Beobachtungen

Text

von  Mondscheinsonate

Im Osten Österreichs nichts Neues. Die Straßenbahn ist heute nicht voll. Ein junges Liebespaar sitzt nebeneinander, diesmal gibt es eine Offenbarung, sie legt ihren Kopf auf seine Schulter, er lehnt seinen auf ihren. Rund um beide herrscht Frieden, also Schweigen. 

Die Garnitur fährt heute gemütlicher, schaukelt ein wenig. Eine Blondine steigt im hellen Trenchcoat ein, sie zieht einen Schwefeldioxidgeruch in den Wagon, kann nichts dafür, das ist ein stinkendes Eck. Auf der Brücke bleiben wir stehen, der Himmel hat eine graue Wolkendecke, weiter hinten ist es strahlend blau. Auf der Donauinsel steht ein Auto von dem Stadtgartenamt, Männer steigen aus und holen Rechen von der Ladefläche. Das Ausschwärmen sehe ich nicht mehr, die Fahrt geht weiter. In der nächsten Station warten bereits drei Damen, eine hat einen Schal auf dem Kopf, der Wind ist heute unangenehm. Es ist seltsam, so wenige Menschen, keine Kinder um die Zeit, das gibt es normalerweise nicht. Doch, ein einzelner steigt beim TGM aus, das ist eine höhere technische Lehranstalt, ein BMW Kombi bremst sich vor dem Jungen ein, das war knapp. Ich überlege, ob der Autofahrer Schuld gewesen wäre, der Junge sah ins Handy.
Da bekomme ich eine Nachricht, dass mein bester Freund im Spital ist, er ist auf Kur, sie haben Federball gespielt, waren zu stürmisch beim Doppel, da bekam er den Schläger ins Gesicht, jetzt fehlen ihm Ecken von den Vorderzähnen und die Lippe muss genäht werden. Ich stelle mir das bildlich vor, großer Schmerz kommt hoch, da schreibt er: "Was soll's!" Das ist er.
Es geht um die Kurve, in die Klosterneuburgerstraße. Ich denke an Thomas Bernhard und sein Buch "Gehen", die dort erwähnt wird.
Es kommt Unruhe auf, Fahrscheinkontrolle, ich muss in meiner Tasche kramen, gebe dem Kontrolleur die alte Karte, da sagt er: "Die ist abgelaufen", aber gerade als ich ihm die richtige geben möchte, scannt er den QR-Quode und sagt: "Das passt."
Trotzdem fühlte ich mich ertappt, ich weiß nicht warum. Eine Dame mit einem rosa Rucksack steht vor einem sitzenden Mann und plaudert. Ich habe noch sechs Minuten, das geht sich knapp aus, denke ich, ist mir aber komplett egal. Ein Fahrradfahrer wird überholt, es steigt in der nächsten Station eine Schauspielerin ein, ich kenne sie, habe den Namen vergessen, sie riecht nach Frühling. 



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Kommentare zu diesem Text


 uwesch (15.11.23, 08:04)
Na, bei Dir spielt sich ja allerhand in der Straßenbahn ab :)  LG Uwe

 Mondscheinsonate meinte dazu am 15.11.23 um 18:36:
Heut nicht, hab Leopoldi vergessen, da haben die Kinder schulfrei.

 Quoth (15.11.23, 08:51)
Als Rentner verliert man ja völlig den Kontakt zur arbeitenden Bevölkerung, Du stellst ihn mit Deinen Straßenbahntexten wohltuend für einen Augenblick wieder her. Danke dafür!

 Mondscheinsonate antwortete darauf am 15.11.23 um 18:36:
Na fein :)

 Saira (15.11.23, 19:27)
Hallo Moon,

du bist eine tolle Beobachterin, doch nicht nur das, du verstehst es, deine Erlebnisse und Beobachtungen auf spannende Weise wiederzugeben.

Beim Lesen habe ich das Gefühl, danebenzustehen, während du erlebst!

Liebe Grüße
Sigrun

 Mondscheinsonate schrieb daraufhin am 15.11.23 um 19:30:
Das ist ein wunderschönes Kompliment und ich danke dir von Herzen!

 Verlo (18.11.23, 11:25)
Mehrere solche, ähnliche leidenschaftliche Texte, von dir gelesen, hin und wieder kurze Stücke, vielleicht als Kontrast kühle Stimmung, auf dem Flügel, von dir gespielt: das Wiener Publikum wäre begeistert.

Nach meiner Einschätzung bist du mehr leidenschaftliche Künstlerin als emsige Sachbearbeiterin.

 eiskimo (18.11.23, 11:39)
Genial Dein Anfangssatz. Natürlich denkt man da an "Im Westen nichts Neues" und hat den Krieg vor Augen. Bei Dir folgt aber das Liebespaar, die Offenbarung...
LG
Eiskimo

 Mondscheinsonate äußerte darauf am 18.11.23 um 16:37:
Dank dir.
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