBa (08.10.23, 01:43)

endlich fehlte schon wieder
irgendein Rädchen im großen Getriebe
Zeit für eine Kippe und den Witz des Tages

ach, wir Helden der Arbeit!
Oh ja, daran erinnern wir uns gerne!  :)

 Tula meinte dazu am 08.10.23 um 10:09:
Moin BeBa
Die Witze waren doch vom Feinsten und machten auch den grauesten Arbeitstag zu einem Erlebnis  8-)

LG
Tula

 AchterZwerg (08.10.23, 07:43)
Lieber Tula,

ich hoffe doch sehr, dass du zu den Glücklichen gehörst, die den Orden tatsächlich vorweisen können (bei BeBa bin ich mir nicht so sicher ... *hüstel).
Eigenartig: Immer sind es die kleinen Fluchten, die ein Lächeln auf unsere Lippen zaubern. -

Das Gedicht ist schon deswegen gut, weil menetekel darin vorkommt. :)

Herzlichst
der8.

 Tula antwortete darauf am 08.10.23 um 10:15:
Moin 8er
Den Orden bekam ich ungerechterweise nie! Wahrscheinlich weil ich den einen oder anderen Bohrer oder Fräser auf dem Gewissen hatte, zwei solcher zerbrochenen Werkzeuge ruhen daheim in meiner alten Heldenkammer zur Erinnerung noch immer im Regal  :)

LG
Tula

 Létranger (08.10.23, 08:45)
Für mein Gefühl würde es im Präsenz noch wesentlich stärker wirken.
So wirkt es etwas zu sehr nach Historie, als ob es mich nicht beträfe ....

 FrankReich schrieb daraufhin am 08.10.23 um 09:16:
Held der Arbeit war eine staatliche Auszeichnung der Deutschen Demokratischen Republik, welche in Form eines Ehrentitels mit Urkunde und einer tragbaren Medaille verliehen wurde. Gestiftet wurde der Titel am 19. April 1950. Seine Verleihung war auf 50 Auszeichnungen pro Jahr begrenzt.  Wikipedia

👋🙂

Ciao, Frank

 Tula äußerte darauf am 08.10.23 um 10:20:
Moin Lé
Nun ja, es ist in der Tat ein Teil der Geschichte, meiner und überhaupt, während meiner Lehrzeit und in den Monaten danach bis zum Antritt der Armeezeit war ich fleißiger Produktionsarbeiter. Zu wahrem Heldentum gereichte es nicht, aber immerhin ... Malochen ist ja auch so ein Wort aus jenen Tagen, weiß gar nicht wie geläufig das heute ist.

LG
Tula

 Tula ergänzte dazu am 08.10.23 um 10:30:
Hallo Frank
Danke für deine Information, dem Ossi ist der hier ironisch benutzte Begriff natürlich bis heute geläufig, dem Wessi nicht unbedingt. 
Dennoch ohne Zweifel, es wurde hart gearbeitet, so ein Tag an einer Werkzeugmaschine o.ä. ist durchaus eine körperliche und seelische Herausforderung, vor allem wenn man sich noch nicht daran gewöhnt hat und nur Flausen im Kopf hat 

LG
Tula

 FrankReich meinte dazu am 08.10.23 um 10:43:
Hi Tula,

nach über dreißig Jahren Einheit sollte auch einem Wessi der Begriff "Held der Arbeit" in all seinen Facetten bekannt sein, es sei denn, er lebt als Eremit. 🤔

Ciao, Frank

 Tula meinte dazu am 08.10.23 um 11:06:
Hallo Frank
In der Tat war auch das Teil eines Kultes und weniger die Wertschätzung persönlicher Leistung. Die Kehrseite dieser Medaille waren die Straßen der Besten, auf welchen (als Wandzeitung) jeder mal stehen durfte.
Nichtsdestotrotz, es wurde hart gearbeitet. Mein einmaliger Besuch in einer Stanzerei zum Beispiel ist mir unvergessen. Ein Höllenlärm, den ich mir als tägliche Arbeitsbedingung kaum vorstellen konnte.

LG
Tula

 Oops (08.10.23, 10:15)
Bezugnehmend auf deine letzten Zeilen weiss ich von anderen Erzählungen:
Es fehlte immer irgendetwas sodas nicht weiter gearbeitet werden konnte und die Planerfüllung in Frage stellte. Ich weiss z.b. von einem Maurer der sich das erste Mal auf einer Baustelle im Westen nach einer Woche doch sehr  wunderte 
mit den Worten : Kommen hier jeden Tag Steine?

