Bücher im Deutschunterricht und Gedanken zum heutigen Leseverhalten

Text

von  Mondscheinsonate

Das 8. Kapitel

Wie Simplicius durch hohe Reden seine Vortrefflichkeit zu erkennen gibt

Einsiedel: Wie heißest du?
Simplicius: Ich heiße Bub.
Eins.: Ich sehe wohl, daß du kein Mägdlein bist, wie hat dir aber dein Vater und Mutter gerufen?
Simpl.: Ich habe keinen Vater oder Mutter gehabt.
Eins.: Wer hat dir denn das Hemd geben?
Simpl.: Ei mein Meuder.
Eins.: Wie heißet' dich denn dein Meuder?
Simpl.: Sie hat mich Bub geheißen, auch Schelm, ungeschickter Tölpel und Galgenvogel.
Eins.: Wer ist denn deiner Mutter Mann gewesen?
Simpl.: Niemand.
Eins.: Bei wem hat denn dein Meuder des Nachts geschlafen?
Simpl.: Bei meinem Knan.
Eins.: Wie hat dich denn dein Knan geheißen?
Simpl.: Er hat mich auch Bub genennet.
Eins.: Wie hieß aber dein Knan?
Simpl.: Er heißt Knan.
Eins.: Wie hat ihm aber dein Meuder gerufen?
Simpl.: Knan, und auch Meister.
Eins.: Hat sie ihn niemals anders genennet?
Simpl.: Ja, sie hat.
Eins.: Wie denn?
Simpl.: Rülp, grober Bengel, volle Sau, und noch wohl anders, wenn sie haderte.
Eins.: Du bist wohl ein unwissender Tropf, daß du weder deiner Eltern noch deinen eignen Namen nicht weißt!
Simpl.: Eia, weißt dus doch auch nicht.
Eins.: Kannst du auch beten?
Simpl.: Nein, unser Ann und mein Meuder haben als das Bett gemacht.
Eins.: Ich frage nicht hiernach, sondern ob du das Vaterunser kannst?
Simpl.: Ja ich.
Eins.: Nun so sprichs denn.
Simpl.: Unser lieber Vater, der du bist Himmel, heiliget werde Nam, zu kommes d'Reich, dein Will scheh Himmel ad Erden, gib uns Schuld, als wir unsern Schuldigern geba, führ uns nicht in kein böß Versucha, sondern erlös uns von dem Reich, und die Kraft, und die Herrlichkeit, in Ewigkeit, Ama.
Eins.: Bist du nie in die Kirchen gangen?
Simpl.: Ja, ich kann wacker steigen, und hab als ein ganzen Busem voll Kirschen gebrochen.
Eins.: Ich sage nicht von Kirschen, sondern von der Kirchen.
Simpl.: Haha, Kriechen; gelt es sind so kleine Pfläumlein? Gelt du?
Eins.: Ach daß Gott walte, weißt du nichts von unserm Herr Gott?
Simpl.: Ja, er ist daheim an unserer Stubentür gestanden auf dem Helgen, mein Meuder hat ihn von der Kürbe mitgebracht, und hingekleibt.
Eins.: Ach gütiger Gott, nun erkenne ich erst, was für eine große Gnad und Wohltat es ist, wem du deine Erkenntnis mitteilest, und wie gar nichts ein Mensch sei, dem du solche nicht gibst: Ach Herr verleihe nur deinen heiligen Namen also zu ehren, daß ich würdig werde, um diese hohe Gnad so eifrig zu danken, als freigebig du gewesen, mir solche zu verleihen: Höre du Simpl (denn anders kann ich dich nicht nennen) wenn du das Vaterunser betest, so mußt du also sprechen: Vater unser, der du bist im Himmel, geheiliget werde dein Nam, zukomme uns dein Reich, dein Will geschehe auf Erden wie im Himmel, unser täglich Brot gib uns heut, und -
Simpl.: Gelt du, auch Käs dazu?
Eins.: Ach liebes Kind, schweige und lerne, solches ist dir viel nötiger als Käs, du bist wohl ungeschickt, wie dein Meuder gesagt hat, solchen Buben wie du bist, stehet nicht an, einem alten Mann in die Red zu fallen, sondern zu schweigen, zuzuhören und zu lernen, wüßte ich nur, wo deine Eltern wohneten, so wollte ich dich gerne wieder hinbringen, und sie zugleich lehren, wie sie Kinder erziehen sollten.
Simpl.: Ich weiß nicht, wo ich hin soll - unser Haus ist verbrennet, und mein Meuder hinweggelaufen, und wieder kommen mit dem Ursele, und mein Knan auch, und unser Magd ist krank gewesen, und ist im Stall gelegen.
Eins.: Wer hat denn das Haus verbrennt?
Simpl.: Ha, es sind so eiserne Männer kommen, die sind so auf Dingern gesessen, groß wie Ochsen, haben aber keine Hörner, dieselben Männer haben Schafe und Kühe und Säu gestochen, und da bin ich auch weggelaufen, und da ist danach das Haus verbrennt gewesen.
Eins.: Wo war denn dein Knan?
Simpl.: Ha, die eisernen Männer haben ihn angebunden, da hat ihm unser alte Geiß die Füß geleckt, da hat mein Knan lachen müssen, und hat denselben eisernen Mannen viel Weißpfennig geben, große und kleine, auch hübsche gelbe, und sonst schöne glitzerichte Dinger, und hübsche Schnür voll weißer Kügelein.
Eins.: Wann ist dies geschehen?
Simpl.: Ei wie ich der Schaf hab hüten sollen, sie haben mir auch mein Sackpfeif wollen nehmen.
Eins.: Wann hast du der Schaf sollen hüten?
Simpl.: Ei hörst dus nicht, da die eisernen Männer kommen sind, und danach hat unser Ann gesagt, ich soll auch weglaufen, sonst würden mich die Krieger mitnehmen, sie hat aber die eisernen Männer gemeiner, und da sein ich weggelaufen, und sein hieher kommen.
Eins.: Wo hinaus willst du aber jetzt?
Simpl.: Ich weiß weger nit, ich will bei dir hier bleiben.
Eins.: Dich hier zu behalten, ist weder mein noch dein Gelegenheit, iß, alsdann will ich dich wieder zu Leuten führen.
Simpl.: Ei so sag mir denn auch, was Leut für Dinger sind?
Eins.: Leut sind Menschen wie ich und du, dein Knan, dein Meuder und euer Ann sind Menschen, und wenn deren viel beieinander sind, so werden sie Leut genennt.
Simpl.: Haha.
Eins.: Nun geh und iß.
Dies war unser Diskurs, unter welchem mich der Einsiedel oft mit den allertiefsten Seufzern anschauete, nicht weiß ich, ob es darum geschah, weil er ein so groß Mitleiden mit meiner Einfalt und Unwissenheit hatte, oder aus der Ursach, die ich erst über etliche Jahr hernach erfuhr.



