Hermann

Text

von  Mondscheinsonate

Und während ich den großen, langen Weg entlangging, entdeckte ich ein Grab, das mich zutiefst berührte, es stand "Hermann 1982-2001". Hermann wäre heuer 43 geworden, das Wort "wäre" war in diesem Moment, auch im jetzigen, unerträglich. Ich stand davor und hoffte, dass Hermann die Liebe zu einem passenden Gegenstück kennengelernt hat, eine, die wärmte und nicht ihn umgebracht hatte. Mich schauderte es. 

Ich kannte auch einen Hermann, der brachte sich wegen einer Frau um. Die Nacht zuvor postete er im Minutentakt alte Lieder aus den 80', wir sprachen nachher miteinander, wir, die wir am Begräbnis waren, es nervte bereits, ja, es nervte, wir schämten uns. Dann legte er das Telefon weg oder stand vom Computer auf und erhängte sich mit dem Telefonkabel am Dachbalken. Die Mutter fand ihn erst Tage später, weil der Geruch im Haus unerträglich wurde. 

Wir standen vor Hermanns Grab und schämten uns, waren zugleich hilflos, baten, immer miteinander zu sprechen, wenn etwas nicht in Ordnung sei, es blieb bei dem Versprechen.


Dieser Hermann hatte für mich eine offene Geschichte, es könnte auch ein Unfall gewesen sein, sehr wahrscheinlich. Es ist unerträglich, wenn Eltern ihre Kinder begraben müssen. Auf Hermanns Grab gab es keine Kerze, keine Blume, einfach nichts, es sah verlassen aus. Ich legte die Rose, die ich für R. mitgebracht hatte, auf Hermanns Grab, es sah nun aus, als ob die Finsternis ein Leuchten bekam. 


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