Überblick

Text

von  Mondscheinsonate

Während ich mir einen Überblick über den Semesterstoff mache, denke ich:"Wo soll ich anfangen?" 

"Ja, auf Seite 1", das wäre eine Antwort eines Idioten, denn das Öffentliche Recht hat sieben Bücher. Dazu nebenbei "Zivilgerichtliches Verfahrensrecht" mit 1500 Seiten, Strafrecht (Viktymologie, Forensische Psychiatrie, ...), Rechtswege im Antidiskriminierungsrecht, Verfassungsrecht. Sonst noch irgendwelche einfachen Antworten?

Meine Gedanken schweifen ab...

"Kleine Beutelratte, hast du deine Aufgabe schon erledigt?" 

"Nein," sagte ich. 

"Wieso nicht?"

"Weil ich nicht in die Schule gehe."

"Was heißt das?"

"Ich schwänze."

"Wie lange schon, Maus, das ist jetzt nicht lustig!"

"Vier Wochen schon."

"Spinnst du? Was machst du da?"

"Ich sitze im Stadtpark oder in der Nationalbibliothek."

"Cori, das ist kein Spaß! Spinnst du?"

"Ich will dort nicht mehr hingehen!"

Er schwieg. 

Als ich ging, rief er meinen Vater an, das erfuhr ich am nächsten Tag. Um Punkt sieben Uhr läutete es an der Türe. Er und seine neue Frau standen davor. Er sagte ruhig:"Wir bringen dich in die Schule." 

Ich traute mich nichts zu sagen. Im Auto war es totenstill. Mein Vater ist im Normalfall ein - sagen wir mal so - Choleriker, aber, wenn er besorgt oder hilflos ist, dann wird er ganz ruhig. 

Er ging mit mir in die Direktion und redete mit der Direktorin. Er bekam eine Strafe von dem Magistrat, weil ich noch schulpflichtig war. Ich ging in die Klasse. Die Wahrheit war, ich schwänzte sieben Wochen und da meine Mutter kein Telefon hatte, wickelten sie alles mit Papa ab. Sie fanden das auch besser, anscheinend. 

Ich hasste die neue Schule abgrundtief. Alles war anders. Ich war nicht mehr im Gymnasium, sondern das letzte Jahr in der Hauptschule. Ich lernte absolut nichts mehr im Gymnasium, verweigerte alles. Die Hauptschule hatte ich nur noch drei Wochen am Hals, musste den fehlenden Stoff mit Prüfungen nachholen.

"Herr H., ich verstehe es nicht, Ihre Tochter ist blitzgescheit, sie verweigert alles, da sehen Sie ihre Testergebnisse, sie ist überall die Beste, aber träumt den ganzen Tag, bringt sich nicht ein."

Mit Ach und Krach schaffte ich diesen Mist, wo hochaggressive Kinder waren und ich mit denen nichts zu tun haben wollte. 

"Wieso hast du Papa angerufen?"fragte ich ihn.

"Weil ich sonst nichts tun konnte, außer die Strafe niedriger halten durch Beziehungen," antwortete er. 

Ich sah zu Boden. 


Später, ich war bereits 36, war ich die Schulbeste, Klassensprecherin, stellvertretende Schulsprecherin und maturierte. Das bekam er noch mit, schrieb im Facebook:"Ich bin stolz auf dich!" 

Jeder, der die Umstände nicht kennt, soll schön brav den Mund halten, denn es gibt auch Kinder, die nicht so behütet waren und nicht die Chancen hatten, so bin ich dankbar über den Zweiten Bildungsweg, das ein normales, vollwertiges Gymnasium war, denn ich konnte dann die Universität besuchen und mich auch in eine zweite Universität einschreiben, wo ich ein Semester früher als geplant, den Bachelor, zeitgleich mit dem Magister iuris abschließen kann, ganz einfach, weil ich es kann. 

Damals konnte ich es nicht, denn Papa, R., meine Stiefmutter, eigentlich alle, wussten es, dass die Mutter wieder am Höhepunkt der Sauferei war und nicht die Schule der Grund war, warum ich alles verweigerte. 


Wo soll ich anfangen? Nun, BWL steht auch an, aber das kann ich schon, schlussendlich habe ich eine Wirtschaftsausbildung mit Zertifikat und Lehrabschlussprüfung, war die Beste in Buchhaltung, habe auf der Universität bereits Unternehmungsführung mit Sehr gut und Wirtschaftswissenschaften mit Gut abgeschlossen, ich bin ein Zahlenmensch. 

Damals fiel ich im Gymnasium in Mathematik durch. Ich verweigerte einfach alles, vorallem die Realität. 

Ich fange das Verwaltungsverfahrensrecht an, das ist sinnvoll, ich muss Schriftsätze verfassen. 

"Ich liebe dich überalles", das hätte ich gerne gesagt, ich sagte es nicht, auch nicht meinem Papa, der mich noch jeden Tag in die Schule brachte. Da war er einmal Papa und ich Kind. 

Mein Notendurchnitt auf der rechtswissenschaftlichen Universität lautet 2,1, auf der wirtschaftlichen 1,3. 

Papa sagt:"Brav. Geht ja doch." (Er hat mir bis heute nicht verziehen und musste 33 Jahre später nachschlagen.)

Das, neben 40 Stunden Arbeit.


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Kommentare zu diesem Text


 franky (05.03.24, 17:35)
Hi liebe Cori 

Das war ja ein mächtiger Kraftakt, 
da hast Du alle Widersacher in die Pfanne geschupft. 

Ich liebe Deine Geschichten! 

Grüße nach Wien von Franky

 Mondscheinsonate meinte dazu am 05.03.24 um 17:54:
Diese war aber anstrengend. Dank dir!
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