Gestank

Text

von  Mondscheinsonate

Es regnet schon den ganzen Tag, die Straßenbahn stinkt fürchterlich nach Exkrementen, Schweiß und sonstigen Ausdünstungen. Der Mensch stellt sich stets über sämtliche sonstige Lebewesen, dabei stinkt er einfach nur und ist er tot, dann stinkt er noch mehr, was nützt es, der Reichste auf dem Friedhof zu sein, wenn man nur noch ein Haufen Fäulnis wird? 

Es stinkt nicht nur, es dampft richtig salmiakartigen Geruch in die Nasen und treibt Tränen in die Augen, keiner steigt aus, man weiß, der nächste Zug ist dieselbe Jauchegrube, überall stinkt es, immer und überall, selbst, wenn die jungen Damen einsteigen, die in eine Wolke billiges Parfüm eingehüllt sind, tragen diese wie Schleier um sich, ziehen sie hinterher, stinkt es, weil es zuviel ist, alles, was zuviel ist, stinkt zum Himmel. Und, wenn es nicht stinkt, was so gut wie nie vorkommt, dann klebt der Boden, rollt eine Bierdose von einer Wand zur anderen und zurück, bleibt in der Mitte des Weges kurz stehen, um dann bei der nächsten ruckartigen Bewegung weiter zu rollen. Und diese Dosen sondern Bier aus, das lange nicht entfernt wird, eintrocknet und zum kleben anfängt, es macht Geräusche, wenn man in diese rinnsalartigen Gebilde hineinsteigt. Dann kommt zum Gestank noch das Kleben und dann ist es endgültig vorbei.

Ich kam zu Emilia, drei Minuten zu spät, sie grüßte nicht und würdigte mich keines Blickes, tat so, als ob ich Luft wäre. Ich zog gemütlich meinen Mantel aus und setzte mich zum Klavier, öffnete es und bewegte meine Finger, um sie aufzuwärmen. Seit gestern tut mir der linke Daumen weh, ich bin die Bewegungen der Finger nicht mehr gewöhnt, legte die Finger auf die Tasten und spielte den Imperialen Marsch für das Klavier aus dem Kopf, ich war so sauer, dass ich richtig in die Tasten drosch, da drehte sich Emilia um, ging zu mir und legte die Hand auf meine Schulter, flüsterte, spiel heute, was du willst, Kind. Ich nickte. Sie setzte sich zu mir und hörte mir zu, wie ich danach Billy Joels "Vienna waits for you" spielte und mitsang. Zu meinem großen Erstaunen sang Emilia mit und sie sang nie, niemals mit. Als ich aufhörte, spürte ich, dass der Druck von der Seele langsam verschwand. 
Sie sagte: "So und jetzt Mozart, Liebes, eine Barpianistin wirst du mir nicht."
Nahm Noten vom Stapel, stellte sie auf, ich las "Rondo Alla Turca" und lächelte. Sie sagte: "Mozart heilt das Gemüt."
"Emilia," sagte ich, "es stinkt alles zum Himmel."  Sie rümpfte die Nase, sagte: "Das sowieso," zeigte auf die Tasten, sagte dann weiter "das nicht."
Ich nickte und spielte, sie schrie immer wieder: "Gefühl!" 
Und, während ich spielte, fiel das Klebrige und der Gestank ab, ich war wieder in der Glückseligkeit angekommen. 



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