Ich erinnere mich noch genau, wir lasen es in der Schule und ich war sofort verliebt, las das Buch in einem durch. Die Neuübersetzung von Reinhard Kaiser ist meisterhaft, ich lege sie wärmstens ans Herz. Die Abenteuer des Simplicissimus - Grimmelshausen.

Jedoch, das Buch war den meisten viel zu dick. Ernsthaft diskutierten in Deutsch nur zwei Menschen mit der Professorin, das waren Michael und ich, absolut enttäuschend. Jedoch muss ich dazu sagen, dass 70% Türken waren, das ist wahrlich keine Sprache, die sie verstehen könnten. 
Bücher, die wir in der Schule lasen, waren schon etwas Besonderes. Auch den Michael  Kohlhaas von Kleist gehörte zu meinen geistigen Schätzen. Aber, bei dem Buch "Die Wand" von Marlen Haushofer hatte die Professorin den Großteil gepackt, selbst die Lesemuffel lasen es in einem durch. Danach folgte Ruth Klügers "weiter leben", das ich zu den besten Büchern überhaupt zähle. Natürlich, Faust I + II von Goethe (in der Schweiz schon aus dem Lehrplan gestrichen worden), Die Räuber von Schiller, aber schnell zurück zu Goethe, den ich abgöttisch verehre, so mussten wir auch "Die Leiden des jungen Werthers" lesen, das war spannend, denn ich war zwischen 36 und 40 nochmals im Gymnasium, las den Werther das erste mal mit 16, war hingerissen, war neugierig, wie er mich bewegen würde und es hatte sich nichts verändert, im Gegenteil, ich war hingerissen. Anders bei Hermann Hesse "Demian", den liebte ich mit 16, fand ihn mit 38 nicht mehr so prickelnd, hingegen "Die blassblaue Frauenhandschrift" von Werfel umwerfend schön zu lesen. Werfel gehört auch zu meinen Lieblingen bis heute. 

