Der Neubeginn -Piano, piano!

Text

von  Mondscheinsonate

Ja, ich überlegte lange, viel zu lange. Schließlich, das war das Gegenargument, habe ich nun zwei Unis zu besuchen, einen 40 - Stunden Job und viel zu wenig Zeit. Jedoch, nachdem das, was mich immer entspannte, zunehmend zum Ärgernis wird, rief ich Emilia an, ich musste raus aus dem Loch. Die alte Stimme klang weder erfreut, noch unerfreut, mich nach so langer Zeit wieder zu hören, eher so, als ob sie meinen Anruf erwartet hätte, sie sagte in ruhigem Ton: "Ich wusste, du kommst zurück."

Sie "quetschte" mich in ein Unterrichtsloch, sagte, dass sie erst hören wolle, ob ich noch "würdig sei", dass sie "ihre Zeit verschenke" (sie bekommt sehr viel Geld von mir dafür!). 

So raste ich um 17:00 zu ihr, hastete über den Stephansplatz, in die Kärtnerstraße, bog ein und dann war ich da, dort, wo ich schon viele Jahre nicht mehr war, blieb kurz stehen, um es fassen zu können, dann ging ich zu ihr, Emilia, meiner alten Klavierlehrerin, die noch im Konservatorium Privatstunden gibt. 

"Du kommst zu spät, junge Dame!" - "Eine Minute!" - "ZU SPÄT ist zu spät! Setz dich, kein deut' höflicher, das Mädchen!"

Kein "Wie geht es dir? Wir haben uns 30 Jahre nicht mehr gesehen, was hast du gemacht?" 

Sie breitete die Noten auf dem Halter aus, es kam eine Handbewegung, auf die "Was ist? Spiel!" - Art. Ich liebe diese Frau, wirklich. 
Entsetzt sah ich auf die Noten, versuchte zunächst zu realisieren, was sie mir da gab. Es war die "Appassionata" No.23, Op.57 von Beethoven. Sie saß neben mir, ich sah sie an, sagte: "Emilia, ich habe jahrzehntelang nicht auf Konzertniveau gespielt, nur kleine Stücke, irgendwo, ich habe kein Piano gehabt. Ich kann das nicht mehr." - "Kind, was redest du, du warst unter den Besten, hattest das Zeug, das hat mir Rudolf auch gesagt, ein Talent! Und, du kannst nicht mehr spielen? Das glaubst du doch selbst nicht!" Sie sah mich verächtlich an. 
"Emilia", sagte ich streng, "ich KANN kavierspielen, kleine Stücke, das sagte ich." 
Plötzlich sprang sie auf, komplett theatralisch, schrie: "Spiel oder geh!"
Stille. 
Ich bewegte meine Finger, um sie aufzuwärmen, sah auf das Blatt, dachte nur: "Du läufst jetzt nicht davon."
Ich spielte und wie ich spielte, dam dam dam dam dam dam daaaam daaaaaam daaaaaaaaaam dadadadadam....Vollgas 20 Minuten lang. 
Stille. Ihr Gesicht zeichnete ein Lächeln, dann verdüsterte sie es schnell wieder, so, wie es ihre Art geblieben ist, sagte: "Das war schlecht! Vor wem rennst du eigentlich davon? Fast fünf Minuten zu kurz! Fünf Minuten! Das ist zu schnell, Kind, das geht so nicht." Ich saß schweißgebadet auf dem Hocker. 
"Geh! Steh auf, ich habe genug gehört." Ich stand betroffen auf, ging zu meinem Mantel und zog ihn über, meinen Schal hängte ich nur um, sie musterte mich von oben bis unten, sagte: "Nächsten Montag, gleiche Zeit, ach, und renn nicht mehr davon, sonst vergeudest du nur deine Zeit." Ich lächelte so glücklich wie schon lange nicht mehr. "Ja." 
"ACH", sagte sie streng, "komm pünktlich." Ich lachte und öffnete die große Tür, verschwand dahinter, war verschwunden in Glückseligkeit. Ich habe die "Appassionata" gespielt, fast fünf Minuten zu kurz, nach 30 Jahren. 
Ich fand, das war ein würdiges Geschenk an den, der mir mein größtes Glück ermöglicht hatte, den Verstorbenen an seinem ersten Todestag. 





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Kommentare zu diesem Text

Agnete (66)
(30.10.23, 20:15)
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 Mondscheinsonate meinte dazu am 30.10.23 um 20:19:
Beißzange, aber cool!

 lugarex (31.10.23, 12:49)
super!

 Mondscheinsonate antwortete darauf am 31.10.23 um 12:51:
:)
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