Kraft tanken

Text

von  Mondscheinsonate

Das Buch zugeschlagen, der Kopf ist voll. Morgen muss ich noch den Schlüssel abgeben, danach fahre ich auf den Friedhof, ich brauche Kraft, bin kraftlos. Werde mich auf den kalten Stein setzen, das ist bereits mein Platz, und ein Buch lesen, so wie damals auf der hässlichen Couch, nur, dass ich dann alleine sitzen werde und der Wind pfeifen wird, auch die vielen Flugzeuge, die bereits ihr Fahrgestell ausgefahren haben, zur Landung ansetzen, über meinem Kopf fliegen. Man hat das Gefühl, wenn man die Hand ausstreckt, dass man sie berühren kann. Er reiste gern, der Verstorbene, schickte mir Postkarten aus dem Saharagebiet, Kenia oder New York. Damals träumte ich nur von fremden Ländern, bis ich sie selbst sah.

"Du kleine Beutelratte" höre ich im Ohr, wenn ich dort sitze, "möchtest du nicht rausgehen und leben"?

Ich ignoriere es. 

Und, dann rauche ich rote Gauloises, obwohl ich eigentlich nicht mehr rauche, immer nur am Friedhof, heimlich, "weil man das nicht tut", aber auf der hässlichen Couch taten wir das schon. Damals rauchte ich noch Camel. 

Am Friedhof darf man weinen, da sieht einen niemand schief an. 

Ich werde sagen, dass ich für die Klausur viel gelernt habe, gut vorbereitet bin. Werde sagen, dass ich eine Brave geworden bin, keine "kleine Beutelratte" mehr bin, lächle. 

Dort sitzen gibt mir Kraft, wenn ich innerlich zerplatze, es erdet mich, dort finde ich wieder zurück zu mir. 

Erschöpft bin ich, extrem erschöpft. 

"Was liest denn Schönes?" und ich lese vor, während Flieger um Flieger über uns fliegen, fast zu nah. 

Ich sehe immer auf, hinauf, höre eine Stimme im Kopf:"Du bist nicht nur wegen mir hier, du Laus!" 

Ich lächle dann stets, drehe mich zum Grabstein um und sage:"Du kennst mich noch immer gut."

"Bist noch immer eine Beutelratte, eine große."



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Frühere bzw. ältere Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (14.01.24, 18:42)
Für einiges muß man kämpfen, das ist wahr, und es kann eine Menge Kraft kosten - auch wenn es in Deinem Fall dann von Erfolgen belohnt wird.
Bei anderem, so meine ich, kann man sich Kampf und Kräfte sparen, stattdessen ... abwarten. Geduldig abwarten, bloß offen sein für etwas, das kommt. Wann? Wo? Man weiß es nicht.
Ob Dir das als Option offensteht (nicht alle Menschen sind gleich), das weiß ich nicht.

Im Grunde bin ich zumindest bemüht, jedem Tag die Chance zu geben, ein guter zu werden.

Auf dem Friedhof eine Auszeit zu nehmen, in einem imaginierten Zwiegespräch ein gutes Gefühl heraufzubeschwören und dabei eine zu rauchen, das gefällt mir nicht schlecht. Als Form des Wartens, meine ich.

 Mondscheinsonate meinte dazu am 14.01.24 um 18:57:
Asche zu Asche. Ja.

 Graeculus antwortete darauf am 14.01.24 um 18:59:
So war es nun nicht gemeint. Was für eine pessimistische Assoziation! Der Pessimist bin doch eher ich. Und bei Rauchen denke ich an Entspannung.

 Mondscheinsonate schrieb daraufhin am 14.01.24 um 19:05:
Haha, ich auch, keine Sorge. Das war schwarzer Humor.
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