Was ich schade finde, es wurde, bis auf "Hundert Jahre Einsamkeit" von Marquez, nichts aus Drittländern oder Nachbarländern gelesen. Dabei ein Sándor Marái, mit seiner "Die Glut" ist unübertroffen schön, auch die restlichen Werke. Die Überzeugung, dass DEUTSCHE BÜCHER in den DEUTSCHUNTERRICHT gehören, das ist längst überholt. Die Übersetzungen glänzen in schönstem Deutsch und gehören längst auch zu uns.
Wie auch immer, zurück...
Werfel wurde überhaupt ganz vernachlässigt, was ein Grauen ist. Die "Verwirrungen des Zöglings Törleß" gehören zur ganz großen Literatur, stattdessen lasen wir "Rozznjagd" von Turrini. 
Auch bin ich der Meinung, dass ein Clemens Setz bereits zu den ganz Großen gehört oder eine Juli Zeh, das serviert niemand. 

Interessant fand ich, was meine Freundin sagte, nämlich, dass "MOMO" von Michael Ende nicht mehr gerne gelesen wird, die Sprache sei zu antiquiert. Das schockierte mich, sie meinte, ihre Kinder haben es sofort aufgegeben, auch meine Nichte und die ist eine Leseratte. In den heutigen Kinderbüchern liest man "Au Backe", "lecker", "Oh Mann..", das ist kindergerecht, ihre Sprache. In Österreich allerdings im Normalfall nicht, wenngleich die heutigen Kinder mehr schon Deutschland - Deutsch sprechen, das Wienerische oder österreichische Deutsch geht durch die Zuwanderung verloren. Dies nüchtern betrachtet. Auch wird weniger gelesen, besonders nicht die "alten Schinken", das kann man den Jungen nicht mehr servieren. 
Da passiert dann das, was ich heute erlebte, nämlich, dass Studenten der Rechtswissenschaften, die auf das renommierte Juridikum in Wien gehen, die non-plus-ultra Universität in Österreich (das war einmal!) die Artikel vor Namen vergessen, nämlich gänzlichst, da könnte ich echt "auszucken" (durchdrehen), wirklich. Oder zu einem Supermarkt gehen wollen und "Gemma Billa" sagen. Die Zuwanderung hat sprachlich sehr viel kaputt gemacht, das muss man leider konstatieren und man kennt mich als großer Menschenfreund aller Länder, aber hören wir auf, alles zu verschweigen. Es gehört wieder gelesen, aber mir scheint, mir dünkt und deucht, so kann es nicht weitergehen, der Leselehrplan gehört reformiert. Eine Ausgewogenheit gehört hinein. Was interessiert 14-jährige der "Der goldene Topf" von E.T.A. Hoffmann? Gar nicht. 

Nun, zurück vom Diskurs, wir lasen schöne Bücher, besonders gerne hatte ich die "Emilia Galotti" von Lessing. Den großen Aufklärer liebte ich sehr, arbeite sogar einmal in der Lessinggasse (Meine Freundin ging in die Hegelgasse ins Gymnasium, das ist überhaupt eine reizende Kombination "Hegelgasse - Kantgasse - Fichtegasse - Schellinggasse", wir haben daneben die Kirchennamen, wie "Himmelpfortgasse" rechts und links davon die großen Komponisten, weil die Wiener Staatsoper in der Nähe ist, wie z.B. die Mahlerstraße; weiter vorne ist die Coburgbastei, Stubenbastei (da sind wir zwei Hasen in die Schule gegangen, also ER und ich, aber ich schweife ab, dennoch, so ein Weg durch den ersten Bezirk ist nett).
Wie dem auch sei, es gehört etwas gemacht. Leider, mir tut es in der Seele weh. Wenn wir zum Lesen bringen wollen, dann sollten wir verändern, was da am Lehrplan steht, das schnell, die Jungen wissen nicht, dass sie das brauchen, überhaupt nicht, vor allem, hie und da in die Kontemplation gehen, lesen ist Meditation statt bis zu acht Stunden ins Handy sehen, das verblödet komplett. Der Fokus liegt auf der Modernisierung, der raschen Einführung des Digitalen, was ich für einen fatalen Fehler halte. 



Anmerkung von Mondscheinsonate:

Ad Zuwanderung: Deutsche 225.000.

Hinweis: Der Verfasser wünscht generell keine Kommentare von Verlo.

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