LG Opps

 FrankReich meinte dazu am 08.10.23 um 10:33:
Das ist schon eine Anekdote für sich wert. 👋😂

Ciao, Frank

 Tula meinte dazu am 08.10.23 um 10:34:
Moin Oops
In der Tat kam ich nicht zufällig drauf, dass mal wieder irgendetwas fehlte und uns zur Pause 'zwang', war durchaus symptomatisch, mal mehr mal weniger. Das Soll wurde dennoch zum Jahresende hin er- und überfüllt, dafür sorgten die fleißigen Buchhalterinnen  :D

LG
Tula

 Quoth meinte dazu am 08.10.23 um 10:59:
Und gab es nicht außer den Träumen von einem Sabinchen auch noch die leise Befürchtung, das ganze Heldentum der Arbeit werde womöglich verschwendet an ein Produkt, das dann gar nicht mehr gebraucht und eingestampft wird? Oder ist das wieder mal ein überheblicher Wessi-Gedanke?

 Tula meinte dazu am 08.10.23 um 11:13:
Moin Quoth
Gerechtehalber muss ich dich da korrigieren. Ich machte meine Lehre in einem Wälzlagerwerk, welches nicht nur in den Ostblock, sondern auch eine ganze Reihe Länder im westlichen Ausland exportierte.
Der Maschinenpark gemischt, auf manchen war noch das alte Zeichen von Bergmann Borsig zu lesen, andere waen für die damalige Zeit hochmoderne numerisch gesteuerte Maschinen. Wahr ist sogar, dass nach der Übernahme durch eine westliche Firma die besten von ihnen ausgesucht und dann ins Mutterwerk geschickt wurden. 

LG
Tula

 Quoth meinte dazu am 08.10.23 um 11:35:
Dann war es in Deinem Fall ein überheblicher Wessi-Gedanke!  :(

 Beislschmidt (08.10.23, 11:14)
Hey Tula,
Als hätte sich Rilke zum Praktikum in der Schlosserei angemeldet.
Eine interessante Gegenperspektive. Auf der einen Seite die expressionistische Welt der Arbeiterkultur und auf der anderen die emotionale Sprache der Romantik.
Gut gemacht. 
Beislgrüße

 Tula meinte dazu am 08.10.23 um 11:20:
Moin Hans
Freut mich sehr, dass dir der Text gefällt. So war all der Schweiß nicht umsonst  :)

LG
Tula

 Didi.Costaire (08.10.23, 13:21)
Hallo Dirk,

auch ich habe viel über das Malochen nachgedacht, aber es blieb beim Nachdenken. Ach nein, genaugenommen gab es noch etwas anderes...

Malochen im Büro geht bloß zum Teil.
Es fehlen eben Hammer oder Beil
genauso wie der ganze Stahl zum Kochen
und vom Malochen blieb mir nur das Lochen. :ermm:

Weiterhin viel Erfolg mit deinem Gedicht 
und einen geruhsamen Sonntag
wünscht
Dirk

 Tula meinte dazu am 08.10.23 um 14:17:
Hallo Didi-Dirk

Büroarbeit ist in der Tat sehr ungesund. Ansonsten fällt mir noch ein:

Muss der Mensch zu viel malochen,
wird er schlank bis auf die Knochen.
Dies dem Leibe zu ersparen,
gibt es Bier und Süßigwaren.
Soll die Arbeit gar nicht quälen,
lässt man sich in Ämter wählen,
wo sie gern die Akten lochen
oder schnarchen - wie die Rochen.

LG
Tula-Dirk

Antwort geändert am 08.10.2023 um 14:25 Uhr

 GastIltis (08.10.23, 21:10)
Hallo Tula,
was sagen mir die Zeilen? Dass du ein Sabinchen erwähnst. Weißt du, dass es in Prenzlau (Stadt in der Uckermark, für die Wessis) eine Kirche, die einzige im deutschsprachigen Raum, gibt, die Sabinenkirche oder St. Sabinen heißt? Und wofür steht sie? Sie ist Namenspatron oder -patronin gegen Überschwemmungen! Wer weiß, wen wir heute als Bundeskanzler hätten, wenn damals die richtigen Leute davon gewusst und nicht die falschen Gebete gen Rom oder wohin auch immer gesandt hätten?
Sei gegrüßt vom Süßwasser-Fisch Gil.

 Tula meinte dazu am 08.10.23 um 23:00:
Hallo Gil
Nicht, dass die Wahl ein Zufall gewesen wäre. Ich erinnere mich aus dieser Zeit an ein Sabinchen, welches nicht nur niemanden vor Überschwemmungen schützte, sondern gar so manchen jungen Mann in den Fluten heimlicher Leidenschaft bzw. im eigenen Herzblut jämmerlich ersaufen liess. Ich wünsche ihr bis heute aus tiefster Seele alles Gute und Glück der Welt, nur eines nicht, dass sie Bundeskanzlerin wird.

Dankend lieben Gruß
Tula

 plotzn (09.10.23, 10:49)
Servus Tula,

malocht wurde auch in Ruhrgebiet, aber nur bevor ich dorthin gezogen bin Unser Teolien kann davon viel authentischer berichten, wenn seine Auszeit um ist...

Liebe Grüße
Stefan
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